Dienstag, 26. März 2024

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Heinrich Bedford-Strohm
"Osterbotschaft war noch nie so wichtig wie gerade jetzt"

Präsenzgottesdienste - auch an Ostern - sind trotz Corona weiter möglich. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, begrüßte die Entscheidung. "Die Erfahrungen des letzten Jahres deuten darauf hin, dass wir es verantworten können", sagte Bedford-Strohm im Dlf.

Heinrich Bedford-Strohm im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 26.03.2021
der Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche, Landesbischof Heinrich Bedford Strohm, während einer Messe in München
"Die Menschen sind verwundet, sind nervös, sind erschöpft, und es ist so wichtig jetzt, dieses Licht am Horizont auch kraftvoll weiterzugeben", sagte Heinrich Bedford-Strohm mit Blick auf Ostern im Dlf. (imago / Lindenthaler)
Schon nach den ausgefallenen Ostermessen 2020 hatte die Politik den Kirchen eigentlich fest versprochen, dass es in diesem Jahr anders laufen werde – eine Zusage, die angesichts der dritten Corona-Welle längst Makulatur ist. Und doch haben sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche die geäußerte Bitte, auf Präsenzgottesdienste zu verzichten, offen kritisiert. Mit Erfolg: Präsenzgottesdienste sind weiter möglich. Die Erklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel sei ein strarkes Zeichen gewesen, sagte der Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford Strohm, im Dlf.
Man sei auf einer guten Basis. "Wir haben schon viele Gespräche geführt und man kann sich darauf verlassen, dass die Kirchengemeinden überall in Deutschland mit den strengen Schutzkonzepten, die wir ausgearbeitet haben, die sich bewährt haben, so umgehen werden, dass keine Risiken von diesen Gottesdiensten ausgehen." Doch eines sei klar: "Die Osterbotschaft war noch nie so wichtig wie gerade jetzt. Die Menschen sind verwundet, sind nervös, sind erschöpft, und es ist so wichtig jetzt, dieses Licht am Horizont auch kraftvoll weiterzugeben", sagte Bedford-Strohm. Bund und Länder hatten zunächst an die Religionsgemeinschaften appelliert, nur virtuelle Gottesdienste abzuhalten.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

Das Interview in voller Länge:

Jörg Münchenberg: Herr Bedford-Strohm, zunächst mal: Wie sehr hatte Sie der Vorstoß der 16 Ministerpräsidenten sowie der Bundeskanzlerin, diese Bitte nach virtuellen Gottesdiensten überrascht oder sogar ein bisschen verärgert?
Heinrich Bedford-Strohm: Wir waren in der Tat überrascht, denn darüber ist vorher nicht gesprochen worden. Wir sind ja in ständigen Gesprächen auch mit den Spitzen der Politik, auch über diese Fragen. Deswegen waren wir überrascht. Aber ich bin sehr dankbar, dass sich das geklärt hat und dass die Bundeskanzlerin diese Erklärung abgegeben hat. Das war wirklich ein starkes Zeichen. Das galt ja jetzt für die stillen Ostertage insgesamt, aber es beinhaltete auch die Dinge, die die Kirchen betreffen. Und dass sie da gesagt hat, es ist ein Fehler, wir korrigieren ihn, das finde ich ein starkes Zeichen. Deswegen sind wir da jetzt auf einer guten Basis. Wir haben schon viele Gespräche geführt und man kann sich darauf verlassen, dass die Kirchengemeinden überall in Deutschland mit den strengen Schutzkonzepten, die wir da ausgearbeitet haben, die sich bewährt haben, so umgehen werden, dass keine Risiken von diesen Gottesdiensten ausgehen.

