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Heiße Luft

Ted Heller ist der Sohn des amerikanischen Satirikers Joseph Heller. Ted Heller ist 43 Jahre alt, er hat als Journalist bei Zeitschriften wie "Spy", "Vanity Fair" oder "Details" gearbeitet. Und dafür nimmt er jetzt epische Rache: Slab Rat heißt sein erster Roman im Original. Ein "slab", also eine mächtig dicke Scheibe, meint in New Yorker Mundart einen Wolkenkratzer in Manhattan, und die "Slab Rat", die Scheiben-Ratte, ist eine Person, die in einem solchen Hochhaus arbeitet. So wie Zachary oder "Zack" Post, der Ich-Erzähler dieser Geschichte.

Hartmut Kasper | 07.02.2003
    Seine Scheibe ist das Haus der Verlagsfamilie "Versailles", 60 Stockwerke hoch, und auf 30 davon werden 30 verschiedene Magazine hergestellt. Die Zeitschriften heißen beispielsweise "Here", "There", "Boy", "Girl", "He", She", "Him, "Her" oder "It". Zachary Post arbeitet bei "It".

    In die sowieso schon unheile Welt von Zack Post bricht nun eines Tages - und damit beginnt die Handlung - ein neuer Mitarbeiter ein, Mark Larkin. Zwischen beiden ist es Hass auf den ersten Blick. Larkin ist der schiere Karrierist; er steigt so unaufhaltsam auf wie eine Faulblase im Sumpf, zieht alsbald am alteingesessenen Zack vorbei und wird dessen Chef. Spätestens jetzt muss man sich natürlich wehren.

    Larkin kommt dem Erzähler überhaupt reichlich ungelegen, denn sein Arbeitsalltag war bislang mit gekonntem Nichtstun und den üblichen Intrigen gegen Kollegen reichlich ausgefüllt. Was danach noch vom Tage übrig blieb, brauchte Zack eigentlich, um das verschlungene Geflecht seiner Beziehungen zu jungen Redaktionsleiterinnen und noch jüngeren Redaktionspraktikantinnen durch außerplanmäßige Paarungen zu verkomplizieren. Erstaunlich also, dass er nun auch noch Zeit findet, Ränke gegen Larkin zu schmieden, die schließlich in einem Mordkomplott gipfeln.

    Bevor Larkin aber diesem Komplott auf´s Schönste zum Opfer fällt, exekutiert er ein grandioses Zachary-Post-Quälprogramm: Er stopft Zacks Artikel mit ungenießbaren Adjektiven voll, schickt ihn zu Interviews mit - milde gesagt - interviewunwilligen Autoren, deportiert ihn für einige Tage nach London und bucht ihn dort in ein heruntergekommenes Hotel ein, das eine Hybride ist aus "Fawlty Towers" einerseits und einem sibirischen Gulag andererseits: eisig-unbeheizte Zimmer und ein Personal, das sich als natürlicher Feind aller Gäste versteht.

    Kein Wunder also, dass Zack dort, in London, sich betrinkt, betrunken durch ein Schaufenster fällt, sich dabei die Nase bricht, blutüberströmt und mit imposantem Verband den Eltern seiner aktuellen Liebschaft einen Besuch abstattet, woraufhin die betagte Mutter sich - vorgeblich zur Gartenarbeit - in den Garten flüchtet, stolpert, stürzt und stirbt, so dass Zack dem Hausherrn, Witwer und Schwiegervater in spe anbietet, seinen Namen mit Tipp-Ex wieder eigenhändig aus dem Gästebuch zu streichen.

    Schaden aller Orten, und wer auch nur einen leichten Hang zur Schadenfreude hat, wird hier königlich bedient. Denn Ted Heller ist ein Meister im Schildern menschlicher und zwischenmenschlicher Desaster, aus denen er seine oft slapstickartige Situationskomik schlägt.

    Wobei durch die Welt von Zack selbst manchmal der bittere Hauch von Tragik weht. Denn dieser Zack, dem offenbar der attraktivere Teil der weiblichen Redaktionsbesatzung gern zu willen ist, verfällt ausgerechnet der prüdesten, knochigsten und leidenschaftslosesten von allen, einer Engländerin.

    Und deren hauptsächlicher erotischer Reiz besteht darin, dass in ihrem Schlafzimmer - allerdings lang vor ihrer Geburt - im herrschaftlichen Haus ihrer Eltern einst Winston Churchill eine Zigarre gepafft hatte.

    Miss Leslie Usher-Soames heißt dieser England-Import, und Ted Heller wendet zwei Seiten auf um zu zeigen, wie die junge Engländerin aus dem Schlafzimmer heraus Zack per Zuruf zur rechten Entsorgung samengefüllter Kondome anleitet - "in einem Papiertuch in Zellophan in einer kleinen weißen Tüte im Inneren einer größere Tüte in einer großen Mülltonne". Aber selbst diese zwei Seiten scheinen eher knapp bemessen: man hätte gerne mehr erfahren.

    Denn Heller gibt den Alltäglichkeiten einen Dreh ins Wahnwitzige: den diversen Meetings der Redaktion, die so inquisitorisch ausfallen, dass selbst die katholische Kirche vor Neid erblassen müsste; den hochstaplerischen Lebensläufen, die sich die Protagonisten zugelegt haben und die sie jetzt erpressbar machen - es gibt fast mehr Erpressungspärchen in der Redaktion als Bettgenossenschaften -, oder den redaktionellen Entscheidungsfindungsritualen, gegen deren absurde Logik sich Alices Wonderland ausmacht wie das Inbild von Aufklärung und Vernunft.

    Hellers Erzähl-Gestus ist leicht episodisch; ein Wirbel von neu eingestellten oder aus dem Betrieb geekelten Personen erweckt den Eindruck von buntem Figurengewimmel; doch bleibt das Ganze konzentriert auf den kollegialen Krieg zwischen den Protagonisten Zack Post und Larkin. Dabei wird die ganze Geschichte solide realistisch vorgetragen, ohne erzähltechnische Neuerungen und Feuerwerke. Allerdings vermisst man eine derartige Beleuchtung bei dieser Gelegenheit auch nicht, bei diesem Debüt eines wirklich komischen Talents. Es war mir ein großes Vergnügen.