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"Hier ist der Rembetiko geboren worden"

Er wird in der Türkei oft als griechischer Blues bezeichneten, weil der Rembetiko die Musik der Griechen Istanbuls und Kleinasiens war. Jetzt wird er in den Kneipen am Bosporus wiederbelebt.

Von Gunnar Köhne | 30.03.2012
    Ein ehemaliger Gewerbehof im Istanbuler Ausgehviertel Beyoglu. Tanz und Live-Musik, verteilt auf drei Etagen. Während unten Discobeats wummern, sitzen im obersten Stockwerk fünf bleiche junge Männer auf der Bühne und singen von den dunklen Gassen Konstantinopels, vom Schmerz der unerwiderten Liebe, dem entbehrungsreichen Leben der armen Leute und dem schönen Rausch von Alkohol und Drogen. Angeführt wird das kleine Orchester von zwei Busukis, jenem Instrument, das so rund wie eine halbierte Melone ist und einen langen, mit Intarsien verzierten Hals und vier Doppelsaiten besitzt.


    Die Gruppe Tatavla Keyfi hat zum Rembetiko-Abend eingeladen. Frontmann Alper Tekin ist Türke, doch er singt auf Griechisch. Tatavla Keyfi ist eine von mittlerweile drei griechisch-türkischen Musikgruppen, die sich in Istanbul dieses häufig als "griechischen Blues" bezeichneten Musikstils verschrieben haben. Denn von hier kommt der Rembetiko: Es war die Musik der Griechen Istanbuls und Kleinasiens, gesungen in den Spelunken am Goldenen Horn und den Hafenbars von Smyrna, dem heutigen Izmir. Im berühmten Lied "Gyftopoula sto Hamam" wird die nackte Schönheit einer Besucherin eines türkischen Bades besungen; "Ich kann nicht verstehen", heißt es dort, "ob du Türkin bist, Griechin, Engländerin oder Französin. Du bist so hübsch." Alev Aksahin, Managerin der Tatavla Keyfi erklärt, warum sie den Rembetiko wieder belebt haben:

    "Wir wollten mit dieser Musik die Menschen - also Türken und Griechen - einander näher bringen und wollten ein Zeichen gegen Nationalismus und Fremdenhass setzen. Aber es ging uns natürlich auch um die Bewahrung dieser wunderbaren Musik - ohne in Nostalgie zu verfallen und dem Verlorenen hinterher trauern. Wir wollen dem Rembetiko neues Leben geben."

    Dafür haben sie auch für den Rembetiko ungewöhnliche Instrumente dazu geholt, wie das Harmonium ihres Mitglieds Mamed Dzhafarov, der von der Krim am Schwarzen Meer stammt. Auch werden einige Lieder auf Türkisch gesungen. Buzuki-Spieler Haris Rigas, vor ein paar Jahren zum Studium aus Athen nach Istanbul gekommen, erklärt, warum es für ihn als Griechen etwas Besonderes ist, den Rembetiko ausgerechnet hier, in Istanbul - griechisch: Konstantinopoli - zu spielen:

    "Hier ist der Rembetiko geboren worden, hier in Istanbul und in Izmir. Das gibt der Musik die Kraft des Originären. Denn es ist ja nicht bloß Musik, es ist ein Lebensgefühl. Und dieses besondere Lebensgefühl ist hier in Istanbul immer noch zu finden."

    Mit der Vertreibung von Millionen Griechen aus Kleinasien 1922 verschwand der Rembetiko aus der Türkei. Die Ausgewiesenen sangen ihre Lieder mit ihren sozialkritischen, aber auch häufig vulgären und Drogen verherrlichenden Texten fortan in den Kneipen von Piräus oder Thessaloniki. "Hol mir Gras, Schwester,
    geh, hol uns Gras", heißt es in dem Lied "Alaniaris" von Markos Vamvakaris aus dem Jahre 1935. "Wenn wir zusammen berauscht sind, ist eine Busuki alles, was ich brauch'."

    Rembetiko blieb in Griechenland die Musik der Neuankömmlinge. In Istanbul dagegen konnte sie nicht überleben. Vor 80 Jahren lebten noch 400.000 Griechen am Bosporus. Heute ist die Minderheit auf gerade einmal 3000 geschrumpft. Nach jahrzehntelanger Ausgrenzung geht der türkische Staat aber neuerdings auf die christliche Minderheit zu: So wurden vom Staat konfiszierte Gebäude den griechischen Stiftungen zurückgegeben. Der griechisch-orthodoxe Patriarch durfte kürzlich vor dem Parlament in Ankara reden. Und zum ersten Mal seit 60 Jahren konnten die Griechen in Istanbul im vergangenen Jahr wieder ihren traditionellen Straßenkarneval Bakla Horani feiern. Und nun bringt auch der Rembetiko beide Volksgruppen einander näher. Stimmen aus dem Publikum von Tatavla Keyfi:

    "Die Musik, die Rythmen sind uns Türken nicht fremd. Darum kommen wir gerne hierher."

    "Viele Türken wissen gar nicht, dass es uns Istanbuler Griechen noch gibt. Dass wir auf diese Weise zusammen kommen, ist eine schöne Sache."

    Ein älterer Mann aus dem Publikum steht auf. Er breitet seine Arme aus. Mit geschlossenen Augen bewegt er sich in engen Schritten. Andere Zuschauer folgen ihm. Träge tanzen sie den Zeibekiko, der zum Rembetiko gehört. Genauso wie Istanbul.