Ohnehin nur begrenzte Zahl an Menschen im Präsenzgottesdienst

Münchenberg: Darauf kommen wir gleich zu sprechen. Zunächst noch mal die Nachfrage nach dieser Bitte. So war es ja formuliert worden. Hat sich da die Politik nicht auch ein bisschen um die Verantwortung gedrückt, denn eine Bitte heißt ja letztlich, dass die Entscheidung den Kirchen zugeschoben worden wäre? Man hätte ja auch seitens der Politik sagen können, die Infektionszahlen lassen keine Gottesdienste zu.
Bedford-Strohm: Ich habe das nicht so verstanden. Es sind ja im Hintergrund auch rechtliche Fragen, Religionsfreiheit und Ähnliches. Ich habe das so verstanden, dass das Ausdruck war eines guten Verhältnisses zu den Kirchen. Ich habe es gesagt, wir haben sehr gute Gespräche. Wir haben doch das gemeinsame Anliegen. Wir wollen doch alle, auch wir als Kirchen wollen doch, dass die Infektionszahlen nicht hochgehen, und haben das ja in dem vergangenen Jahr an verschiedenen Stellen auch immer wieder sehr deutlich gemacht, dass die Botschaft des Evangeliums, die Gottesbeziehung nie getrennt werden kann von der Beziehung zum Nächsten, von der Solidarität mit den Schwachen. Deswegen liegt uns selbst ja sehr viel daran, dass von Gottesdiensten keine Risiken ausgehen. Deswegen haben wir all die digitalen Formate entwickelt, die in den Gemeinden in wirklich beeindruckender Weise jetzt praktiziert werden, so dass es ohnehin eine begrenzte Zahl von Menschen sein wird, die in den Präsenzgottesdienst gehen.
Münchenberg: Herr Bedford-Strohm, diese Bitte ist jetzt vom Tisch, haben Sie auch gesagt. Das heißt, es wird in Deutschland überall Präsenzgottesdienste geben? Oder welche Empfehlung kommt von der Kirchenspitze, von Ihnen?
Bedford-Strohm: Wir haben uns ja mit all den Landeskirchen in der Kirchenkonferenz der EKD verständigt am Mittwoch, und da ist eine ganz klare gemeinsame Linie. Präsenzgottesdienste sind möglich, aber mit strengen Schutzkonzepten, die sich bewährt haben. Und wir setzen auch sehr stark auf digitale Formate. Gestern ist eine Internetseite www.ostergottesdienste.de auf der EKD-Seite freigeschaltet worden. Da wird alles gesammelt, alle Menschen, die einen kraftvollen Gottesdienst feiern wollen, haben ganz viele verschiedene Auswahlmöglichkeiten. Und wir ermutigen auch ausdrücklich dazu. Aber letztlich können es die Gemeinden entscheiden und die werden das sehr verantwortlich entscheiden. Wir haben jetzt ein Jahr Erfahrung damit. Das kann ich jetzt wirklich auch so sagen.

"Die Menschen sind verwundet, sind nervös, sind erschöpft"

