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Hennen auf Tour

Ein etwa acht Quadratmeter großes Stück Rasen: Mehr benötigt man in Leipzig nicht, um sich einen Monat lang vom Verein "Die Stadtpflanzer" vier Hennen auszuleihen. Zaun, Futter und Stall werden gestellt. Seit Juni sind die Leihhühner unterwegs, schon jetzt gibt es mehr Interessenten als Hennen.

Von Iris Riedel | 16.08.2013
    Vier Hühner scharren vergnügt auf dem Kompost im Hinterhof eines Leipziger Mietshauses. Eines ist grau-weiß geschippert, das zweite weiß, das dritte braun und das vierte schwarz mit einem grünen Schimmer. Gundula Formella und ihr zweijähriger Sohn Alfred haben sich einen Monat um die vier Hühnerdamen gekümmert.

    "Wir hatten vorher schon mal über Hühner nachgedacht, weil der Hof halt so groß ist. Dann haben wir das Projekt gehört und gedacht, da können wir das erst mal testen."

    Das Leihhühner-Projekt "Nimm 4" funktioniert so: Man wählt die Nummer der Leipziger Hühnerhotline, beschreibt die zur Verfügung stehende Fläche und nennt den Monat, in dem man die Hühner bei sich aufnehmen möchte. Am anderen Ende sitzt Daniel Janko vom Leipziger Verein "Die Stadtpflanzer". Der Verein möchte Stadtbürger ermuntern, ihr Umfeld mit Grün lebenswerter zu machen. Selbstverantwortliche Stadtentwicklung nennt Landschaftsarchitekt Janko das. Seit Juni verleihen er und seine Mitstreiter vier Stadthühner für jeweils vier Wochen.

    "Die Ziele sind, Leuten zu zeigen, dass das mit der Selbstversorgung eigentlich gar nicht schwer ist, dass das durchaus Spaß machen kann, und dass das auch auf Flächen funktionieren kann, wo man sich das nicht so vorstellt."

    Inspiriert wurden die Stadtpflanzer durch ein Projekt der Künstlerin Ursula Achternkamp, die 2011 und 2012 unter dem Slogan "Chicks on speed" Hühner innerhalb der Bauhaus-Siedlung Dessau-Törten auf eine Nutztiertournee schickte. Diese Siedlung hatte Bauhaus-Architekt Walter Gropius entworfen. Die Idee war, günstigen Wohnraum zu schaffen, wo die Möglichkeit zur Selbstversorgung besteht.

    So entstanden zwischen 1926 und 1928 314 Reihenhäuser mit Gärten. Achternkamp wollte zeigen, dass die Siedlung trotz zahlreicher Swimmingpools und Garagen noch immer ihren ursprünglichen Zweck erfüllen kann. Daniel Janko:

    "Dort war es nicht ganz so städtisch, das waren eher Einfamilienhäuser, das war alles vom Flair her, wenn man auf die Fotos guckt, fast dörflich. Wir dachten einfach: Hey, lass uns das doch mal in der Stadt probieren. Ich bin jetzt so oft in Hinterhöfen gewesen, wo man einfach so eine Riesenfläche hat. Und die wird im Prinzip zum Rasenmähen genutzt."

    Egal, ob Hinterhof, Brachland oder der Garten einer KiTa. Alles, was der potenzielle Hühnerhalter braucht, ist ein Stück Rasen von maximal acht Quadratmetern. Zaun, Futter und Stall bringen die Stadtpflanzer mit.

    "Im Prinzip sind die relativ pflegeleicht. Man muss jeden Morgen die Klappe vom Stall aufmachen und den Stall einmal grob reinigen. Dann muss man sie füttern, gucken, ob genügend Wasser da ist. Dann muss man abends, wenn die Hühner drin sind, die gehen so gegen neun Uhr ins Bett, da muss man die Klappe zu machen."

    Auf dem Hof der Formellas ist der orangene Zaun schon eingerollt, heute ziehen die vier Hühner weiter. Zurück bleibt ein kreisrunder brauner Fleck und Wehmut, denn inzwischen sind die Tiere so zutraulich geworden, dass sie sich streicheln lassen. Daniel Janko fängt die umherstolzierenden Grazien ein und setzt sie in einen Umzugskarton.

    "So einer hat jetzt hier Kistenwache."

    Das nächste Domizil ist ein Altenpflegeheim im Leipziger Osten. Ergotherapeut Johannes Eulitz hat die Hühner dorthin eingeladen.

    "Es soll einfach so eine biografische Arbeit sein. Da kann man sich zurückerinnern, und da werden Geschichten erzählt. Es wird auch eine intergenerative Sache werden. Es gibt einen Kindergarten, der da um die Ecke ist."

    Ein Elterndienst werde gerade organisiert, denn die größte Hürde für Firmen und Tageseinrichtungen ist, dass jemand am Abend den Stall schließen muss, damit die possierlichen Tierchen nicht von Fuchs oder Marder geholt werden. Aber gerade, wo viele sind, kann man sich die Pflege teilen. Und so gibt es viel mehr Interessenten als Hühner.

    Aber mehr als ein Hühnerquartett zu verleihen, könnten die Mitglieder des Vereins ehrenamtlich nicht leisten. Die Ausstattung wird durch Spenden finanziert. Die Paten bekommen das liebe Federvieh kostenlos. Und es springt noch etwas für sie heraus: Wenn sich die Hühnerdamen wohlfühlen, gibt es jeden Tag ein Frühstücksei der Güteklasse 1, mit ein bisschen Glück auch zwei oder drei.