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"Herz der Finsternis"
Mit Flüchtlingen im selben Boot

Das "Herz der Finsternis", die Kolonialnovelle von Joseph Conrad, ist Ausgangspunkt für die neue Inszenierung des Berliner Theaters der Migranten. Dabei gehen Darsteller und Zuschauer auf eine gemeinsame nächtliche Expedition über Berlins Wasserwege.

Von Camilla Hildebrandt | 22.07.2015
    Max Oppel: "Die Reise den Strom hinauf war wie eine zu den frühesten Anfängen der Welt. Ein leerer Strom, ein großes Schweigen, ein undurchdringlicher Wald. Die Luft war warm, dick, schwer und drückend. Der Glanz des Sonnenscheins brachte keine Freude. Das Fahrwasser erstreckte sich weithin, in überschattete Ferne ..."
    Olek Witt: "Conrad war auch ein Reisender, ein Migrant, der in Polen, bzw. der Ukraine als Pole geboren wurde. Dann ist er nach Frankreich, nach England emigriert, er hieß eigentlich Korzeniowski. Und er hat in dieser Novelle "Herz der Finsternis" biografische Erfahrungen verarbeitet. Uns geht es hier bei dem Projekt darum zu schauen, was ist deren Reise in das Ungewisse oder auch gelobte Land gewesen ist."
    Die Migrantendarsteller ihrer eigenen Lebenserfahrungen - kommen aus Mali, Afghanistan oder Kamerun. Die meisten sind illegal hier oder wurden schon als Asylbewerber abgelehnt. Seyni stammt aus Timbuktu, Mali.
    "Von Mali ging es nach Algerien, mitten durch die Wüste, da gab es keine Straßen, keine Häuser, gar nichts, bergauf, bergab drei Tage lang gelaufen, durch diese heiße Luft, überall Staub."
    Max Oppel: "Die Stille dieses Lebens hatte mit Frieden nicht das Geringste zu tun. Es war die Ruhe einer unversöhnlichen Kraft, die über unerforschlichen Ratschlüssen brütete. Sie blickte einem rachedurstig entgegen. Später gewöhnte ich mich daran; ich sah es nicht mehr; hatte keine Zeit dazu. Ich musste auf das Fahrwasser achten; ich musste meist rein gefühlsmäßig die Anzeichen verborgener Untiefen herausfinden."
    Die 18 Darsteller erzählen ihre Reise anhand einer Mischung aus vor allem tänzerischen, bildhaften und musikalischen Elementen. Eine junge Schauspielerin zitiert Ausschnitte aus Joseph Conrads Vorlage "Herz der Finsternis" und Seynis Erinnerung wird als Aufnahme eingespielt. Während des Stückes werden sieben Kilometer zurückgelegt.
    Mittelpunkt dieses Theaterparcours sind natürlich die Migranten, aber da die Zuschauer den Prozess mitbegleiten müssen, werden sie bewusst zum Teil der Inszenierung.
    Olek Witt: "Der öffentliche Raum, die Stadt, die Möglichkeit mit Wasserwegen, Eisenbahnstrecken zu arbeiten oder zu Fuß zu gehen, der Zuschauer ist ständig in Bewegung, das Sitzen ist kaum möglich, nicht mal auf dem Boot. Wir sind von einem Konzept ausgegangen und müssen tagtäglich wieder Veränderungen vornehmen, versuchen Ideen/Möglichkeiten von den Darstellern/den Geflüchteten aufzunehmen."
    Max Oppel: "Der Menschengeist ist zu allem fähig, weil er alles umfasst, die Vergangenheit ebenso wie die Zukunft. Was war schließlich das vor uns; Freude, Angst, Kummer, Ergebenheit, Tapferkeit, Wut - wer kann es sagen; - Aber Wahrheit, Wahrheit, des Zeitgewandes entkleidet."
    Ist Europa das Paradies? Ja. Richard Djif, 36 hat in seiner Heimat politische Filme gedreht. Bis er verfolgt wurde:
    "Was mich wirklich positiv geprägt hat hier in Deutschland ist - denn man mus das ja immer mit dem eigenen Land vergleichen - das ist die Struktur, wie hier Flüchtlinge aufgenommen werden. Das haben wir nicht in Kamerun. Mit ein paar politischen Veränderungen ist das wirklich ein Land, in dem wir gerne leben wollen."
    "Schau dir diesen Teich hier an", sagt Seyni, "die Natur, die Vögel, die Ruhe hier. Aber wir dürfen nichts tun. Warum können wir nicht arbeiten? Ich bin jung!"
    "Ich habe nie daran gedacht nach Europa zu gehen, aber ich hatte keine Wahl. Ich war Geschäftsmann in Timbuktu, habe Kuhleder eingekauft und in Ghana zu Kleidern verarbeiten lassen. Dann kam der Krieg. Ich habe alles verloren. Wenn sie sehen, dass du jung und kräftig bist, dann sagen sie dir, dass du kämpfen sollst. Wenn du Nein sagst, dann töten sie dich."
    "Herz der Finsternis - Eine nächtliche Expedition auf Berliner Gewässern" kann eine Reise zu vielen Orten sein. Je nachdem, auf was sich der Zuschauer einlässt. Olek Witt:
    "Theater ist ja normalerweise ein Schutzraum, wo man in Ruhe etwas entwickeln kann. Und das ist hier bewusst nicht ein Schutzraum, sondern wir sind bewusst ausgeliefert, genauso wie der Geflüchtete. Also wir bewegen uns im Grenzbereich. Auch damit, was wir hier machen im öffentlichen Raum."
    Max Oppel: "Lasst den Narren zittern und zagen - der ganze Mann weiß um die Dinge und vermag ihnen fest ins Auge zu sehen. Er muss der Wahrheit mit seiner eigenen, inneren Wahrheit begegnen, mit seiner eigenen, angeborenen Stärke."
    Weitere Informationen
    Die Premiere von "Herz der Finsternis - eine Expedition auf Berliner Gewässern" vom Theater der Migranten ist am 24.07. um 21 Uhr.