Mittwoch, 24. April 2024

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Heinz Loquai: Weichenstellungen für einen Krieg. Internationales Krisenmanagement und die OSZE im Kosovo-Konflikt.

Der Beschluss der NATO darf nicht zum Präzedenzfall werden und wir dürfen nicht auf die schiefe Bahn kommen, was das Gewaltmonopol des Sicherheitsrates anbelangt. Aber im Kosovo liegt eine humanitäre Notsituation größten Umfanges vor, die sofortiges Handeln erfordert.

Rezensiert von Brigitte Baetz | 03.11.2003
    Als Außenminister Klaus Kinkel diese Worte dem Deutschen Bundestag vortrug, war er schon abgewählt. Eine neue Bundesregierung stand bereit, die Verantwortung zu übernehmen. Und Verantwortung bedeutete für Rot-Grün in der Außenpolitik vor allem Kontinuität im Schulterschluss mit den USA und der NATO. So kam es, dass außergerechnet eine Koalition aus Parteien, die beide über pazifistische Traditionen verfügten, einem Militäreinsatz gegen Jugoslawien zustimmte. Vertreibung und Völkermord gelte es zu abzuwenden, war die Begründung, die mit ihrem humanitären Anspruch Zweifel nahezu ausschaltete.

    Damit will das Bündnis weitere schwere und systematische Verletzungen der Menschenrechte unterbinden und eine humanitäre Katastrophe im Kosovo verhindern. Der jugoslawische Präsident Milosevic führt dort einen erbarmungslosen Krieg. Die jugoslawischen Sicherheitskräfte haben ihren Terror gegen die albanische Bevölkerungsmehrheit im Kosovo allen Warnungen zum Trotz verschärft. Die internationale Staatengemeinschaft kann der dadurch verursachten menschlichen Tragödie in diesem Teil Europas nicht tatenlos zusehen. Wir führen keinen Krieg, aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen.

    Dass diese militärischen Mittel zwingend notwendig waren, bezweifelt Brigadegeneral a.D. Heinz Loquai. Die Verletzung von Menschenrechten stellt er nicht in Frage, wohl aber die Eindeutigkeit, mit der die Schuld dafür bei der serbischen Seite gesucht und gefunden wurde. Loquai war militärischer Berater bei der deutschen OSZE-Vertretung in Wien. Die OSZE beobachtete im Kosovo die Einhaltung des Abkommens zwischen dem US-Unterhändler Holbrooke und Präsident Milosevic über eine friedliche Lösung des Konflikts. Durch die 1.400 Mitarbeiter der OSZE vor Ort und die Berichterstattung der ausländischen Botschaften in Belgrad wurde der Kosovo-Konflikt bestens dokumentiert. Nach den Recherchen Loquais ging aus diesen Berichten nie hervor, dass eine einseitige serbische Bedrohung der albanischen Bevölkerung bestehe. Im Gegensatz zu dem, was deutsche Politiker, aber auch deutsche Medien an die Öffentlichkeit brachten.

    Für mich ist es unerklärbar, wie führende deutsche Tageszeitungen, Journalisten dieser Tageszeitungen, auf nicht nur fraglicher Grundlage berichtet haben, sondern objektiv falsch. Objektiv falsch, wenn ich annehme, dass die rund 1400 OSZE-Beobachter, die internationalen OSZE-Beobachter, die ja zum Teil militärische Fachleute waren und das, was man zusätzlich an Informationen im militärischen Nachrichtenwesen hatte, das einigermaßen richtig ist, dann ist das eine unwahrscheinliche Diskrepanz zwischen dem, was die Journalisten berichtet haben und zwar über die gesamte Konfliktphase und dem, was dort offenbar geschehen ist. Und ich hab ja auch in meiner Eigenschaft da unten die Berichte der deutschen Botschaft gelesen und sowohl das militärische Nachrichtenwesen als auch die deutsche Botschaft haben immer wieder gewarnt, nicht den Dramatisierungen der Medien zu glauben. Sie haben immer wieder darauf hingewiesen, dass Zahlen übertrieben sind, dass Medien eindeutig antiserbisch berichten. Aber es gibt eine amerikanische Abhandlung darüber. Die sagt: die westlichen Medien haben im Grunde genommen die generelle antiserbische Haltung übertragen auf den letzten sozialistischen Vielvölkerstaat Jugoslawien.

    Ausführlich beschäftigt sich Loquai mit der Berichterstattung über das sogenannte "Massaker von Racak", das entscheidend wurde für den Entschluss, Bomben gegen Jugoslawien einzusetzen. 45 Albaner sollten von Serben hingerichtet worden sein. Die FAZ beispielsweise berichtete, die serbische Polizei habe "fast vier Dutzend albanischer Zivilisten abgeschlachtet".

    Einem Toten war der Kopf vom Rumpf abgetrennt, anderen waren die Augen ausgestochen, das Gesicht weggeschossen.

