Samstag, 20. April 2024

Archiv


Heute Punk, morgen Rocker

Das Archiv der Jugendkulturen in Berlin dokumentiert Zeitgeschichte. Der Journalist Klaus Farin hat es vor 15 Jahren aufgebaut und sammelt hier alles über Jugendbewegungen und deren Kultur: Musik, Kleidung, Magazine, Dokumente. Doch die Einrichtung hat ein Finanzierungsproblem.

Von Ina Plodroch | 02.08.2013
    "Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein."

    Punker oder Raver?
    "Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein."

    Rocker oder Hip-Hopper?
    "Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein."

    Emo oder Indie?
    "Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein"

    Egal. Hauptsache Jugendkultur.
    "Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein. Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein."

    Mitte der 90er-Jahre besingt die Band Tocotronic den Wunsch der Jugend, dazuzugehören.

    "Für uns sind Jugendkulturen informelle Szenen, nicht wie Vereine. Freiwillige Szenen, in denen sich überwiegend Jugendliche zusammenfinden, um ihre Freizeit zu gestalten. Bei denen oft Musik und Mode eine zentrale Bedeutung haben."

    Klaus Farin. Früher war er Punk. Dann gründete er vor 15 Jahren das Archiv der Jugendkulturen.

    "Ich hab als Journalist fast 20 Jahre lang auch über Jugendkulturen gearbeitet, viel Material gesammelt, mir einen Namen gemacht. Dann kamen immer mehr Leute, wollten meine Sachen sehen und es gibt keine Quelle. Es gibt nicht einen Lehrstuhl für Jugendforschung in Deutschland, es gibt keine Sammlung, kein Archiv. Und wie es so ist, dann macht man es halt selbst."

    Das Archiv ist ein Produkt der Do-it-yourself-Mentalität des Punks. Farin ist mittendrin in der Jugendkultur. Er zeigt Interesse und betrachtet sie nicht nur von außen. Fast 100 Leute helfen ehrenamtlich mit - Wissenschaftler, Gothics, Punks, Skater, Pädagogen. Sie organisieren Workshops, publizieren, kuratieren Ausstellungen. Und archivieren die lebendige Kultur der Jugend.

    "Wir haben natürlich Bücher, aber unser Schwerpunkt ist eigentlich, was man so graue Literatur nennt: Fanzines, szeneeigene Magazine. Die Punks für Punks machen, Gothics für Gothics. Leider auch Neonazis für Neonazis. Und diese Hefte, die leider nur in kleinen Kreisen kursieren, die sammeln wir. Fast 40.000."

    Dann noch Diplom- und Magisterarbeiten, Tonträger, Flyer, Buttons und natürlich Kleidung. Dokumente der Generationen.

    "Jugendkulturen sind ja Seismografen der Zeit. Wir leben generell in einer Zeit, in der alles schneller läuft, sich alles beschleunigt und es wird ja alles schneller, immer flexibler. Und Jugendkulturen sind sehr aufmerksame Beobachter. Und wenn ihnen von der Wirtschaft immer gesagt wird, sie müssen flexibler bleiben – wechsel, wechsel, wechsel. Dann wäre es ja komisch, wenn sie es im Freizeitleben nicht auch anwenden würden."

    "Für immer Punk möcht’ ich sein, für immer Punk. Willst Du wirklich immer Hippie bleiben? Für immer."

    Die Goldenen Zitronen träumten Ende der 80er vom ewigen Leben in der Jugendkultur. Die Zeiten sind vorbei.

    "Der ‚way of life’, von dem so alte Punks oder Skinheads schwärmen, dauert realistisch bei den meisten Angehörigen von Jugendkulturen eine Saison. Und dann wechseln sie aber in die nächste."

    Szenehopping. Heute Punk, morgen Rocker, nächstes Jahr Skater. Szenen als neue Jugendkultur. Immer kleiner und ausdifferenzierter. Techno als riesen Jugendkultur wird zu Goa, Drum’n’Base, Gabba. Spielarten elektronischer Musik. Kleine Sub-Szenen. Man trifft sich auf Partys, im Plattenladen, erkennt sich vielleicht schon an der Kleidung. Auch wenn das früher einfacher war.

    "Wenn vor 30 Jahren ein Punk durch ein Dorf marschiert ist, hat das jeder mitbekommen. Und jeder wusste: Willi dahinten ist Punk. Heute sind so viel bunte Völkchen unterwegs und selbst die Oma hat lila Haare, und jede Vorstadtsekretärin ist gepierct und tätowiert, sodass Jugendkulturen natürlich nicht mehr auffällig sind."

    Aber sie sterben nicht aus. Das zeigt das Archiv der Jugendkulturen. Hoffentlich noch weitere 15 Jahre: Anfang des Jahres musste es umziehen - 175 statt 350 Quadratmeter. Die Miete wurde zu viel. Der Deutsche Kulturrat listet es als bedrohte Kultureinrichtung. Regelmäßig Strukturförderung bekam das Archiv nie.

    "Jugend ist ein Thema für Sonntagsreden, aber nicht für die praktische Arbeit von Politik."

    Meint Farin. Durch Spenden, Projektgelder, ehrenamtliches Engagement und eine Stiftung überlebt das Archiv knapp. Und zeigt weiterhin: Verdorben und kulturlos ist die Jugend nicht.


    Infos:

    http://www.jugendkulturen.de/

    Das Archiv der Jugendkulturen kann montags-freitags von 12 bis 18 Uhr besucht werden.

    Feierlichkeiten zum 15. Jubiläum am Samstag, 03. August:
    Sommerfest 14.00 - 19.00 Uhr
    Im Archiv der Jugendkulturen
    Fidicinstraße 3, 10965 Berlin

    Soliparty ab 20.00 Uhr
    Tiefgrund, Kino der Zukunft
    Laskerstraße 5, 10245 Berlin