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Heye: Der Rechtsextremismus ist lauter geworden

Uwe-Karsten Heye (SPD), Vorsitzender des Vereins "Gesicht Zeigen!", ist der Ansicht, dass der Rechtsextremismus in Deutschland nicht stärker geworden ist sondern sich stärker bemerkbar macht. Gerade in Ostdeutschland gebe es viele Gebiete, in denen demokratische Institutionen und Parteien nicht mehr ausreichend vertreten seien. Ebenso wichtig wie die Jugendarbeit sei die Erwachsenenarbeit, denn es seien Erwachsene, die Jugendliche für den Rechtsradikalismus einzunehmen versuchten, betonte Heye.

Moderation: Elke Durak | 21.11.2006
    Elke Durak: Wie schwer ist es heutzutage, in Deutschland Partner zu finden, die etwas gegen Rechtsextremismus, gegen Rassismus und sonstige Fremdenfeindlichkeit haben und auch bereit sind, etwas dafür zu tun? Darüber wird heute in Berlin gesprochen, wenn so etwas wie eine Bilanz des Aktionsprogramms "Jugend für Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus" gezogen wird. Das ist ein seit 2001 laufendes Programm der Bundesregierung, das Mitte nächsten Jahres neu und verändert aufgelegt wird: Neu deshalb, so die Bundesfamilienministerin, um dem stärker werdenden Rechtsextremismus mehr als bisher entgegensetzen zu können. - Uwe-Karsten Heye von der SPD bemüht sich mit seinem Verein "Gesicht zeigen!" auch schon seit Jahren um Widerstand gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Weshalb wird denn der Rechtsextremismus stärker in Deutschland, Herr Heye, weil wir Deutsche sind und also anfällig?

    Heye: Das glaube ich eher nicht. Ich glaube auch nicht, dass man davon reden kann, er ist stärker geworden. Er ist lauter geworden. Er macht sich bemerkbarer. Er macht sich vor allen Dingen dort bemerkbarer, wo ganz offenkundig die demokratischen Institutionen, Parteien nicht mehr hinreichen, in die sich leerenden Regionen Ost-Deutschlands, und da ist glaube ich in allererster Linie zu bemerken, dass der Versuch gemacht wird durch NPD und andere organisierte Rechtsradikale, diese Räume zu faschisieren und damit einen Ausgangspunkt zu kriegen, von dem aus sie die Republik besser in diese Richtung tunen können oder jedenfalls hoffen, das zu tun.

    Durak: Weshalb vor allem die neuen Bundesländer?

    Heye: Das hat viele Gründe. Ich denke was wir völlig unterschätzen oder unterschätzt haben ist, dass gerade dort die Menschen in einer Weise um ihre eigene Biographie gekommen sind, beraubt worden sind zu Teilen, biographisch in eine Situation geraten sind, wo sie das Gefühl hatten, sie könnten alles was sie an Erfahrung haben wegwerfen, weil es wird nicht mehr gebraucht. Das ist eine Form von Enteignung, wie sie so noch nicht stattgefunden hat. Das ist sozusagen die eine psychologische Leistung und Landschaft, in der wir zu suchen haben.

    Die andere ist, dass wir nach wie vor aus dem Raum der ostdeutschen neuen Länder eine ökonomisch bedingte Ost-West-Wanderung haben, in der die gut ausgebildeten, flexiblen und anpassungsfähigen jungen Leute wegwandern und die, die bleiben, aus unterschiedlichen Gründen, haben immer mehr das Gefühl, die Verlierer zu sein. Zurückzubleiben heißt ja auch, sich zu vereinsamen und das Gefühl zu haben, der letzte macht das Licht aus.

    Durak: Ist das vielleicht auch so eine Erfahrung, eine Lebenserfahrung der zurückbleibenden vor allem Älteren, dass sie eigentlich geführt werden möchten, weil sie Selbstbewusstsein, Demokratie, eigenständiges, verantwortliches Handeln nicht so erlebt haben?

    Heye: Das ist sicher so. Das kann man grundsätzlich sagen, dass hier sozusagen die Kontinuität einer autoritär bis eben diktatorisch geführten Gesellschaft von 1933 bis 1989 natürlich Spuren hinterlassen hat. Natürlich ist das bedrückend. Natürlich hat es rechtsradikale Entwicklungen hinter dem antifaschistischen Schutzwall schon gegeben, bevor Vereinigung da war. Ich habe damals, als ich journalistisch gearbeitet habe, für "Kennzeichen D" Reportagen über rechtsradikale Jugendkultur in der DDR gemacht. Nur das durfte nicht sein in einem antifaschistisch sich entwickelnden oder empfehlenden Staat. Also wurde nicht darüber geredet.

    Das war im Westen anders, wo eine aufmüpfige 68er Jugend und danach sehr entschieden danach gefragt hat, wie war das und wie konnte es dazu kommen und was können wir tun, damit das nie wieder Gestalt, Kontur hat. Das war in der DDR nicht gefragt, weil nicht sein kann, was nicht sein durfte. Da wurden die Prozesse gegen rechtsradikale Schläger als Geheimprozesse geführt.

    Das ist ein Teil der Wirklichkeit, die wir alle nicht gekannt, nicht gesehen, nicht ausreichend beachtet haben. Das ist ein Humus, auf dem es offenkundig leichter ist, sich zu bewegen, jedenfalls für rechtsradikale Parolen.