    Massenhinrichtung, hieß es. Dabei kam ein gerichtsmedizinisches Untersuchungsteam der EU zu dem Schluss, dass ein Erschießen aus nächster Nähe nicht nachgewiesen werden konnte. Außerdem war der Tatort nicht ausreichend abgesperrt worden, um Spuren zu sichern. Einige der Toten waren durch Tiere verstümmelt worden, kein einziger durch menschliche Hand. Ob es sich bei ihnen um Albaner gehandelt hatte, konnte nicht nachgewiesen werden. Die näheren Umstände ihres Todes wurden bis heute nicht geklärt. Trotzdem gab der Leiter der OSZE-Mission, der Amerikaner Walker, schon kurz nach dem Fund der Leichen bekannt, es habe sich um ein Massaker von Serben an Albanern gehandelt, die Opfer seien durch Genickschuss hingerichtet und danach verstümmelt worden. Die deutschsprachige Presse übernahm diese Version ungeprüft – und schmückte sie gar mit falschen Details aus. Die Vorgehensweise des Missionsleiters Walker entsprach nach Ansicht Loquais der Strategie der USA, die OSZE zu instrumentalisieren und zu marginalisieren. Eine Politik, die von vornherein antiserbisch ausgerichtet war.

    Weil man dachte, dass man durch einen schnellen Krieg auch die jugoslawische Regierung hinwegfegen könnte. Und ein Zweites kam dazu. Es wurde zu dieser Zeit ja eine neue NATO-Strategie erarbeitet und diese NATO-Strategie hatte einen wesentlichen Bestandteil – das Verhältnis zu den Vereinten Nationen. Nämlich die Amerikaner wollten, dass auch NATO-Militäreinsätze ohne ein Mandat der UNO legitimiert sein sollten. Und es war lange Zeit eine ständige Kontroverse zwischen Frankreich und Amerika. Die Franzosen waren dagegen, die Amerikaner dafür. Und der Krieg entschied das. Das war eine Mischlage der Motivationen, der politischen Interessen. Nicht nur ein einzelnes politisches Interesse. Das Unwesentlichste war, nach meiner Auffassung, der humanitäre Aspekt. Der wurde sozusagen als Etikett gebracht, aber der spielte kaum eine Rolle. Und in der Endphase ging es natürlich auch darum: man wollte die NATO nicht als zahnlosen Tiger dastehen lassen. Clinton hat ja in seiner Begründung das an erster Stelle genannt: die Entschlossenheit und die Glaubwürdigkeit der NATO zu bewahren.


    Erst mit dem Beginn der NATO-Luftangriffe setzten, so Helmut Loquai, systematische, massive Vertreibungen der Kosovo-Albaner ein. Bis heute ist der Kosovo nicht befriedet. Trotzdem wird der internationale Einsatz auf dem Balkan bis heute kaum kritisch hinterfragt, auch wenn selbst Kriegsbefürworter einräumen, dass der damalige Verteidigungsminister Scharping die Öffentlichkeit wiederholt falsch informiert hatte. Die Ereignisse des 11.September, Afghanistan- und Irakkrieg haben dazu geführt, dass Südosteuropa zu einem Randthema geworden ist. Und dabei, so Loquai, liegt im Kosovo-Krieg durchaus eine Art Blaupause für die spätere Entwicklung vor.

    Und zwar: Ausschaltung der UNO und die Dominanz der Vereinigten Staaten bei der Eskalation zum Krieg, die sich um Verbündete kaum kümmerte, und der feste Wille, Krieg zu führen, durch Krieg einen Regimewechsel zu erreichen. Es war ein Präventivschlag, denn nur die wenigsten sagen, dass zu dieser Zeit bereits Völkermord stattfand und die Mandatierung des deutschen Parlaments war ja auch zur Abwendung einer humanitären Katastrophe, d.h. sie war noch nicht eingetreten, man wollte sie abwenden, Präventivschlag und ja, Krieg als Mittel der Politik wieder salonfähig zu machen.

    Helmut Loquais Buch ist fakten- und fußnotenreich. Es ist keine leichte Kost für zwischendurch, kann es nicht sein. Es enthält auch keine definitive Antwort auf die Frage, was wirklich in den entscheidenden Phasen vor Kriegsbeginn geschah. Aber es sät so manchen Zweifel, deckt Widersprüche auf. Mit dem Totschlagsargument Verschwörungstheoretiker wird Loquai rechnen müssen, zumal er sich bei einigen seiner Schlussfolgerungen auf Quellen aus dem, wie er schreibt, "militärischen Nachrichtenwesen" beruft. Überprüfbar sind sie also nicht, auch wenn man konzedieren muss, dass Loquai als langjähriger und hochrangiger Berufssoldat über entsprechende Kontakte verfügt. Ernst nehmen sollte man sie trotzdem, wie alles, was mit Entscheidungen über Krieg und Frieden zusammenhängt. Die Tatsache, dass sich die Bundesregierung im Fall Irak den Amerikanern dann doch einmal verweigert hat, spricht nach Loquais Ansicht nicht gegen die These seines Buches, dass Rot-grün blind proamerikanisch ist. Er hält diese Entscheidung für das reine Wahlkampfmanöver einer eigentlich schon der Niederlage sicheren Koalition.

    Wenn die Bundesregierung in einer anderen Position gewesen wäre, dann hätte sie mitgemacht. Also, da bin ich fest davon überzeugt.

    Brigitte Baetz über Heinz Loquai: Weichenstellungen für einen Krieg. Internationales Krisenmanagement und die OSZE im Kosovo-Konflikt. Nomos Verlagsgesellschaft Baden Baden, 200 Seiten zum Preis von 29 €.