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Heinz Buschkowsky
Migranten in die Pflicht nehmen

Heinz Buschkowsky ist seit 13 Jahren Bezirksbürgermeister in Neukölln, dem Berliner Kiez mit vielen Migranten und sozialen Problemen. In seinem zweiten Buch "Die andere Gesellschaft" fordert er: Einwanderern müsse man eine Chance geben - aber auch einiges von ihnen verlangen. Derzeit gebe es eine Parallelgesellschaft.

Von Matthias Bertsch | 08.12.2014
    Gibt es in Deutschland längst eine andere, eine Parallelgesellschaft? Um eine Antwort auf diese Frage zu bekommen, hat Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky vor allem eines getan: Er hat mit muslimischen Einwanderern oder deren Kindern gesprochen: mit Schülern, Eltern, Sozialarbeitern, Ärzten, Hausmeistern, Imamen und Intellektuellen. Er hat sie gefragt, wie sie in Berlin leben, was ihnen wichtig ist und welche Erfahrungen sie mit der Mehrheitsgesellschaft gemacht haben. Nach 300 Seiten kommt er zu einem klaren Ergebnis.
    "Ja, es gibt eine andere Gesellschaft. Sie definiert sich aus der Religion des Islams. Hört sich simpel an, ist aber vielschichtig. Nicht jede Richtung, Schule, Lesart und Auslegung des Islams gehört für mich in die Kategorie ‚mit Vorsicht zu genießen'. Ich kenne ganz viele Muslime, die nur in Frieden ihrem Glauben nachgehen und nicht den Staat stürzen wollen. Mich interessiert nur die fundamentalistisch orthodoxe Abspaltung. Daraus entsteht die Frage, wie verhindern wir, dass aus der latenten Gefahr eine echte Bedrohung wird."
    Gefahr durch gewaltbereite Muslime
    Bedrohlich ist Buschkowsky zufolge vor allem die wachsende Zahl junger muslimischer Männer, die bereit sind, zur Schaffung eines Islamischen Staates Gewalt anzuwenden. Mit ihnen, gibt der Autor zu, hat er nicht gesprochen, sondern nur mit Muslimen, die in der Mehrheitsgesellschaft angekommen sind. Manche von ihnen bekräftigen die These des Neuköllner Bürgermeisters, dass sich immer mehr Muslime vom Westen und seinen Werten abwenden: Statt Freiheit und Selbstbestimmung würden Gehorsam gegenüber Familie und Islam immer wichtiger. Buschkowskys Analyse, dass eine andere, fremde und gefährliche Gesellschaft entsteht, gründet aber nicht nur auf den Aussagen seiner Gesprächspartner, sondern auch stark auf seinen eigenen Wahrnehmungen und Empfindungen.
    "Ich habe eine gewisse Erwartungshaltung an den öffentlichen Raum, der mich umgibt und in dem ich lebe. Dazu gehört nicht, dass Frauen in langen schwarzen Mänteln mit verhüllten Köpfen das Stadtbild und meinen Blick dominieren. Egal, ob die Teile Burka, Niqab, Tschador oder Hidschab heißen. Es gefällt mir einfach nicht. Es erzeugt in mir Distanz und nimmt mir meinen Wohlfühlfaktor."
    Es sind Formulierungen wie "Wohlfühlfaktor", die Buschkowskys Kritiker auf die Palme bringen. Anstatt die eigenen Befindlichkeiten in den Vordergrund zu stellen, müsse man über die Diskriminierung der Muslime sprechen. Ein Argument, das Buschkowsky ärgert:
    "Ich habe in meinem Buch auch alle immer gefragt: werden Einwanderer diskriminiert? Und die einhellige Antwort war: ja! Dann habe ich gefragt: Erzähl mir mal oder erzählen Sie mir bitte, wann sind sie das letzte Mal diskriminiert worden und was ist genau passiert? Die Antwort war unisono, ohne jede Ausnahme: Nein, ich meine nicht mich selbst. Mir selbst ist das noch nicht passiert, aber ich habe gehört, dass ..."
    Gegen political correctness
    Jede Minderheit werde diskriminiert, räumt Buschkowsky ein, doch der Diskriminierungs- und Opferdiskurs bringt ihn in Rage. Dass muslimische Jungen in der Schule oft versagten und überproportional oft straffällig würden, dürfe man nicht mehr sagen oder schreiben, weil es politisch nicht korrekt sei - mit fatalen Konsequenzen.
