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Herbstgutachten
Wachstumsprognose nur noch bei 0,5 Prozent

Das Wachstum in der deutschen Wirtschaft schwächt sich laut Herbstgutachten weiter ab. Die führenden Wirtschaftsinstitute sehen dafür vor allem zwei Gründe: den Brexit und die Handelskonflikte. Sie fordern nun eine Abkehr von der Schwarzen Null und kritisierten das Klimapaket der Bundesregierung.

Von Volker Finthammer | 02.10.2019
Aufnahme in der Bundespressekonferenz in Berlin: Timo Wollmershäuser, ifo Institut; Torsten Schmidt, RWI Essen; Stefan Kooths, Institut für Weltwirtschaft Kiel; Oliver Holtemöller, Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle; Malte Rieth, DIW Berlin; Claus Michelsen, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e. V. in Berlin
Vorstellung des Herbstgutachtens der Wirtschaftsforschungsinstitute (dpa/ Kay Nietfeld)
Fast schon wird es zur Gewohnheit der Gutachter: Es sind der Brexit, dessen Ausgang immer noch ungewiss ist, sowie der Handelsstreit zwischen den USA und China und die Androhung weiterer Strafzölle, die für die weltweiten Unsicherheiten sorgen und maßgeblich für den Einbruch der Industrieproduktion verantwortlich sind.
"Industrie in der Rezession, Wachstumskräfte schwinden" haben die Gutachter deshalb auch ihre Gemeinschaftsdiagnose überschrieben. Seit Mitte des vergangenen Jahres geht die Industrieproduktion zurück und werden Überkapazitäten bis hin zum Personalabbau zurückgefahren. So verzeichnet etwa die Automobilindustrie einen Produktionseinbruch von über 20% - mit den entsprechenden Folgewirkungen.
"Die Institute revidieren daher ihre Prognose gegenüber denn Frühjahr auf nunmehr 0,5 Prozent. Angesichts der trüben Geschäftserwartungen in der Industrie dürften die Unternehmensinvestitionen im zweiten Halbjahr 2019 deutlich zurückgehen. Erst mit einer Erholung des Exportgeschäfts dürfte es hier wieder zu etwas mehr Dynamik kommen", sagt der Sprecher der Gemeinschaftsgutachter, Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
Sondereffekte im kommenden Jahr
Im kommenden Jahr sieht mit einem Wachstum von 1,1 Prozent schon wieder besser aus. Allerdings enthält dieser Wert auch einen statistischen Effekt von 0,4 Prozentpunkten, der sich allein aus zusätzlichen Arbeitstagen ergibt.
"Die gesamtwirtschaftliche Auslastung liegt derzeit immer noch über dem langjährigen Durchschnitt, von einer tiefen Konjunkturkrise kann also trotz der rückläufigen Wirtschaftsleistung derzeit noch nicht gesprochen werden."
Ein umfangreiches Konjunkturprogramm, wie etwa die frühere Abwrackprämie in der Automobilbranche, lehnen die Gutachter ab. Allerdings betonen sie auch, dass die Schwarze Null kein Selbstzweck sein sollte. "Dem Abschwung hinterher zu sparen, verschärft die Probleme, zudem sind die Abwärtsrisiken derzeit ausgesprochen hoch", betont Claus Michelsen.
Bremswirkung am Arbeitsmarkt
Zumal die Finanzpolitik des Bundes bereits in den kommenden Jahren eine konjunkturstützende Wirkung hat, etwa durch die höheren Leistungen in der Rentenversicherung oder dem gestiegenen Kindergeld, Entlastungen bei der Einkommenssteuer und der Teilabschaffung des Solidaritätszuschlags ab 2021 und die steigenden Investitionsausgaben des Bundes.
Zudem können die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden auch in diesem Jahr mit Haushaltsüberschüssen rechnen, die den Spielraum erhöhen. Das wird sich in Zukunft nicht im gleichen Maße fortsetzen.
Diese einsetzende Bremswirkung gilt auch für den Arbeitsmarkt. Dort bleibt der Beschäftigungszuwachs zwar insgesamt positiv. So erwarten die Institute 380.000 zusätzliche Stellen allein in diesen Jahr, was sich in den kommenden beiden Jahren nur noch in abgeschwächter Form fortsetzen soll.
"Konsumverzicht wäre nötig"
Eher ungewöhnlich und geradezu Neuland ist die Empfehlung, die die Gutachter in Sachen Klimapolitik geben, wo sie explizit betonen: "Das ein Konsumverzicht der heutigen Generation von Nöten wäre, um die Klimainvestitionen, die notwendig sind, zu stemmen."
Da sei ein Umdenken in wirtschaftlicher Hinsicht notwendig. Wirtschaftsminister Peter Altmaier fühlt sich durch das Gutachten bestätigt, sieht aber derzeit keinen Grund, die Schwarze Null in Frage zu stellen: "Ich bleibe bei meiner Auffassung dass eine Diskussion über die schwarze Null das falsche Thema zur falschen Zeit wäre."
Der Wirtschaftsminister will mittelfristig die Steuerbelastung für Unternehmen auf 25 Prozent absenken, den Soli vollständig abbauen und die Sozialabgaben auf 40 Prozent beschränken.