    Durak: Rechtsradikale und Rechtsextremisten, Herr Heye, die treten ja nicht nur mit dem Baseball-Schläger auf, sondern auch mit Familienfesten. Die kümmern sich um Leute in Gegenden, in denen die Demokraten keine Spuren hinterlassen. Also müssen die demokratischen Parteien vielleicht auch mal bei sich selbst beginnen?

    Heye: Ja natürlich, nur das ist leichter gesagt als getan. Ich kenne nicht genau die Zahlen bei der Union, aber ich kenne sie etwa bei der SPD. Nehmen wir sie in Mecklenburg-Vorpommern. Da hat die SPD unter 3.000 Mitglieder insgesamt für das gesamte Land. Wenn man davon ausgeht, dass höchstens 10, vielleicht 20 Prozent der Mitgliedschaft auch aktiv, politisch aktiv tätig sind, dann kommen sie vielleicht auf 600, 700 Sozialdemokraten im ganzen Land verteilt, im Wesentlichen wohl auf die mittleren und etwas größeren Städte. Da gibt es ja nicht so viele in Mecklenburg-Vorpommern. Also Schwerin, Rostock, ein bisschen Greifswald, vielleicht noch Stralsund und das wär's dann auch schon. Das heißt die SPD ist als Partei, als demokratische Institution in Vorpommern faktisch nicht existent.

    Das gilt ja für viele andere Dinge auch. Nehmen Sie das, was ich eben gesagt habe, die zunehmende Entleerung. Das bedeutet aber auch, dass es immer weniger Schüler gibt. Immer mehr Schulen werden geschlossen, weil zur Einschulung nicht genug Jugendliche da sind. Dann gibt es eben ein paar Zentrumsschulen, Mittelpunktschulen und da werden sie dann hingefahren und sind oft zwei Stunden am Tag unterwegs, um ihre Schule zu erreichen. Das alles sind Situationen, über die sich normalerweise niemand Gedanken macht, welche Folgen das hat. Eine dieser Folgen ist unter anderem eine größere Anfälligkeit für die scheinbar leichteren und einfachen Antworten und wir wissen alle, dass es die nicht gibt.

    Durak: Schauen wir mal zurück in den Rest des ganzen großen Landes, Herr Heye. Sie haben sich ja vor Monaten unbeliebt gemacht auch bei Politikern. Als Nestbeschmutzer wurden Sie bezeichnet und geschimpft, als Sie mitten in die schöne Fußball-WM-Vorfreude von "no go areas" für Farbige und Ausländer in Deutschland sprachen. Während der WM war da meist nur Sonnenbräune zu sehen. Wo waren die Nazis?

    Heye: Die Nazis waren ja da. Sie haben vielleicht mitbekommen, dass das Bundeskriminalamt in Wiesbaden Zahlen veröffentlicht hat, aus denen hervorgeht, dass die rechtsradikal bewirkten kriminellen Delikte und gewalttätigen Übergriffe noch nie so stark waren wie in diesem Jahr, dass wir eine neue "Rekord"-Zahl erreichen und dass der Höhepunkt genau die Zeit war, in der diese wunderbare und fantastische Weltmeisterschaft bei uns gewesen war. Im Schatten dieses glanzvollen Ereignisses hat sich da nichts verändert. Meine Bemerkung von damals, die würde ich jeden Tag wieder machen. Es ist so, dass wir Regionen in Deutschland haben, vornehmlich in Ost, aber auch in West, in Großstädten und nicht nur dort, wo sich jemand mit einer anderen denn weißen Hautfarbe besser nicht zeigt, weil er wirklich nicht sicher sein kann, ob er da auch heil wieder rauskommt. Daran hat sich nichts geändert.

    Wir haben diese Situation und ich erinnere daran, dass Johannes Rau - es war im Jahr 2000 - in einer Rede, Berliner Rede den Satz geprägt hat, "jeder Patriot in Deutschland muss sich schämen, dass es in Deutschland Menschen gibt, die von nationalbefreiten Zonen reden können". Hier ist der Rechtsstaat gefordert. Ja, natürlich ist der auch gefordert.

    Also wir müssen beides machen. Wir brauchen erstens eine Jugendarbeit, die den Namen verdient. Wir müssen zweitens versuchen, diesen rechtsradikalen Furor nicht nur unter sozusagen jugendpolitischem Aspekt zu sehen, denn es sind die Erwachsenen, die die Jugendlichen dazu machen. Also haben wir auch Erwachsenenarbeit und Erwachsenenbildung zu leisten, mindestens in gleicher Weise. Ich glaube, dass man das alles den sehr armen Ländern in Ostdeutschland nicht einfach zuschieben darf, sondern dass wir hier eine nationale Anstrengung brauchen, die aber nicht dazu führt, dass den Bürgermeistern oder Kommunen es überlassen wird zu bestimmen, was und wer in ihrer Stadt gegen Rechts finanziert und materielle Grundlage bekommt, so wie das offenkundig zurzeit die Bundesregierung plant. Das wäre der falsche Weg, denn das sind doch die Leute, die gar kein Interesse daran haben, dass in ihrer Region oder in ihrer Kommune deutlich wird, dass sie ein Problem haben, immer in der Erwartung, das könnte irgendwelche Investoren daran hindern, da hinzugehen.

    Durak: Uwe-Karsten Heye, Vorsitzender des Vereins "Gesicht zeigen!".