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Heureka unter dem Meeresspiegel

Technik. - Während ganz Italien die geplante bejubelt oder kritisiert, geht ein anderes verblüffendes Projekt in dem Getöse sprichwörtlich unter. Denn italienische Ingenieure wollen Brücken erdbebensicher errichten - und zwar unter Wasser.

Von Thomas Migge | 15.11.2005
    Sie sieht aus wie ein Wurm. Wie ein Tausendfüßler mit zahllosen Beinen. Abstehende dünne Beine, die rechts und links vom Körper in einem Winkel von 45 Grad den Boden berühren. Der Wurm ist eine Brücke. Sie sollte die Insel Sizilien mit dem kalabresischen Festland verbinden, erklärt Federico Mazzolani, Ingenieur an der Universität Neapel:

    "Eigentlich war es so, dass unser Projekt die Ausschreibung für diese Brücke gewonnen hat, aber politische Entscheidungen haben dann dafür gesorgt, dass dieses revolutionäre Brückenprojekt nicht gebaut wird. Stattdessen wird jetzt eine traditionelle Seilhochbrücke errichtet, mit sehr riskanten Hochpfeilern, riskant vor allem, weil diese Meerenge ein Erdbebengebiet ist."

    Doch der italienische Brückenwurm hat jetzt eine Chance, im fernen China Realität zu werden. Ingenieur Mazzolani ist gerade in Shanghai. Zusammen mit Kollegen von der Universität in Neapel und örtlichen Ingenieuren sollen einige der tausend Inseln der Millionenstadt miteinander verbunden werden. Mit Hilfe einer Brücke, die in Wirklichkeit ein Tunnel ist. Ein Unterwassertunnel, denn die Ingenieur verlegen die Straße unter die Wasseroberfläche:

    "Es handelt sich um eine Röhre, eine achteckig geformte Röhre, die am Meeresboden, der in Shanghai nicht sehr tief ist, befestigt ist. Nach dem seit Archimedes bekannten und nach ihm benannten Prinzip wird diese Röhre zur Wasseroberfläche gedrückt. Man braucht für diese völlig neue Brückenform keine riesigen Zementpfleiler. Sie brauchen nur die Röhre und die Seile, damit sie am Boden verankert ist."

    Die im Miniaturmaßstab getestete Röhre besteht aus drei Schichten: die innere Röhre, in der die Fahrbahn sein soll, besteht aus Stahl, die äußere, dem Meerwasser zugewande Seite aus Aluminium. Zwischen diesen beiden Röhrenschichten haben Mazzolani und seine Kollegen Hochwiderstandsbeton gesetzt wie er auch für besonders hohe Gebäude in Erdbebengebieten genutzt wird. Dieser Beton hält große Schwingungen aus. Auf den Zusatz von Kunststofffasern im Innern des Betons wurde verzichtet, denn die zahlreichen Beine, die die Tunnelbrücke auf dem Meeresboden festhalten, federn die Röhre im Fall von Erdbeben ab.

    "Jedes dieser drei Materialen erfüllt eine ganz präzise Aufgabe: der Stahl erlaubt es uns, das Innere des Brückentunnels nach Belieben zu gestalten. Der Beton verleiht der Konstruktion das Gewicht, um nicht von Meeresströmungen nach rechts und links bewegt zu werden. Das Aluminium eignet sich hervorragend, um das Innere der Röhre vor dem Salzwasser zu schützen."

    Die Streben, die die Röhre festhalten, enden am Meeresboden in zwei Mal zwei Meter großen Zementblöcken. Alle zehn Meter befindet sich am Röhrenkörper eine Strebe. Verschiedene Tests haben ergeben, dass die Brückentunnelröhre auf diese Weise auch bei starker Meeresströmung so gut wie unbeweglich bleibt und der Autoverkehr in ihr ohne Probleme fließen kann. Die Streben sind aus Stahl. Sie können aber auch, das ergaben die Tests in Neapel, aus modernen Materialien sein, zum Beispiel auf Basis von Kohlenstofffasern. Die Tunnelbrücke von Shanghai soll in einer Tiefe von rund 30 Metern errichtet werden, erklärt Federico Mazzolani:

    "Die Brücke muss in einer entsprechenden Tiefe angebracht werden, damit sie den Schiffsverkehr nicht stört. Die Tiefe, in der diese Brückenform errichtet werden kann, hängt einzig und allein von den Ansprüchen und Gegebenheiten der Umgebung ab."

    Für das Projekt einer Unterwasserbrücke im Luganer See sind nur knapp 15 Meter Tiefe vorgesehen. Weitere Pläne sehen das Unterqueren der Lagune von Venedig vor. Die Röhre könnte, so Mazzolani, den gesamten Personen- und Transportverkehr, der bisher mit Motorbooten organisiert wird, unter das Wasser verlegen. Die von diesen Booten erzeugten Wellen, die für Statik der auf Baumstämmen errichteten Gebäude extrem gefährlich sind, würden dann der Vergangenheit angehören.