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Henkel: Mit Opel keinen Präzedenzfall staatlicher Übernahme schaffen

Nach Ansicht von Hans-Olaf Henkel solle der Staat sich zwar im Bankensektor engagieren, um Unternehmen zu retten, nicht aber im Industriebereich. Der ehemalige BDI-Chef wandte sich auch gegen Staatsbeihilfen für Opel: "Wenn man Opel hilft, dann müsste man am nächsten Tag BMW helfen und dann Daimler und dann den ganzen Zulieferern. Und dann haben wir über Nacht, ohne dass wir es merken, die DDR wieder eingeführt".

Hans-Olaf Henkel im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 21.02.2009
    Jürgen Zurheide: Das Konjunkturpaket ist durchgewunken, das ist der erste Teil - auf jeden Teil glaubt das zumindest die Bundesregierung -, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Der andere Teil1 ist, wie kann man denn das eine oder andere Unternehmen retten. Über Opel wird viel diskutiert, und dann gibt es ja auch noch die anderen Beispiele, wo der Staat sich möglicherweise beteiligen und einmischen will. Über all das wollen wir reden, und dazu begrüße ich Hans-Olaf Henkel am Telefon. Guten Morgen, Herr Henkel!

    Hans-Olaf Henkel: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Henkel, beginnen wir mal mit dem Konjunkturpaket. Glauben Sie eigentlich an die versprochene Wirkung oder treibt Sie die Sorge um, wer soll denn die Schulden mal alle bezahlen, die da angehäuft werden?

    Henkel: Tja, ich habe beide Reaktionen. Ich hoffe, dass es wirkt, denn dass die Konjunktur abstürzt, das erleben wir ja alle. Die Frage ist natürlich, in welcher Form wird es ein "U", mit anderen Worten, geht es irgendwann mal wieder nach oben, oder wird es ein "V", dann wird es sehr schnell nach oben, oder wird es ein "L", dann dauert es sehr lange. Ich persönlich glaube, dass es wieder nach oben geht. Und das ist, glaube ich, ganz wichtig bei dieser Diskussion, dass man nicht an dem Wirtschaftssystem zweifelt. Es ist immer wieder nach oben gegangen, und das wird diesmal auch passieren.

    Zurheide: Über die Rolle des Staates wollen wir gleich noch mal sprechen. Glauben Sie denn, dass die Akzente im Paket grundsätzlich richtig gesetzt sind? Sie legen ja starken Wert darauf, dass man öffentliche Investitionen, da, wo sie in den vergangenen Jahren möglicherweise zu kurz gekommen sind - wir haben vorhin über Oberhausen hier in dieser Sendung gesprochen -, dass da angesetzt wird. Halten Sie das von der Tendenz für richtig?

    Henkel: Ich halte das für richtig, denn natürlich hätte man sagen können, solche Investitionen in Schulen oder andere Infrastrukturelemente hätten schon früher stattfinden müssen. Aber jetzt sind sie gerade besonders wichtig für das Anspringen der Konjunktur. Und was soll die Bundesregierung sonst machen?

    Zurheide: Steuer senken, sagt der ein oder andere. Nur, dann fragt man sich natürlich auch, wo soll das herkommen?

    Henkel: Das ist richtig, wobei man natürlich nicht vergessen darf, dass die Große Koalition in der Vergangenheit das größte Steuererhöhungsprogramm in der ganzen Geschichte der Bundesregierung oder Bundesrepublik aufgesetzt hat. Etwas zurückzugeben an den Verbraucher, wäre wahrscheinlich nicht falsch. Ich denke hier zum Beispiel an die Mehrwertsteuer, weil gerade die Mehrwertsteuer die Bezieher niedriger Einkommen entlasten würde, so wie sie durch die Erhöhung ja auch belastet wurden. Also ein oder zwei Prozentpunkte würden direkt in den Konsum gehen, das darf man bei dieser ganzen Diskussion nicht vergessen.

    Zurheide: Kommen wir zur Rolle des Staates. Da sagen ja viele ganz eindeutig, wir hatten einen zu schwachen Staat, wenn wir zum Beispiel an manche Regulierungen oder besser gesagt fehlende Regulierungen bei den Finanzmärkten denken. Ist die Analyse aus Ihrer Sicht richtig?

