Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


"Herr Glaeseker tut nichts unüberlegt"

Pressesprecher haben die Aufgabe, ihre Dienstherren möglichst positiv darzustellen, sagt Jörg Schillinger vom Bundesverband deutscher Pressesprecher. Gelinge dies nicht, diene der Kommunikationsschef wie im Falle von Bundespräsident Wulff oftmals als Sündenbock.

Jörg Schillinger im Gespräch mit Anne Raith | 23.12.2011
    Anne Raith: Die erste Nachricht aus dem Bundespräsidialamt wurde gestern um 14:31 Uhr von den Nachrichtenagenturen aufgegriffen und als Eilmeldung sofort weiterversandt – eine Meldung, die genau genommen in erster Linie nicht den Bundespräsidenten betraf. "Bundespräsident entlässt seinen Sprecher", lautete die Titelzeile – eine Meldung, die auch schon verriet, dass Wulff wohl nicht zurücktreten werde, warum sollte er sonst vorher seinen Sprecher entlassen. Aber warum sollte er ihn überhaupt entlassen wollen? In seiner Erklärung etwa eine Stunde später war kein Hinweis, keine Antwort auf diese Frage zu finden.

    O-Ton Christian Wulff: "Ich bedauere, dass ich mich von meinem Sprecher Olaf Glaeseker trennen musste, und danke ihm an dieser Stelle für seinen großartigen Einsatz an meiner Seite. Ich habe ihm viel zu verdanken und wünsche ihm für weitere berufliche Herausforderungen alles erdenklich Gute."

    Raith: Bundespräsident Christian Wulff gestern im Schloss Bellevue. – Über Hintergründe und mögliche Gründe für diese Entscheidung möchten wir nun sprechen mit Jörg Schillinger. Er ist Sprecher des Präsidiums des Bundesverbandes deutscher Pressesprecher. Einen schönen guten Morgen!

    Jörg Schillinger: Guten Morgen, Frau Raith.

    Raith: Herr Schillinger, was haben Sie eigentlich gedacht, als gestern gemeldet wurde, dass sich Wulff von Olaf Glaeseker trennen wird?

    Schillinger: Mein erster Gedanke war, ach herrje, jetzt hat es den Olaf erwischt. Ich kenne Herrn Glaeseker aus dem Bundesverband seit einigen Jahren und bedauere das natürlich sehr, weil Herr Glaeseker ein angenehmer Kollege und ein sehr kompetenter Pressesprecher ist.

    Raith: Sie sagen, sie kennen sich gut. Er gilt ja als derjenige, der Wulff zu dem gemacht hat, was er ist. Das Stichwort Siamesische Zwillinge fiel das eine ums andere Mal. Können Sie uns etwas über das Verhältnis der beiden zueinander berichten?

    Schillinger: Das Verhältnis, so weit ich es beurteilen kann, als Nicht-Hannoveraner, muss man ja sagen, war relativ eng. Er war nicht nur ein beamteter Sprecher, sondern wirklich ein Freund und Berater, der sehr stark mitgewirkt hat an der Karriere von Herrn Wulff und mit seinen guten Ratschlägen, glaube ich, über lange Zeit immer goldrichtig gelegen hat.

    Raith: Ist das normal, so ein enges Verhältnis?

    Schillinger: Das ist, glaube ich, ein vielleicht Idealzustand. Es ist auf jeden Fall wünschenswert, dass ein Sprecher sehr eng mit seinem Chef harmoniert und genau weiß, wie er denkt und wie er ihn lenken muss.

    Raith: Wie erklären Sie sich dann auf der anderen Seite nun Wulffs Entscheidung gestern?

    Schillinger: Es ist ja häufig so, dass der Pressesprecher auch eine Art Sündenbock- oder Prellbockfunktion hat. In diesem konkreten Fall scheint es ja so nach Medienberichten zu sein, dass Herr Glaeseker selbst um die Auflösung des Dienstverhältnisses gebeten hat. Da kann ich jetzt nur spekulieren, was ich nicht öffentlich tun möchte. Vielleicht wird Herr Glaeseker die Gründe noch mal offen darlegen, vielleicht aber auch nicht. Auf jeden Fall weiß ich, Herr Glaeseker tut nichts unüberlegt und es ist alles eigentlich immer sehr klug gewesen, was er gemacht hat.

    Raith: Das heißt aber schon, ein Bauernopfer, er steht ein für das, was Wulff geschehen ist?

    Schillinger: Der Sprecher hat in der Tat die Aufgabe, seinen Dienstherren, egal ob es im Unternehmensverband oder in der Politik ist, möglichst positiv darzustellen. Wenn das nicht gelingt, muss der Sprecher in der Tat überlegen, ob er der Richtige ist an der Stelle, und ich nehme mal an, das wird der Kollege auch getan haben.

    Raith: Krisenmanagement, das war in den vergangenen Tagen immer wieder das Stichwort, was fiel, war mitunter ein relatives Desaster. Wie beurteilen Sie die vergangenen Tage, wenn Sie sich anschauen, was wurde wann gesagt, wie gesagt?

