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Helen Wolff: „Hintergrund für Liebe“
Nach Saint Tropez, der Liebe wegen

Helen Wolff war eine legendäre Verlegerin. Was weniger bekannt ist: Vor ihrer Emigration in die USA schrieb sie selbst. Ihre zauberhafte Sommergeschichte aus dem Jahr 1932 spielt vor düsterem Hintergrund - und wurde nun erstmals, 26 Jahre nach ihrem Tod publiziert.

Von Julia Schröder | 25.05.2020
Helen Wolff 1931 und ihr Buch „Hintergrund für Liebe“
Spät entdeckte Leseperle: Der posthum publizierte Liebesroman der Verlegerin Helen Wolff (privat / Weidle Verlag)
Als Helen Wolff 1994 hochbetagt starb, würdigten internationale Medien wie die New York Times sie als große Verlegerpersönlichkeit und Vermittlerin europäischen Geistes in den USA. Günter Grass, neben Max Frisch und Uwe Johnson ein Autor ihres Verlags, schrieb über sie, ohne diese Verlegerin "hätte die deutschsprachige erzählende Literatur in Amerika nur minimale Chancen gehabt".
Helen Wolffs Nachruhm schien in diesen Nekrologen fast den ihres 1963 verstorbenen Ehemanns und Co-Verlegers Kurt Wolff in den Schatten zu stellen. Ihr selbst wäre das wohl kaum recht gewesen. Ende der Zwanzigerjahre war die junge Helene Mosel, geboren 1906 im serbischen Teil des Habsburgerreichs, in Kurt Wolffs Verlag gekommen, den Verlag der Expressionisten und Franz Kafkas. Zuvor hatte sie als Kindermädchen gearbeitet, nun diente sie dem berühmten Verleger als Mädchen für alles: als Übersetzerin, Privatsekretärin, Lektorin. Sie wurde Kurt Wolffs Geliebte, dann - 1933 - seine Ehefrau und emigrierte mit ihm nach Italien, nach Frankreich, schließlich nach New York.
Sie stand lange im Schatten ihres berühmten Mannes
Jahrzehntelang stellte Helen Wolff, die fast 20 Jahre Jüngere, ihre ganze Tatkraft und Urteilsfähigkeit, ihr Sprachentalent und ihre Freundschaftsbegabung in den Dienst ihres Mannes. Beziehungsweise: In den Dienst der gemeinsamen verlegerischen Mission, die sie nach seinem Tod bis Anfang der Achtzigerjahre weiterführte.