    Henkel: Nein. Es ist teilweise richtig. Natürlich haben wir in der Wirtschaft, und ja nicht nur in der Wirtschaft, schon zu Recht seit Jahren die massive Bürokratisierungswelle beklagt, und es gab in Deutschland zum Beispiel kaum einen Industriesektor, der so reguliert war wie die Finanzindustrie.

    Allerdings ist eins übersehen worden: Wir sind in eine globalisierte Bankenwelt hineingelaufen, und da braucht man natürlich globale Regeln, und die hat es nicht gegeben. Ich erinnere mich gut, als der Binnenmarkt kam, da hatten wir plötzlich in der Europäischen Union eine europäische Kartellbehörde, weil wir keinen deutschen, sondern einen europäischen Markt hatten. Jetzt in einem globalen Markt hätten wir eigentlich eine weltweite Kartellbehörde haben müssen. Und analog gilt das auch für die anderen Finanzregeln.

    Wenn die Wirtschaft sich globalisiert - und das hat sie ja getan -, dann hätte die Politik eigentlich dafür sorgen müssen, dass es entsprechende globale Regeln gibt, und das ist unterblieben.

    Zurheide: Also ich spreche Sie jetzt mal an, Sie sind in Hamburg geboren, und ich bemühe mal das Bild des ehrbaren Hamburger Kaufmanns. Ich meine, für den ist doch vermutlich undenkbar, dass man außerhalb der Bilanz irgendwelche, ich sage jetzt gar nicht Risiken, aber Dinge führt, die ein Vielfaches des Eigenkapitals umfassen. Das widerspricht doch a) gegen Gepflogenheiten und b) möglicherweise auch fehlten da Regulierungen. Richtig oder falsch?

    Henkel: Absolut richtig, beides ist richtig. Wenn ich an meine eigene berufliche aktive Laufbahn zurückblicke - ich war ja nun "nur" in der Industrie, nur in Anführungsstrichen und nicht bei den Banken oder Versicherungen -, dann wäre mir das nie in den Sinn gekommen. Und ich habe auch mit großem Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass das sozusagen möglich war. Auch hier sieht man ganz deutlich, dass es ein Manko an den Regulierungen gab. Und jetzt hören wir ja, dass alle Regierungschefs, die sich darum bemühen, in Zukunft die richtigen Regeln zu finden, dass man das eben eingrenzen will und unmöglich machen will. Die Risiken, die ein Unternehmen hat, die müssen gezeigt werden. Das ist nicht nur eine Regel des ehrbaren Hamburger Kaufmanns, das ist eigentlich gesunder Menschenverstand. Und da müssen wir wieder hinkommen.

    Zurheide: Auf der anderen Seite, wenn wir hier feststellen, dass dieser gesunde Menschenverstand offensichtlich doch so massiv außer Kraft gesetzt worden ist durch was auch immer - der eine oder andere sagt, Gier stünde dahinter, ich weiß nicht, ob das zieht -, müssen wir uns da nicht schon auch über das System Gedanken machen, dass da irgendwas aus dem Ruder gelaufen ist, auch systemisch, denn es sind ja nicht nur Einzelne, die sich fehlverhalten haben?

    Henkel: Ja, das ist richtig. Ich würde mal das Beispiel mit einem Fußballspiel nehmen. Wenn da plötzlich eine Mannschaft mit zwölf Spielern aufkreuzt statt elf, dann wird ein Spieler vom Feld geschickt durch den Schiedsrichter. Oder wenn jemand ein Foul begeht, dann kriegt der eine gelbe Karte oder eine rote und wird vom Platz gestellt, es gibt Elfmeter usw.

    Was ich damit sagen will, ist, es gibt auch beim Fußball natürlich viele Regelverletzungen, und die müssen geahndet werden. Und eventuell muss man auch mal eine Regel hinzufügen, das hat man ja beim Fußball in den letzten Dekaden auch schon gemacht. Aber keiner kommt doch auf die Idee, zu sagen, das Fußballspiel taugt nichts.