Münchenberg: Aber ist es klug, dass quasi jeder für sich selber entscheidet? Oder wäre es nicht besser gewesen, man macht eine klare Ansage an alle, wir stehen zu Präsenzgottesdiensten?
Bedford-Strohm: Ich glaube, die Kontexte sind tatsächlich so unterschiedlich. Natürlich spielen dann auch die Inzidenz-Werte vor Ort eine wichtige Rolle für die Entscheidung der Gemeinden. Aber auch die Frage, welche Wege haben sich bewährt, die den Menschen kraftvoll diese Osterbotschaft sagen können, auch das spielt eine Rolle, und es ist lokal unterschiedlich. Eines ist doch ganz klar: Die Osterbotschaft war noch nie so wichtig wie gerade jetzt. Die Menschen sind verwundet, sind nervös, sind erschöpft, und es ist so wichtig jetzt, dieses Licht am Horizont auch kraftvoll weiterzugeben. Gerade jetzt ist die Osterbotschaft, Christus ist auferstanden, der Tod hat nicht das letzte Wort, die Dunkelheit siegt nicht, sondern das Licht. Gerade jetzt ist das doch so wichtig und deswegen ist es schon gut, dass wir als Kirchen die Möglichkeit haben, das auf allen Kanälen den Menschen nahezubringen, in die Herzen zu bringen.
Münchenberg: Herr Bedford-Strohm, Sie haben mehrfach gesagt, die Kirchen haben jetzt viel Erfahrung gesammelt, dass sie Gottesdienste infektionsgerecht abhalten können. Auf der anderen Seite steigen die Infektionszahlen derzeit massiv. Die Kanzlerin spricht von einem völlig neuen Virus. Sind Sie da nicht trotzdem auch ein bisschen unsicher, ob das so eine kluge Entscheidung ist, jetzt nicht doch noch mal zu sagen, auf die Ostermessen hätte man vielleicht doch lieber noch mal verzichten sollen?
Bedford-Strohm: Natürlich machen wir uns das nicht leicht. Das sind ja genau die Fragen, die wir hin und hergewälzt haben. Manch schlaflose Nacht, sage ich ganz persönlich, steckt dahinter, denn es ist eine riesen Verantwortung. Ich bin mir dessen sehr bewusst. Deswegen: Wenn es so wäre, dass erkennbare Zeichen dafür wären, dass von diesen Präsenzgottesdiensten noch mal mit sehr geringen Zahlen und sehr weiten Abständen ein nicht verantwortbares Risiko ausgehen würde, würde ich sofort sagen, nicht machen. Aber alles, was wir wissen, auch die Erfahrungen des letzten Jahres deuten darauf hin, dass wir es verantworten können.
Es gibt Menschen, die mit den digitalen Formaten einfach nicht diese Erfahrung machen können. Ich selber mache sie. Ich nutze digitale Formate auch gottesdienstlich für mich selbst. Aber es gibt Menschen, die haben dazu den Zugang nicht, und die sollen auch die Möglichkeit haben, gerade jetzt diese Hoffnung, diese Kraft mit auf den Weg zu bekommen. Deswegen ist es gut und es ist auch verantwortbar, denn wir haben wirklich sehr, sehr breit auch Erfahrungen gesammelt, und die Menschen, die dort in die Kirche kommen, sind Menschen, die sehr verantwortlich mit den Maßnahmen umgehen, die nicht achtlos sind, die manchmal sogar übervorsichtig sind. Deswegen traue ich mich wirklich zu sagen, dass wir dieses Vertrauen haben können in die Gemeinden.

Lockerungen - da wo es mit Schnelltest und kluger Kombination geht

Münchenberg: Aber muss man das nicht auch ein bisschen breiter sehen? Die Kirchen bekommen am Ende ja doch ein Vorzugsrecht. Der Gastronom, der zum Beispiel um seine wirtschaftliche Existenz kämpft, der hat am Ende kein Wahlrecht.
Bedford-Strohm: Mir geht das selbst sehr nahe, auch was die Kulturschaffenden betrifft. Die haben natürlich nichts davon, wenn jetzt auch noch Gottesdienste abgesagt werden. Das sind dann die letzten Honorare, die ihnen dann auch noch genommen werden. Aber ich finde, es ist tatsächlich auch notwendig, darüber nachzudenken, auch bei Gastronomen, wie kann man mit einer Kombination des Prozesses der Impfungen, der immer weitergeht, und auch Schnelltests es hinkriegen, dass Restaurants mit Außengastronomie öffnen können, ohne dass Risiken davon ausgehen. Ich glaube, es ist jetzt wirklich Zeit. Es gibt auch einen Ruin der Seele und das dürfen wir nicht riskieren. Gerade junge Menschen, Jugendliche, für die ein Jahr Entwicklung zwischen 12 und 13 vielleicht so viel bedeutet wie für mich zehn Jahre, das geht irgendwann nicht mehr. Das hält man nicht mehr aus und deswegen ist es notwendig, die Möglichkeiten zu nutzen, die wir jetzt haben.
Münchenberg: Das heißt aber, Sie plädieren hier auch für Lockerungen?
Bedford-Strohm: Ich plädiere da für Lockerungen, wo es mit Schnelltests und einer klugen Kombination verschiedener Strategien möglich ist, ohne das Infektionsrisiko zu erhöhen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.