Für das Büchermachen hatte Helen Wolff allerdings eine andere Lebens- und Schaffensmöglichkeit aufgegeben: das eigene Schreiben. Das erfährt die Leserin aus einem Büchlein, das jetzt im Bonner Weidle Verlag erschienen ist. Es enthält eine längere, bisher unveröffentlichte Erzählung von Helen Wolff, entstanden im Spätsommer 1932: "Hintergrund für Liebe", Untertitel "Das Buch eines Sommers". Ein Titel, der an Kurt Tucholskys "Schloss Gripsholm - ein Sommerbuch" von 1931 erinnert. Vielleicht nicht zufällig.
Wie Tucholsky schickt Helen Wolff zwei Liebende auf eine sommerliche Reise in eine reizvolle Landschaft; dort wird sich entscheiden, wie es mit den beiden weitergeht. Und ähnlich Tucholsky verwandelt auch Helen Wolff autobiografisches Material in fiktive Prosa von zauberhafter Leichtigkeit, in der das heraufziehende politische Unheil dennoch mitschwingt.
"Cointreau" und "Pernod" statt "Hitler" und "Hindenburg"
In "Hintergrund für Liebe" ist die Erzählerin eine junge Frau. Bisher kennt sie ihren um einiges älteren Geliebten aus dem gemeinsamen deutschen Arbeitsalltag, jetzt brausen die beiden in seinem großen Wagen Richtung Südfrankreich:
"Man kann den Mund so schön voll nehmen mit französischen Ortsnamen, und alle haben einen würzigen Nebenklang. Wir werden kühn. Wir vergessen die heimatlichen Gewitterwolken. Du redest von Trüffeln und willst heute Abend einen warmen Châteauneuf du Pape trinken – es gibt doch Grenzen, die man überschreitet, Lust am Leben, die aus der Erde wächst. Hie Cointreau, hie Pernod rufen die Plakate – Hitler und Hindenburg sind weit."
Er, der Welterfahrene, will seiner jungen Freundin die Côte d‘Azur zu Füßen legen. Doch die beiden Frankreich-Reisenden unterscheidet bei aller Vertrautheit einiges, wie sich zeigt. Ihn zieht es in überfüllte Bars, an den Spieltisch, zu einer eleganten, blonden Dame. Und in bequeme Hotels. Die Erzählerin aber träumt von anderen Dingen:
"Alle Leute wohnen im Hotel. Nein, es muss ein Häuschen sein. Und es soll auf einer Wiese stehen, und eine weiße Katze soll auf dem Brunnen sitzen, und sie soll schnurren, wenn man sie nur ansieht. Und ich will einen Feigenbaum vor der Türe, und dann wollen wir alt werden wie Philemon und Baucis und nie wieder fortgehen nach München oder Berlin."
Um es kurz zu machen: Sie bekommt Häuschen, Wiese, Kätzchen und Feigenbaum, und er bekommt – vorerst – die elegante Dame. Die Erzählerin findet aber nicht nur eine weißgetünchte Hütte in den Weinbergen oberhalb von Saint Tropez, sie findet auch neue Freunde und ein Dasein unter südlicher Sonne, in dem das gelebt werden kann, was wirklich wichtig ist: Freundschaft, Schönheit, Freiheit und Trost im Liebeskummer. Der Mann jedoch ist die mondäne Reiseliebschaft irgendwann leid – und kreuzt wieder bei seiner jungen Freundin auf.
Nun ist sie es, die ihm das neue, leichte und zugleich wesentlichere Leben unter der Sonne der Provence zu Füßen legt. Am Ende aber müssen die zwei glücklich Wiedervereinten zurück nach Deutschland, "unter einen strengen Himmel, unter ein strenges Gesetz", wie es heißt.
Die Lust am Erwachsenwerden – auch wenn’s wehtut
Als Musterbeispiel feministischer Literatur taugt Helen Wolffs "Hintergrund für Liebe" kaum. Aber der Text, durchgehend im Präsens erzählt, ist durchglüht von einer ganz jugendlichen Empfindungsbereitschaft, von der Lust am Erwachsenwerden, auch wenn’s wehtut. Die anfangs ein wenig zaghafte, skeptische Heldin entwickelt die Fähigkeit, das Schöne und das Gute wahrzunehmen, wenn es ihr begegnet, und sich das Hohle, Eitle vom Leib zu halten.
So beschert Helen Wolff ihren Lesern eine Spielbank-Szene, die im Unterschied zu großen Teilen der Weltliteratur das scheinlebendige Wesen des Casino-Trubels in seiner ganzen abgeschmackten Fadheit würdigt. Erzählerische Versiertheit zeigt sie auch in hübschen Porträtskizzen, munteren Dialogen und glänzenden Schilderungen der in allen Farben leuchtenden Landschaft zwischen Meeres- und Himmelsblau - einer Landschaft, die sie während dreier längerer Aufenthalte mit ihrem späteren Ehemann Kurt zwischen 1929 und 1931 lieben gelernt hatte.
Helen Wolff unternahm mehrere Anläufe, diese Erzählung zu veröffentlichen, den letzten 1941. Danach hat sie sie, zusammen mit ihren anderen Manuskripten, in einen Umschlag gesteckt, auf den sie schrieb, man solle das alles nach ihrem Ableben nicht lesen, sondern vernichten, wörtlich: "At my death, burn or throw away unread!"
Zum Glück hat sich Helen Wolffs Großnichte, die Historikerin und Literaturwissenschaftlerin Marion Detjen, darüber hinweggesetzt. Stattdessen hat Detjen "Hintergrund für Liebe" nicht nur herausgegeben, sondern auch um einen großen Essay bereichert. Er nimmt fast die Hälfte des Buchs ein, und er ist auf seine Weise ebenso lesenswert wie die erstmals veröffentlichte Erzählung selbst. Detjen zeichnet das Kapitel deutscher und amerikanischer Verlagsgeschichte nach, das sich mit den Namen Helen und Kurt Wolff verbindet, und zieht Orientierungslinien durch die geistigen Lebensformen jener Jahre zwischen Weltwirtschaftskrise und Emigration.
Selbst zu schreiben, hatte Helen Wolff nicht mehr nötig
Warum aber hat Helen Wolff zeit ihres langen Verlegerinnen-Lebens in Amerika die eigenen literarischen Anfänge nicht wieder aufgegriffen, ja, regelrecht verschwiegen? Nun, sie sah ihre Lebensaufgabe anderswo, so jedenfalls Detjen:
"Der Beruf als Verlegerin war ihr mindestens so recht wie der Beruf als Schriftstellerin. Selbst zu schreiben, hatte sie nicht mehr nötig. Und zu erklären, wie alles so gekommen war, konnte sie der Nachwelt überlassen, solange diese nur kein Schindluder damit trieb."
Jetzt kann sich die Nachwelt endlich selbst ein Bild machen. Man sagt, Lesen sei Reisen im Kopf. Helen Wolffs "Hintergrund für Liebe" zu lesen, kommt, um im Bild zu bleiben, einer unwiderstehlichen Entführung gleich.
Helen Wolff: "Hintergrund für Liebe. Das Buch eines Sommers". Roman.
Herausgegeben und mit einem Essay von Marion Detjen.
Weidle Verlag, Bonn. 216 Seiten, 20 Euro.