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"Herr Kirchhof selber kennt die Liste auch nicht"

Stefan Homburg, Professor für öffentliche Finanzen an der Uni Hannover, glaubt nicht, dass Paul Kirchhof tatsächlich ein 418-Punkte-Streichprogramm vorliegen hat. Kirchhof beziehe sich vielmehr auf Vorschläge aus seinem Buch. Gezielte Reformen innerhalb des vorhandenen Steuersystems - beispielsweise die Abschaffung der Gewerbesteuer - seien einer kompletten Umwandlung des Systems vorzuziehen, betonte Homburg.

06.09.2005
    Thoma: Paul Kirchhof, der Professor, den Angela Merkel zum Finanzminister machen will, bestimmt den Wahlkampf im Moment fast allein, hat man den Eindruck. Zuerst einmal seine "radikal einfach Steuerkur" für das Steuersystem. 25 Prozent für alle und das ist für die Union dann doch ein bisschen zu schnell. So schnell will sie das nicht in die Tat umsetzen. Und jetzt kommt dann hinterher noch das 418-Punkte-Streichprogramm. Angela Merkel kennt das angeblich gar nicht und sie will es auch gar nicht kennen, weil sie nämlich genug damit zu tun habe sagt sie, das Unionssteuermodell im Moment zu vermitteln. SPD und Grüne allerdings, die interessieren sich schon für die vielen Steuervergünstigungen, die Kirchhof da ersatzlos streichen möchte. Die Liste muss auf den Tisch, fordern sie, und damit auch klar werde, dass es hier nicht nur um die Vorteile der Großverdiener geht, sondern auch um die Kleinverdiener und Arbeitslosen, die da geschröpft werden sollten, meint jedenfalls Rot/Grün. – Stefan Homburg ist Professor für öffentliche Finanzen an der Uni Hannover, kennt sich aus und er hat auch schon Angela Merkel beraten. Schönen guten Morgen!

    Homburg: Guten Morgen!

    Thoma: Was soll denn diese Geheimniskrämerei um diese 418-Punkte-Streichliste? Was meinen Sie?

    Homburg: Ich bin sicher, dass die Union diese Liste nicht kennt und Herr Kirchhof selber kennt die Liste auch nicht. Man muss ja sehen, dass Herr Kirchhof einen sehr komplexen Vorschlag veröffentlicht hat vor übrigens zwei Jahren. Das ist ein Buch mit 367 Seiten. So viel steht fest. In dem wird ein ganz neues Steuersystem vorgeschlagen, das sich von dem heutigen tief greifend unterscheidet. Daraus jetzt eine Liste zu extrahieren von 418 oder noch so vielen Vergünstigungen, die wegfallen, das erscheint mir unmöglich.

    Thoma: Also Sie glauben das gibt es gar nicht?

    Homburg: Nein, das gibt es gar nicht.

    Thoma: Angela Merkel hat ja nur am Sonntag beim TV-Duell vorgeschlagen, wir müssten einfach in die Bahnhofsbuchhandlung gehen und kaufen uns dann das Buch "1.000 legale Steuertricks". Da steht das auch alles drin.

    Homburg: Das war vielleicht schlagfertig, aber man kann Ausnahmebestimmungen oder Verbreitung der Bemessungsgrundlage nicht gleichsetzen mit Steuertricks. Die Sache wird ja in den Talkshows eingehend diskutiert, aber sehr oberflächlich. In Wirklichkeit ist es so, dass nicht immer auf der Hand liegt, ob eine Ausnahme auch eine Vergünstigung ist oder gar ein Trick.

    Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Nach heutigem Steuerrecht sind Stipendien steuerfrei. Wenn jemand Student ist und ein Stipendium bekommt, zahlt er darauf keine Steuer. Das steht in § 3 des heutigen Gesetzes. Bei Kirchhof wären Stipendien auch steuerfrei, aber das steht in seinem Entwurf nicht mehr, sondern es ergibt sich daraus, dass er ein vollkommen neues System vorschlägt, das man nicht auf diese merkwürdigen 25 Prozent Steuersatz reduzieren kann.

    Thoma: Nun vermuten ja die Grünen zum Beispiel, ihr Chef Bütikofer auch schon, in dieser Streichliste steht drin, dass das Arbeitslosengeld I künftig besteuert werden soll, dass man vielleicht auch die außergewöhnlichen Belastungen für die Pflege von Angehörigen dann nicht mehr absetzen kann. Glauben Sie, dass Kirchhof so etwas tatsächlich vorhätte, um sein Modell durchzusetzen?

    Homburg: Das ist nicht eine Frage von glauben oder nicht glauben. Das kann man auf diesen 367 Seiten nachlesen. Nach Kirchhof würde das Arbeitslosengeld besteuert. Das ist korrekt. Andererseits werden in seinem System die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nicht mehr abziehbar. Außergewöhnliche Belastungen für zum Beispiel Schwerbehinderte würde es in Kirchhofs System auch nicht mehr geben. Das ist auch korrekt.

    Thoma: Das heißt es gibt schon einige Punkte in diesem Modell, wo gerade die Leute, die wenig Geld haben, dann doch ordentlich zur Kasse gebeten werden?

