Mittwoch, 24. April 2024

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Hickel: Wir haben ein Steuerquoten- und Lastverteilungsproblem

Der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel sieht die dringende Notwendigkeit, offen über Haushalts- und Steuerpolitik zu diskutieren. Alle Beteiligten müssten sich einigen, welche Steuerquote mittelfristig angestrebt werde. Momentan sei sie im internationalen Vergleich sehr niedrig. Gleichzeitig müsse es eine Diskussion geben, wie die Last der Steuern verteilt sein solle, betonte Hickel.

25.04.2006
    Breker: Wie viel Staat braucht dieses Land? In der Beantwortung dieser Frage steckt auch eine Antwort auf die Frage, wie hoch muss die Steuerquote sein. Die Sozialdemokratie hat herausgefunden, diese Steuerquote sei zu niedrig, der Staat brauche mehr Geld, um für den Bürger da zu sein. Nun mag der Zeitpunkt dieser Diskussion etwas überraschen, stehen wir doch unmittelbar vor einer saftigen Steuererhöhung. Die Mehrwertsteuer wird im kommenden Jahr um satte drei Prozentpunkte angehoben und das, obwohl die Einnahmen zurzeit sprudeln. Da wird schon mal über die Rücknahme der Kürzung bei der Pendlerpauschale nachgedacht, ja sogar drei Punkte Mehrwertsteuer werden in Frage gestellt. Reichen nicht möglicherweise auch schon zwei Prozent Und auch die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg badet im Überschuss. Dennoch wird an der so genannten Hartz-IV-Optimierung gefeilt mit dem Ziel, 1,2 Milliarden Euro zusätzlich einzusparen. – Am Telefon begrüße ich nun den Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel in Bremen. Guten Tag Herr Hickel!

    Hickel: Schönen guten Tag!

    Breker: Mehr Staat, mehr Steuern. Das ist genau das, was jetzt in die Landschaft passt.

    Hickel: Ja, das würde ich auch so sehen. Wir bekommen jetzt einfach mit zwei Entwicklungen, nämlich erstens, dass in der Tat wie Kurt Beck zu Recht sagt die Steuerquote noch nie so niedrig war. Wir haben eine Steuerquote, wenn man das gesamte Steueraufkommen von ungefähr 480 Milliarden Euro bezieht aufs Bruttoinnlandsprodukt, von knapp 20 Prozent in der Rechnung der Finanzstatistik.

    Zweitens stellen wir fest, dass die Steuersenkungen – das ist eine wichtige Erfahrung der letzten Jahre -, vor allem die Unternehmenssteuersenkung ab 2001, überhaupt nichts an wirtschaftlicher Stärkung gebracht haben.

    Drittens gibt es eine Debatte in Deutschland, die ich für ungemein wichtig halte. Wir sehen nämlich, dass gerade vernünftige Vorschläge etwa zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf natürlich auch Geld kosten im Sinne der infrastrukturellen Umsetzung.

    Was man jetzt beobachtet ist eine totale Verunsicherung vor allem bei der SPD. Es geht eigentlich darum, das was schon so ein bisschen zum Tabu erklärt worden ist, bloß nichts mehr an der Steuerpolitik zu drehen, das geht jetzt so nicht weiter. Deshalb ist die Diskussion offen ausgebrochen. Wenn jetzt auch der Bundesfinanzminister Steinbrück sagt, dass etwa die so genannte Reichensteuer, die 3 Prozent auf 42 ab 250.000 zu versteuerndem Einkommen, wieder abgeschafft werden soll, dann sieht es so, als soll eben genau das andere getan werden im Widerspruch zu der Einbeziehung von Besserverdienenden. Also es ist ein Wirrwarr und meine Forderung oder meine These ist, lasst uns jetzt mal in Ruhe überlegen, wie wir eigentlich mit der Haushaltspolitik, mit der Steuerpolitik weiter machen müssen.

    Breker: Nun mag ja die Steuerquote relativ niedrig sein. Tatsächlich fließen aber derzeit die Einnahmen. Sonst käme man ja gar nicht auf den Gedanken, die Reichensteuer abzuschaffen beziehungsweise bei der Pendlerpauschale Kürzungen zurückzunehmen.

    Hickel: Ich glaube das ist eine etwas sehr kurzfristige konjunkturelle Betrachtung. In der Tat fließen wieder mehr Steuern. Das ist übrigens auch ein Verdienst der rot/grünen Regierung, die ja etwa bei der Verrechnung von Verlusten eine Mindestbesteuerung eingeführt hat. Aber auf der anderen Seite kommt es doch darauf an, mittelfristig zu fragen, was brauchen wir für eine Steuerquote.

    Die Steuerquote ist übrigens auch - das ist ganz, ganz wichtig – im internationalen Vergleich sehr, sehr niedrig. Deshalb muss man im Prinzip handeln, um den Staat wieder finanzierungsfähig zu machen, vor allem im Bereich der Infrastruktur. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass in den letzten Jahren massiv – und das beklagen ja alle parteiübergreifend – die öffentlichen Investitionen zurückgegangen sind, so dass wir hier im Grunde genommen eine Stärkung brauchen.

    Mein Ansatz wäre, zwei Dinge zu diskutieren. Erstens die Frage, inwieweit kann man auf der Basis des gegebenen Steuergesetzes und der Steuersätze dafür sorgen, dass auch Steuern bezahlt werden. Das ist die ganze Frage des Abbaus von Steuersubventionen, der Umgehung von Steuertatbeständen. Es gibt einen Vorschlag, auf den sich ja die Koalition im Koalitionsvertrag geeinigt hat, den man sehr schnell vollziehen sollte, nämlich wirklich diese steuerpolitische Tat rückgängig zu machen, dass Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalbeteiligungen, etwa die Deutsche Bank verkauft Anteile von Daimler-Chrysler, wieder versteuert werden. Das wäre so eine Quelle.