    "Die political correctness sagt, es ist alles wunderbar geregelt, es ist alles in Ordnung. Ich belege in meinem Buch, dass nichts in Ordnung ist, und dass political correctness, nur nicht darüber reden, weil es ist islamophob, es ist rassistisch, dass das nichts ist als das Alibi zum Abtauchen, nichts tun, den Dingen ihren Lauf lassen. Aber die Gesellschaft kann sich nicht geschehen lassen, sondern wir brauchen eine intervenierende Gesellschaft, die aktiv auf die Menschen zugeht und sie integriert."
    Integration aber heißt für Buschkowsky: Einwanderern eine Chance geben und sie in die Pflicht nehmen. Sie müssten Deutsch lernen und sich anpassen - an eine Gesellschaft, die Männer und Frauen, Jungen und Mädchen weitgehend gleich behandelt und Religion tendenziell zur Privatsache erklärt. Dass muslimische Mädchen vom Schwimmunterricht abgemeldet würden, kritisiert der Neuköllner Politiker genauso wie die Tatsache, dass auch aus Deutschland immer mehr junge Männer in den Nahen Osten gehen, um dort für den Heiligen Krieg zu kämpfen.
    Heinz Buschkowsky, Bezirksbürgermeister von Berlin Neukölln, am Montag (21.12.2009) in Berlin-Neukölln im Hotel Estrel beim traditionellen Weihnachtsessen für Menschen von der Straße
    Heinz Buschkowsky ist seit 13 Jahren Bezirksbürgermeister von Berlin Neukölln. (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    "Wir gehen viel zu nachsichtig mit diesem Thema um. Deswegen kritisiere ich das in meinem Buch. Ich nenne die Beispiele: schaut hin, hier, so und so und so findet das bereits in unserem Alltag, statt. Ich sage auch, wie ich glaube, dass man dem entgegenwirken muss: durch mehr Bildung, durch das Öffnen der Augen der Kinder und Jugendlichen. Und deswegen sage ich: verbindliche Vorschulerziehung, deswegen sage ich: Ganztagsschulen. Weil: eins sage ich auch: es wird Wohlstand, wie wir ihn kennen, in der Zukunft in Deutschland nicht geben können ohne die Integration der Einwandererkinder."
    Ein subjektives Buch
    Diagnose und Therapievorschlag sind nicht neu, mag man einwenden. Und doch ist es erstaunlich, wie wenig bislang über die von Buschkowsky geforderte Kita-Pflicht diskutiert wird. "Die andere Gesellschaft" ist kein wissenschaftliches Buch, sondern ein sehr subjektives. "An der einen oder anderen Stelle habe ich meine eigene Ratlosigkeit herbeigeschrieben" resümiert Buschkowsky am Ende, doch die Konsequenz, "Wir haben für viele Dinge keine Antworten, also verbieten wir das Fragen" hält er für schändlich. Und trotz mancher populistischen Formulierung kann man dem Neuköllner Bürgermeister kaum absprechen, dass ihn die Sorge um die Gesellschaft umtreibt - zum Beispiel, wenn deutschstämmige Eltern ihre Kinder nicht mehr auf die Einzugsgrundschule schicken.
    "Unsere Grundstufen orientieren sich schon lange nicht mehr an den Einwohnerlisten, die sie ein halbes Jahr vor Schuljahresbeginn erhalten. Von den darauf befindlichen deutschnamigen Kindern kommt ohnehin kaum eines an. Bei der letzten Einschulung von rund 2400 Kindern hat fast jede zweite Familie beantragt, dass ihr Kind nicht im eigentlichen Einschulungsbereich in die Schule kommt. Eine klare Sprache."
    Was Buschkowsky schildert, ist das Auseinandertreten von Reden und Handeln. Dieselben Eltern, die die multikulturelle Gesellschaft in Worten verteidigen, entscheiden oft, dass eine multikulturelle Schule für ihr Kind nicht das richtige ist - zumindest wenn zu viele Muslime an der Schule sind. Und das, so Buschkowsky, ist ein Indiz für ein grundsätzliches Problem:
    "Wenn sich eine Gesellschaft nicht als ein gemeinsamer Organismus versteht, sondern sich teilt in ‚Ich' und ‚Die da', dann wird sie auf Dauer keinen Bestand haben, sondern das Trennende manifestieren und irgendwann zerfallen."
    Heinz Buschkowsky: "Die andere Gesellschaft", Ullstein Verlag, 288 Seiten, 19,99 Euro. ISBN: 978-3-550-08050-0.