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Herr der Tasten

Man müsse seine Musik "mit der Seele in den Fingerspitzen" spielen, behauptete Franz Liszt über seinen Komponisten-Kollegen Frédéric Chopin. Bis heute verströmen dessen Klavierwerke ihre eigene Poesie.

Von Michael Stegemann | 01.03.2010
    Auf seinem Grab auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise liegen fast immer frische Blumen – auch heute noch, mehr als anderthalb Jahrhunderte nach seinem Tod. Es sind vor allem Frauen und junge Mädchen, die hier eine Rose oder einen Veilchenstrauß ablegen – bezeichnenderweise. Das war schon damals so, 1831, als er hier ankam.

    "Alle Frauen sind verrückt nach ihm, und alle Männer sind eifersüchtig. Es ist die reinste Raserei."

    Das wusste auch der Pianist Arthur Rubinstein.

    "Mit Chopin kommt man bei den Damen viel weiter als mit Mozart."

    Und ein altes Musiklexikon stellt fest,

    "dass Chopin sein Leben lang immer eines weiblichen Ideals bedurfte, dem seine Tongrüße galten."

    Vor allem aber für Polen gehört ein Besuch am Grab Chopins zum Pflichtprogramm jeder Parisreise; denn mag er auch hier, im französischen Exil, gestorben sein – 1849, erst 39 Jahre alt –, er ist und bleibt doch Pole. Polen also: das kleine Dorf Zelazowa Wola, 50 Kilometer westlich von Warschau, wo Fryderyk Franciszek Chopin seinen eigenen Angaben nach am 1. März 1810 geboren wird – andere Quellen sagen: am 22. Februar. Sohn eines französischen Hauslehrers und einer verarmten polnischen Adligen.

    Musikalisch hochbegabt, macht der junge Chopin schnell Karriere als Pianist und Komponist. Er tritt in den Salons des Adels auf und schreibt seine ersten Werke – vor allem Polnisches: Mazurken und Polonaisen. Eine der ersten Konzertreisen führt Chopin nach Wien, wo er im November 1830 vom Ausbruch des Volksaufstands in Polen erfährt, der ihn zu seiner "Revolutions-Etüde" inspiriert haben soll.

    Chopin übersiedelt nach Paris; er wird seine Heimat Polen nie wiedersehen. Anfangs gibt er noch Konzerte – obgleich er öffentliche Auftritte hasst:

    "Da ich von dem Publikum scheu gemacht werde, mich von seinem Atem erstickt, von seinen neugierigen Blicken paralysiert fühle."

    Bald tritt er fast nur noch im kleinen Kreis der Pariser Salons auf und bestreitet seinen Lebensunterhalt als Klavierlehrer, vor allem für junge, adlige Damen; ihnen widmet er auch die meisten seiner Werke, die fast zeitgleich in Paris, Leipzig und London erscheinen und seinen Ruhm in die Welt tragen. Trotz herzlicher Freundschaften - mit Honoré de Balzac, Hector Berlioz, Eugène Delacroix oder Franz Liszt - überschatten private Krisen und Katastrophen sein Leben: Die jahrelange Beziehung zu der Schriftstellerin George Sand zerbricht, die Tuberkulose, an der Chopin seit früher Jugend leidet, schreitet rapide fort. Alles spiegelt sich in seiner Musik wider – fragil, sensibel, melancholisch, und zudem getragen von der unstillbaren Sehnsucht nach der verlorenen Heimat: Eine Musik, die man – so Franz Liszt – "mit der Seele in den Fingerspitzen" spielen muss.

    Nach seinem Tod erfüllt Chopins Schwester Ludwika den letzten Willen des Komponisten und bringt sein Herz nach Polen, wo es bis heute in einer Säule der Warschauer Heilig-Kreuz-Kirche ruht.