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Heroin des tragischen Tons

Heute feiert Maria Becker ihren 90. Geburtstag, eine der ganz großen Schauspielerinnen des deutschsprachigen Nachkriegstheaters. Auch wer sie nie auf der Bühne gesehen hat, kennt ihr Gesicht - vor allem durch ihre Auftritte in Fernsehkrimis wie "Derrick" oder "Der Alte". Auch in England ist Becker keine Unbekannte.

Von Ruth Fühner | 28.01.2010
    "Kommt, ihr blinkenden,
    Die ihr des Schlachtfelds Erntefest bestellt,
    Kommt, kommt in greul'gen Schnitterreihn herbei!
    Und ihr, die ihr der Menschen Saat zerdrescht,
    Dass Halm und Korn auf ewig untergehen,
    Ihr Reuterscharen, stellt euch um mich her!
    Du ganzer Schreckenspomp des Kriegs, dich ruf ich,
    Vernichtender, entsetzlicher, herbei!
    Dich, Ares, ruf ich jetzt, dich Schrecklichen,
    Dich, meines Hauses hohen Gründer, an!
    Oh! – deinen erznen Wagen mir herab:
    Wo du der Städte Mauern auch und Tore
    Zermalmst, Vertilgergott, gekeilt in Straßen,
    Der Menschen Reihen jetzt auch niedertrittst;
    Oh! – deinen erznen Wagen mir herab:
    Dass ich den Fuß in seine Muschel setze,
    Die Zügel greife, durch die Felder rolle,
    Und wie ein Donnerkeil aus Wetterwolken,
    Auf dieses Griechen Scheitel niederfalle!"

    Die Schauspielerin Maria Becker – hier zu hören als Penthesilea in einer Hörspielfassung von 1961 – gilt als eine der letzten Hohepriesterinnen des tragischen Tons. Tatsächlich hat sie sie alle gespielt, die großen Heroinen – die Antigone, die Johanna von Orléans, die Iphigenie – zu einer Zeit, als Weihe und Pathos noch keine Schimpfwörter waren und sich durchaus vertrugen mit engagiertem, ja politisch- zeitgenössischem Theater.
    Geboren wurde Maria Becker am 28. Januar 1920 in Berlin, ihre Mutter, Maria Fein, war einer der Stars von Max Reinhardts Theater. Drei glücklichen Jahren im Internat verdankt sie, im Rückblick, vor allem eins: ihre geistige Unabhängigkeit.

    1934 flieht sie mit der Mutter nach Österreich, später in die Schweiz. Mit 18 bekommt sie am Zürcher Schauspielhaus ihr erstes Engagement – neben emigrierten Stars wie Albert Bassermann, Leonhard Steckel oder der verehrten Therese Giehse; gespielt wird – neben den Klassikern – auch dezidiert Antifaschistisches von Bertolt Brecht oder Jean Paul Sartre.
    "Wir hatten einen sehr guten Spielplan. Das will aber nicht heißen, dass nicht die Uraufführung der "Fliegen" von Sartre, die ich gespielt habe, dass das nur sechs Mal gespielt werden konnte, weil die Leute einfach nicht reingingen. Dieses Zürcher Schauspielhaus, das ist eine Legende gewesen – das Zürcher Publikum begann erst, in das Theater zu gehen, als der Krieg zu Ende war."

    Und hatte dann noch lange fast exklusiv die Chance, Maria Beckers Schauspielkunst zu genießen. Erst ab Mitte der 60er-Jahre häufen sich die Gastspiele an den großen deutschsprachigen Bühnen von Berlin bis Wien. Über das Raumgreifende, Dominante ihrer dunkel funkelnden Frauenfiguren, über den psychologischen Realismus, mit dem sie ihre Heldinnen erfasst, schreibt der Zürcher Kritiker Peter Zeindler:

    "Sie hat ihre Rollen nie deklamiert, sondern erfüllt und hat ihren Heldinnen deshalb im Scheitern ihre Größe gelassen, auch den Figuren des zeitgenössischen Theaters, wo die Fallhöhe geringer ist. ... Sie (hat) diese Frauengestalten zwar in die Groteske aufgebläht und trotzdem gleichzeitig den ganzen klassischen Anspruch mitgespielt, den diese großen Rollen suggerieren (k.w.: und die Teil ihres Wesens geworden zu sein scheinen)."

    Den bösen Komödienheldinnen gilt die heimliche Liebe der Maria Becker, Dürrenmatts "Alte Dame" gehört ebenso zu ihren Glanzrollen wie die Furien von August Strindberg oder Edward Albee. Und auch wenn die Heroen des Regietheaters wenig mit ihr anzufangen wussten und sie mit ihnen – ihr Interesse am politischen Zeitstück hat sie sich stets erhalten. Neben Rolf Hochhuth zählt zu ihren Lieblingsautoren Ester Vilar, deren "Amerikanische Päpstin" sie in der Uraufführung verkörperte.

    "Auf dem Stuhl seiner Heiligkeit des Papstes, Oberhaupt von 22 Millionen Katholiken, sitzt ab heute: eine Frau!"

    Im vergangenen Herbst startete Maria Becker ihre jüngste Tournee – mit eben jener "Zürcher Schauspieltruppe", die sie schon 1956 mit Will Quadflieg und ihrem Mann Robert Freytag gründete. Auf dem Programm steht eine eigens für sie geschriebene Komödie – als wollte sie zu ihrem 90. Geburtstag noch einmal ihr altes Credo bestätigen:

    "Wir hoffen, dass es uns gelingen wird, dieses Stück sozusagen auch zu einem vergnügten Abend zu machen, denn wir wollen uns bemühen, auch ein bisschen gegen das Theatre noir anzugehen, und dem Publikum das zu geben, was wir glauben, dass das Publikum will - nämlich Theater sehen und sich auch erfreuen daran, und da wollen wir einfach versuchen, mit unseren Kräften, ein bisschen etwas anderes zu machen."