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Heiße Drähte statt Netzausbau

Energie.- Sogenannte Hochtemperaturleitungen können bis zu doppelt so viel Strom transportieren wie herkömmliche Kabel. Doch in Deutschland wollte man bisher wenig von dieser Technologie wissen. Jetzt gibt es erste Pilotprojekte mit dem Ziel, einen Teil des teuren Netzausbaus dadurch zu ersetzen.

Von Maren Schibilsky | 12.12.2011
    Drahtseilproduktion in Rothenburg an der Saale. An einer Seilmaschine werden Aluminiumdrähte um einen Stahlkern gewickelt. Seit Jahrzehnten werden so Stromleitungen hergestellt. Doch seit vier Jahren fertigt man hier besondere Seile, 'heiße Seile', sogenannte Hochtemperaturleitungen. Die bestehen ebenfalls aus einem Stahlkern, sind aber mit hoch thermischem Aluminium umwickelt. Cornelius Hansen ist Experte für Hochtemperaturtechnik bei der Herstellerfirma Westfälische Drahtindustrie.

    "Ein Hochtemperaturseil kann durch eine spezielle Aluminiumlegierung mehr Strom transportieren, wodurch es heißer wird und trotz der Erhitzung nicht nachgibt und nicht weiter herunter sinkt wie eine herkömmliche Freileitung. Dadurch kann man mehr Strom über diese Freileitung transportieren. Das heißt, die Leitungskapazität kann mehr als verdoppelt werden."

    Die Strommenge in einer Leitung ist begrenzt durch die Seiltemperatur. Je mehr Strom, desto heißer das Seil. 80 Grad ist die Obergrenze. Sonst wird herkömmliches Aluminium weich, die Leitung hängt gefährlich durch. Ein Hochtemperaturseil kann bis zu 310 Grad heiß werden ohne durchzuhängen - verspricht der Hersteller. Doch die deutschen Netzbetreiber ignorierten bisher diese Technologie, bedauert
    Cornelius Hansen.

    "Hochtemperaturseile werden seit Jahrzehnten im Ausland eingesetzt. Diese Technologie wurde im Fernen Osten in Japan entwickelt, weil man dort in den 70er, 80er-Jahren bereits an die Kapazitätsgrenzen des Netzes gestoßen ist und man nicht in der Lage war, zusätzliche Leitungen und Maste zu bauen."

    Der pazifische Inselstaat hat bis heute wenig Platz für Stromleitungen. Die deutschen Netzbetreiber stehen vor einem anderen Problem. Sie müssen immer mehr Windstrom aus dem dünn besiedelten Norden über zu schwach gewordene Leitungen in die großen Verbrauchszentren West – und Süddeutschlands transportieren. Das Netz ist am Limit. Doch der notwendige Ausbau stockt seit Jahren. Wenn an Leitungsengpässen Hochtemperaturseile zum Einsatz kämen, könnte man die drohende Gefahr eines Blackouts abwenden.

    "Es ist ganz klar: Diese Hochtemperaturseile können nur eine Art Brückentechnologie darstellen, denn ein Seil, das mit einer hohen Temperatur gefahren wird, hat natürlich auch erhöhte Leitungsverluste, das heißt, es geht Strom verloren. Nur muss man dies ins Verhältnis setzen zu einem Ausbau eines Netzes - was das für einen finanziellen Aufwand bedeutet, von der Dauer der Arbeiten ganz zu schweigen, steht eben nicht im Verhältnis zu einer Lösung, die heute oder morgen gebraucht wird und nicht in zwei Jahren. Und genau dort liegt die Aufgabe dieser Hochtemperaturseile, jetzt und schnell eine Lösung für die Kapazitäten des Freileitungsnetzes zu schaffen."

    Der Netzbetreiber "50 Hertz Transmission" will moderne Hochtemperaturtechnik in zwei Pilotprojekten am 380 kV-Höchstspannungsnetz einsetzen. 18 verschiedene Seiltypen gibt es auf dem Markt. Sechs davon will "50 Hertz" testen. Mit Trägerkernen aus Kunststoff, Glasfaser und Stahl. Das Leitermaterial bleibt hoch thermisches Aluminium. Doch eines sei jetzt schon sicher: Den notwendigen Netzausbau können diese Seile nicht ersetzen, betont Frank Golletz, technischer Geschäftsführer bei "50 Hertz Transmission".

    "Einsatzgebiete sehe ich aus heutiger Sicht nur punktuell. Denn der Gewinn an Transportkapazität ist beschränkt. Man muss sich das so vorstellen, das ist wie bei einer normalen Fernstraße. Ich bau´ eine dritte Spur hinzu, wo ich überholen kann, aber die Fernstraße hat dann noch nicht die Durchlässigkeit wie eine Autobahn."

    Die Hochtemperaturtechnik verschafft Zeit für den in der Bevölkerung so schwer durchsetzbaren Netzausbau. Denn herkömmliche Freileitungen sind durch Hochtemperaturseile im deutschen Stromnetz einfach austauschbar. Ohne aufwendige Genehmigungsverfahren, neue Trassen und Masten.