    Homburg: Das lässt sich nicht leicht sagen. Man muss ja bedenken, dass ein Abzug von der Steuerbemessungsgrundlage eher demjenigen nutzt, der einen hohen Steuersatz hat, als jemandem, der einen geringen Steuersatz hat. Nehmen wir beispielsweise mal Pflegefälle oder Behinderte. Wer sowieso geringes Einkommen hat, der profitiert wenig davon, dass er außergewöhnliche Belastungen geltend machen kann.

    Thoma: Nun heißt es ja sowieso 25 Prozent für alle und das sei deswegen auch gerecht, weil man auf diese Weise die Großverdiener dazu verpflichten würde, dass sie nicht mehr alles auf Null runterrechnen könnten. Gibt es denn tatsächlich noch so viele Steuervergünstigungen auch gerade für Großverdiener, die man streichen könnte?

    Homburg: Nein und mir ist auch vollkommen unverständlich, wie im einem Land wie unserem wochenlang über diese 25 Prozent geredet werden kann, obwohl in Kirchhofs Buch ausdrücklich drinsteht, dass die nur beispielhaft gemeint sind. Denn es ist so: wenn man das Steuersystem grundlegend umstellt, aber die Reform aufkommensneutral haben will, dann muss man berechnen, welcher neue Steuersatz führt zum selben Steueraufkommen wie das heutige System. Das wären nach meiner Schätzung eher vielleicht 35 Prozent als 25 Prozent. Aber genau berechnet hat das niemand, auch Kirchhof selbst nicht.

    Thoma: Sie haben das glaube ich mal ausgerechnet, auch alle Modelle verglichen und dann festgestellt, dass sogar der Status quo, das was wir jetzt haben, besser ist als das Kirchhof-Modell. Richtig?

    Homburg: Das war die Meinung meiner Studenten, muss man dazu sagen. Das war nicht meine persönliche Meinung. Die Sache ist, wenn man es ernsthaft sieht, unglaublich schwer zu berechnen. Es gibt so viele subtile Unterschiede zwischen dem heutigen System und dem System von Kirchhof, dass derzeit niemand seriös sagen kann, welcher Steuersatz käme denn heraus, wenn man es aufkommensneutral umstellt. Es kann auch niemand seriös sagen, ob nun 418 oder 1.000 oder nur 79 Vergünstigungen wegfallen.

    Thoma: Also hat Schröder dann vielleicht doch Recht, dass wir egal wie es kommt auf jeden Fall ein ganzes Volk von Versuchskaninchen werden, egal welches Modell wir ausprobieren?

    Homburg: Das würde man auf jeden Fall sagen können, denn man muss ja bedenken, das heutige Einkommenssteuergesetz ist im Kern das Einkommenssteuergesetz von 1934. Da haben wir jetzt eine 70jährige Tradition: 70 Jahre lange Rechtsprechung und Erlasse. Wenn man dieses System komplett in die Tonne wirft sozusagen und ein ganz neues System schafft, dann hat man zunächst mal ein rechtliches Vakuum, das dann im Laufe der nächsten Jahre und Jahrzehnte aufgefüllt werden muss.

    Thoma: Wäre das denn das Beste für unser Land?

    Homburg: Das wäre mit großem Risiko behaftet und weil alle auch Länderfinanzminister dagegen sind bin ich sicher, dass es zu dieser Systemumstellung nicht kommen wird.

    Thoma: Ist also dann jetzt Kirchhof auch der neue Ludwig Erhard, wie Angela Merkel das gesagt hat?

    Homburg: Das möchte ich nicht beurteilen. Das wird hinterher die Geschichte zeigen. Das wird man erst im Rückblick sehen.

    Thoma: Dann sagen Sie uns vielleicht, was Sie jetzt als Modell vorschlagen und für richtig halten?

    Homburg: Ich war vor zwei Jahren Mitglied der Föderalismuskommission. Die wurde ja auch am Anfang sehr gefeiert, sollte grundlegende Änderungen machen. Herausgekommen ist nichts. Meine Folgerung ist, wenn man sich zu viel wünscht, dann hat man am Ende gar nichts. Es wäre besser, man macht kleine realistische Reformen, für die Vorschläge auch auf der Hand liegen, innerhalb des heutigen Steuersystems, als dieses Steuersystem komplett wegzuwerfen.

    Thoma: Ein Beispiel, was ganz dringend ein kleiner realistischer Schritt wäre?

    Homburg: Wenn ich einen einzigen Wunsch hätte, dann wäre es die Abschaffung der Gewerbesteuer, die im Hinblick auf Wachstum und Beschäftigung extrem feindlich ist, bei einer gleichzeitigen Entschädigung der Gemeinden. Das kann man in wenigen Wochen konzipieren. Dabei würde niemand etwas verlieren und das würde für das Wachstum und die Beschäftigung enorm vorteilhaft sein und mehr bringen jedenfalls als ein Systemwechsel zum Kirchhof-Vorschlag.

    Thoma: Das sagt Stefan Homburg, Professor für öffentliche Finanzen an der Uni Hannover, im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch und einen schönen Tag noch!

    Homburg: Vielen Dank!