    Schillinger: Ich möchte es auf eine Metaebene heben. Es gibt eine alte PR-Weisheit, die auch Journalisten kennen: Man kann der Wahrheit nicht entkommen. Und es ist immer sehr ungünstig, wenn man dann doch versucht, Dinge anders darzustellen, als sie wirklich sind, und in Scheibchentaktik versucht, aus etwas herauszukommen. Wir haben das im Frühjahr gesehen bei einem anderen Politiker aus dem bürgerlichen Lager. Manchmal ist dann ein Befreiungsschlag schnell und deutlich besser, als etwas lang hinzuziehen. Aber es ist von Fall zu Fall individuell zu prüfen. Ich finde es immer sehr schwierig, wenn Außenstehende dann gute Ratschläge geben. Meine Devise in meinem Job ist wirklich, möglichst schnell da rauskommen und das eingestehen, was man gemacht hat.

    Raith: Wir können noch ein bisschen weiter spekulieren, auch wenn Sie nicht ganz gerne wollen. Aber Wulff wusste ja, was auf ihn zukommt. Er wusste, dass Journalisten in diesem Fall recherchieren. Hätte er sich und man ihn da irgendwie besser drauf vorbereiten können und sollen, wenn man denn eingeweiht gewesen wäre?

    Schillinger: Ja, das ist wieder die gute Frage, wenn man aus dem Rathaus kommt und schlauer ist. Im Prinzip nach der reinen PR-Lehre ja, muss man damit rechnen, aber das Ganze fängt natürlich auch an in dem Moment, wo eine Handlung ansteht. Man muss sich jedes Mal überlegen, gerade als Politiker, ist es legal und wenn ja, ist es legitim. Das ist der Anfang von allem. Und in welch eine Abhängigkeit kann ich mich dann begeben, in eine emotional gefühlte Abhängigkeit, wie muss ich mich später einmal rechtfertigen. Und da hilft nur eins: Dann wirklich notfalls Zähne zusammenbeißen, auf einen Vorteil verzichten, aber sauber bleiben.

    Raith: Wenn wir uns jetzt die gestrige Erklärung angucken, die kam für manche zu spät. Kam sie denn jetzt auch zum richtigen Zeitpunkt, doch noch vor Weihnachten sozusagen mit der Entschuldigung rauszurücken?

    Schillinger: Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich denke, sie kam relativ spät. Es ist gut, dass sie überhaupt noch gekommen ist. Ob damit der Fall gelöst ist, werden die nächsten Tage und Wochen zeigen. Kurz vor Weihnachten, bevor die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten gesendet wird, so etwas im Hintergrund zu haben, ist natürlich auch schwierig. Deswegen kann es durchaus auch ein Rat gewesen sein, mach das jetzt vor Weihnachten noch. So schrecklich es dann immer sich anhört, aber da muss eigentlich jetzt mal schnell gehandelt werden.

    Raith: Andererseits war ja genau das der Vorwurf, dass er in seiner Weihnachtsansprache mutmaßlich nun nicht auf die Vorwürfe eingeht.

    Schillinger: Richtig. Das scheint darauf hinzudeuten, dass vielleicht die Tragweite des Ganzen nicht richtig gedeutet wurde. Aber auch das ist wieder rein spekulativ natürlich.

    Raith: Hätte er dann am Ende noch eine andere Strategie fahren können? Wenn Sie aus der Sicht des Pressesprechers nun sehen, Ihr Mann befindet sich in Schwierigkeiten, hätte er am Ende noch eine andere Wahl gehabt für einen Befreiungsschlag?

    Schillinger: Das mag ich jetzt wirklich nicht beurteilen, weil der Hintergrund sicherlich sehr diffizil ist. Aber ein Befreiungsschlag ist meiner Ansicht nach eigentlich immer das Beste, um etwas schnell zu beenden und deutlich zu machen. Wenn da wirklich Fakten auf dem Tisch liegen, muss man sich zusammensetzen mit den untersuchenden Journalisten und irgendwann einmal sagen, ja, ist so. Aber das sind vielerlei Gründe. Wie gesagt, da stecke auch ich nicht drin. Das muss man von Fall zu Fall prüfen. Idealerweise ist es wirklich so, wenn so etwas auf den Tisch kommt: Sich stellen und sagen, ja, ist so, fertig.

    Raith: Letzte Frage aus Ihrer Erfahrung. Glauben sie denn, dass über die Weihnachtsfeiertage Ruhe einkehren kann in so eine lebhafte Debatte?

    Schillinger: Ich vermute mal, dass eine gewisse Ruhe einkehren wird, dass auch die Politik und die Medien gerne mal die Feiertage nutzen zum Luft holen. Es kann aber durchaus sein, dass es Anfang nächsten Jahres weitergeht.

    Raith: Jörg Schillinger, Präsidiumssprecher des Bundesverbandes deutscher Pressesprecher, über die Erklärung des Bundespräsidenten und die Entlassung seines Sprechers Olaf Glaeseker. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch!

    Schillinger: Sehr gern!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.