    Das zweite ist die Frage, was Kurt Beck anspricht. Wir haben ja nicht nur ein Steuerquotenproblem, sondern wir haben auch ein Lastverteilungsproblem. Die meisten Einkommen sind immer mehr in die Besteuerung hineingewachsen. Von daher ist die Frage, inwieweit man auch vom Leistungsgerechtigkeitsstandpunkt aus oder von der Leistungsfähigkeit aus auch die Last der Steuer umverteilt, und da sind wir natürlich dann mitten drin in der Debatte um die Frage, wie sind Besserverdienende künftig zu versteuern.

    Breker: Die Lastenverteilung, Herr Hickel. Wir haben ja nicht nur die Steuerquote; wir haben auch die Abgabenquote. Das wird oft durcheinander geworfen. Für den Bürger ist es aber letztlich auch gleichgültig, ob er nun Steuern zahlt oder Sozialabgaben leistet. Diese Quote insgesamt, soll die denn stabil bleiben?

    Hickel: Ich bin der Meinung, dass wir die beiden Quoten doch sehr streng auseinander halten, weil etwa ein Sozialhilfebezieher, etwa ein Arbeitslosengeld-II-Bezieher oder Arbeitslosenhilfebezieher natürlich in einer anderen Weise betroffen ist. Ich finde, dass wir erstens die beiden Quoten auseinander halten.

    Zweitens haben wir ja in Deutschland eine sehr wichtige Debatte, nämlich dass in der Tat auch eine Umschichtung stattfinden soll. Wir werden nicht umhin kommen, soziale Sicherungssysteme stärker von der bisherigen klassischen Beitragsfinanzierung zu entkoppeln und das über die Steuern abzuhandeln. Das ist eine Idee, die fast sogar die Regierungskoalition trägt, aber hierzu braucht man natürlich den Mut, weil man muss dann sagen, an welcher Stelle dann Steuern erhöht werden. Wenn so etwas wie Kopfpauschalen diskutiert werden, geht es immer um die Frage auch der gerechten Belastung. Insoweit ist es ganz wichtig, dass wir uns jetzt in Deutschland einfach mal wieder der lang verdrängten Frage stellen: Erstens wie viel Steuern brauchen wir und zweitens wie können insgesamt auch die sozialen Sicherungssysteme gerecht finanziert werden. Da gibt es eine Steuer, die das Bundesverfassungsgericht mehrfach als verfassungswidrig erklärt hat: die derzeitige Praxis der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Hier gibt es Spielraum.

    Die letzte Frage ist: Warum diskutiert man wenigstens nicht mal in dem Zusammenhang eine Vermögenssteuer für private Haushalte. Da haben wir eine enorme Erleichterung, weil das Bundesverfassungsgericht in einem jüngsten Urteil gesagt hat, dass der so genannte Halbteilungsgrundsatz nicht mehr gilt, das heißt also die Vermögenssteuer nicht mehr damit abgelehnt werden kann, dass nicht mehr als die Hälfte eines Einkommens zu versteuern ist. Da gibt es Spielraum. Zumindest müssen wir uns auf die Debatte konzentrieren.

    Am Ende sind wir klug beraten, wenn wir uns in der Tat uns das, was Sie eingangs gesagt haben, beherzigen und sagen, was brauchen wir an öffentlichem Dienst, was brauchen wir an öffentlicher Investition, und dann die Frage stellen, wie muss es finanziert werden. Am Ende profitieren Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen davon.

    Breker: Mehr Steuern, weniger Abgaben. Herr Hickel das ist eine Versprechung, die haben wir schon mal gehört, nämlich bei den Krankenkassenbeiträgen und da hat es nicht funktioniert.

    Hickel: Richtig! Da hat der Mut einfach gefehlt. Wir brauchen natürlich auch eine grundlegende Reform. Darüber diskutieren wir ja strittig mit zwei sich gegenüberstehenden Modellen. Ich glaube, dass in den letzten Jahren die Steuerpolitik zwei Fehler gemacht hat. Erstens: sie hat zu stark gesetzt auf Unternehmenssteuerentlastung, die nicht belohnt worden ist durch mehr Investition. Das zweite: es hat sozusagen eine Gesamtkonzeption gefehlt. Das war so ein Durchwurschteln, womit am Ende die Probleme nicht gelöst worden sind. Deshalb finde ich gut, dass wir jetzt in Deutschland auch durch die Diskussion über neue Grundsatzprogramme – sei es bei der SPD, sei es bei der CDU – in die Debatte kommen.

    Eine Erfahrung ist wichtig, auch im internationalen Vergleich: Wir brauchen einen finanzierungsfähigen, handlungsfähigen Staat, vor allem auch im Bereich der öffentlichen Investitionen. Da muss dann eben auch der Mut bestehen zu finanzieren. Es gibt viele Möglichkeiten, etwa im Bereich der Steuersubventionen abzubauen. Mir will immer noch nicht einleuchten, dass die Tulpenindustrie, die Blumenindustrie einen Mehrwertsteuersatz hat von 7 Prozent. Mir will auch nicht einleuchten, dass wir etwa das nicht machen, was andere Länder machen, dass wir für wegziehende Unternehmen – da gibt es gerade einen Vorschlag von Steinbrück -, die aus Deutschland rausgehen, durchaus überprüfen, inwieweit sie noch steuerlich belastet werden können.

    Breker: Der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel von der Universität Bremen war das in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Herr Hickel danke für dieses Gespräch!

    Hickel: Schönen Dank nach Köln!