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Heißzeit
Klimaforscher: Erwärmung wird zu häufigeren Extremereignissen führen

Eine Heißzeit könnte sich auch dann einstellen, wenn das Pariser Klimaschutzabkommen eingehalten wird, sagte Jonathan Donges, Mitautor einer neuen Klima-Studie, im Dlf. Das könnte zu einer globalen Erwärmung von vier bis fünf Grad führen. Gerade deshalb sei es wichtig, an den Pariser Vorgaben festzuhalten.

Jonathan Donges im Gespräch mit Lennart Pyritz | 07.08.2018
    Ausgetrocknete Erde eines ehemaligen Ackers mit Trockenrissen in Israel
    Bei einem Anstieg der weltweiten Temperaturen auf bis zu fünf Grad könnte der mediterrane Raum wüstenartig werden (imago stock&people / blickwinkel M. Schaef)
    Lennart Pyritz: Viele dürften die derzeitige Hitze-Periode bereits als Heißzeit empfinden. Der Begriff wird in der Klimaforschung aber auch für ein globales Phänomen verwendet. Das wäre durch bis zu fünf fünf Grad Celsius höhere Temperaturen und einen Meeresspiegelanstieg von bis zu 60 Meter gekennzeichnet. Das schreibt ein Forschungsteam im Fachmagazin "PNAS". Und die Wissenschaftler warnen: Eine Heißzeit könnte sich auch dann einstellen, wenn das Pariser Klimaschutzabkommen eingehalten wird.
    Über die Einzelheiten der Studie habe ich vor der Sendung mit einem der Autoren gesprochen: Jonathan Donges vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Ich habe ihn zuerst gefragt, warum eine Heißzeit selbst dann eintreten könnte, wenn die globale Erwärmung auf 1,5 bis zwei Grad Celsius beschränkt würde?
    Jonathan Donges: Ja, wir haben eben in der Studie herausgearbeitet, dass es sogenannte selbstverstärkende Prozesse im Klimasystem gibt, die dazu führen können, dass es, wenn eine kritische Temperaturschwelle überschritten wird, in dem Fall zwei Grad globale Erwärmung, dass dann eben die Erwärmung, die durch den Menschen verursacht wird, noch mal durch das natürliche System verstärkt wird. Deshalb kann es sein, wenn man jetzt ganz knapp nur die zwei Grad des Pariser Klimaabkommens einhalten würde, dass man dann trotzdem diese Schwelle überschreitet.
    Eine kritische Schwelle bereits erreicht?
    Pyritz: Welche natürlichen Rückkopplungsmechanismen - oder Kippelemente nennen Sie das ja auch - könnten dabei eine Rolle spielen?
    Donges: Diese Rückkopplungsprozesse, die hängen eben, genau wie Sie sagen, mit sogenannten Kippelementen zusammen. Das sind Prozesse im Erdsystem, Subsysteme, die eben, wenn eine kritische Schwelle überschritten wird, in einen anderen Zustand übergehen können. Das sind zum Beispiel die großen Eismassen des Planeten, also das arktische Sommermeereis, das Grönland-Eisschild und auch das antarktische Eisschild. Bei dem westantarktischen Eisschild gibt es schon Hinweise, dass eine solche kritische Schwelle bereits überschritten sein könnte mit der globalen Erwärmung von einem Grad, die wir eben heute schon haben.
    Wichtige Mechanismen sind auch das teilweise Absterben der borealen Wälder in Russland und Kanada, boreale Nadelwälder. Was eben dann Kohlenstoff, der dort bisher gespeichert ist im Holz, selbst sich in der Biomasse freisetzen kann, sodass der in die Atmosphäre gelangt und damit den Klimawandel weiter verstärkt. Ein möglicher Prozess ist auch das Auftauen des Permafrostbodens, gerade auch im Norden Amerikas und Eurasiens, und dann auch noch andere Prozesse, die weniger gut verstanden sind, wie zum Beispiel sogenannte Methanhydrate - Kunststoff, Chemikalien, die auf dem Meeresboden liegen und die auch durch den Klimawandel in die Atmosphäre freigesetzt werden könnten.
    Im Mittelmeerraum eher wüstenartig
    Pyritz: Was würde denn so ein Szenario für die Ökosysteme und für Lebensprozesse auf der Erde bedeuten?