    Und genauso müssen wir jetzt reagieren. Es wurden Regeln verletzt, es fehlten Regeln, wie wir gerade besprochen haben, aber um Gottes Willen, sie dürfen das Vertrauen in die marktwirtschaftliche Ordnung nicht verlieren. Es gibt keine bessere Ordnung, das haben wir doch in den letzten Jahrhunderten klar und deutlich erlebt.

    Zurheide: Wenn der Staat sich dann engagiert - jetzt komme ich mal auf das Beispiel Hypo Real Estate mit bisher fast unvorstellbaren Summen, zum Glück überwiegend als Garantie und noch nicht als gezogene Leistungen -, was sind die Gegenleistungen? Wie weit darf, wie weit muss das gehen?

    Henkel: Also hier habe ich auch eine Menge gelernt. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich mal eine Regierung unterstütze, wenn sie einer Bank hilft oder einem ganzen Finanzsektor. Ich glaube, da hat die Regierung und alle Regierungen in der Welt richtig reagiert, wenn man mal die Ausnahme in den Vereinigten Staaten abzieht - die haben ja eine sehr wichtige Bank, Lehman Brothers, vor die Wand fahren lassen, mit den bekannten Folgen. Eine Bank gegen die Wand fahren zu lassen, bedeutet, dass die gesamten Teilnehmer der Wirtschaft das Vertrauen in das System verlieren. Das heißt, sie laufen alle zum Bankschalter, wollen ihr Geld haben, und Sie können sich ja vorstellen, was das bedeutet.

    Also die Unterstützungsaktion im Bankensektor halte ich für richtig. Und Sie haben ja schon darauf hingewiesen, dass all diese Milliarden, von denen man da redet, ja noch nicht ausgegeben sind. Es gibt ja Beispiele, zum Beispiel in Schweden und vor 30 Jahren in den Vereinigten Staaten, dass auch dort der Staat kurzzeitig Banken verstaatlicht hat, die hat er dann aber nach wenigen Jahren mit Gewinn wieder verkaufen können. Das heißt, hier brauchen wir uns keine so große Sorgen zu machen, dass das Geld aus dem Fenster geworfen wird. Anders ist das in Industrieunternehmen.

    Zurheide: So, da wäre ich nämlich gerade drauf gekommen, jetzt kommen wir zum Stichwort Opel. Wie beurteilen Sie das, dass der eine oder andere Arbeiterführer, sowohl aus der SPD wie aus der CDU, dabei ist, Opel mit Milliarden zu stützen?

    Henkel: Extrem kritisch. Ich habe ja schon gesagt, und Sie haben ja darauf hingewiesen, ich war ja mal für die deutsche Industrie verantwortlich und nicht für die Banken, und trotzdem bin ich der Meinung, dass man den Banken helfen muss und nicht der Industrie. Also man soll mir abnehmen, dass [ich] das, was ich sage, zutiefst glaube. Es macht keinen Sinn, sich hier bei der Automobilindustrie zu engagieren. Denn wo ist das Ende? Wenn man Opel hilft, dann müsste man am nächsten Tag BMW helfen und dann Daimler und dann den ganzen Zulieferern. Und dann haben wir über Nacht, ohne dass wir es merken, die DDR wieder eingeführt.

    Übrigens, ich glaube auch nicht, dass das so fürchterlich dramatisch ist. Natürlich für Bochum oder Eisenach, und da muss man natürlich helfen. Aber vergessen wir doch nicht - und ich bin alt genug, um mich dran zu erinnern: Ich weiß noch, wie die Firma Borgward in Bremen zugemacht wurde. Das heißt ja nicht, dass Bremen den Bach runterging, sondern wir haben heute in Bremen mehr Arbeitskräfte im Automobilsektor als noch mit Borgward. Oder denken Sie an die ganzen automobilen Marken wie Janus oder NSU oder Wankel oder DKW oder Horch, die sind mir alle noch in bester Erinnerung, die sind alle weg. Und trotzdem hat Deutschland überlebt. Also wir dürfen hier auf keinen Fall den Präzedenzfall schaffen, dass ein Industrieunternehmen vom Staat übernommen wird. Das geht auf keinen Fall!

    Zurheide: Danke schön. Das war Hans-Olaf Henkel, der frühere BDI-Präsident. Ich bedanke mich bei Ihnen für das Gespräch, auf Wiederhören!

    Henkel: Bitte schön, auf Wiederhören!