    Donges: Diese Rückkopplungsprozesse könnten eben auf lange Sicht dazu führen, dass eine globale Erwärmung von deutlich über zwei Grad, nämlich von im Vergleich zum vorindustriellen Zustand sogar vier bis fünf Grad erreicht werden kann, selbst wenn die Menschen die Emissionen begrenzen im Rahmen des Pariser Klimaabkommens. Und diese starke Erwärmung, die wird eben zu sehr viel stärkeren und häufigeren Extremereignissen führen, wie Dürren, Hitzewellen und Überschwemmungen zum Beispiel. Was natürlich große Auswirkungen hat auf die Landwirtschaft, aber natürlich auch auf Ökosysteme. Also auf lange Sicht werden sich Biome, Ökosysteme auch verschieben, sodass zum Beispiel im mediterranen Raum in vielen Gebieten es vielleicht eher wüstenartig sein wird und in Mitteleuropa das Klima dann vielleicht eher vergleichbar sein wird mit dem heutigen Klima in Italien.
    Pyritz: Wie genau lassen sich denn solche Effekte überhaupt berechnen oder vorhersagen, also mit was für einer Wahrscheinlichkeit können Sie so ein Szenario ansetzen?
    Donges: Ja, dass die Erde unter einer bestimmten Menge von freigesetzten Treibhausgasen eine bestimmte Erwärmung erreichen wird, das kann man sehr genau vorhersagen: Zum einen, weil man die zugrunde liegenden physikalischen Prinzipien sehr, sehr gut versteht. Also das sind im Grunde Dinge wie Energieerhaltung, Thermodynamik, die dahinterstecken, wo man gar keine großen Computer braucht. Aber eben auch die großen Computersimulationen mit Klimamodellen, wo man das eben viel mehr im Detail verstehen kann und untersuchen kann, die dann da zusätzliche Konfidenz geben und Detail.
    Man kann allerdings bei diesen sogenannten Kippelementen, diesen kritischen Schwellen, da kann man bisher nur Spannweiten angeben, wo denn diese Schwelle liegen könnte. Zum Beispiel kann man eben sagen, nehmen wir mal Grönland, da könnte sie zum Beispiel etwa zwischen 1,5 Grad oder auch drei Grad liegen, also eine relativ große Spanne. Und das ist bei den anderen Kippelementen in der Regel auch so. Das kann man heute noch nicht so genau sagen.
    Genügend Sicherheitsabstand zu kritischen Schwellenwerten halten
    Pyritz: Welche Handlungsempfehlungen lässt dann zumindest das reelle Risiko, dass es zu so einer Heißzeit kommen könnte, welche Handlungsempfehlungen lassen sich daraus ableiten - für die Politik, aber vielleicht auch für das Handeln von jedem Einzelnen, jeder Einzelnen von uns?
    Donges: Es ist ganz wichtig, auch zu betonen, dass weiterhin das Pariser Klimaabkommen zur Begrenzung des Klimawandels auf 1,5 Grad und höchstens zwei Grad eine sehr, sehr gute Strategie darstellt, um dieses Risiko einer Heißzeit zu minimieren. Insbesondere sollte man da auf das noch ambitioniertere Ziel von 1,5 Grad schauen, weil man damit nämlich genügend Sicherheitsabstand hält von diesen kritischen Schwellwerten, die eben in der Gegend von zwei Grad eher liegen, was unsere Studie zeigt.
    Dinge, die man jetzt ganz konkret machen muss, sind zum Beispiel ein Umbau des Energiesystems, also der schnelle Ausstieg aus der Kohleenergie, was ja gerade auch politisch auf verschiedenen Ebenen viel diskutiert wird. Und andere politische Instrumente, die diskutiert werden, wie zum Beispiel Kohlenstoffsteuern.
    Auf der zivilgesellschaftlichen Ebene gibt es auch viele Initiativen, die wichtig sind. Zum Beispiel weiß man, dass eine Ernährung mit weniger Fleisch, mehr Gemüse zum Beispiel sehr, sehr viel den Klimawandel abmildern kann. Also Ernährungsveränderung, Ernährungswandel ist zum Beispiel eine Sache, wo jeder etwas zu beitragen kann. Oder eben auch versuchen, auf die Politik einzuwirken und eben einen Wandel herbeizuführen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.