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"Hier wird das Gleichheitsgebot verletzt"

Transparency International hat die Praxis der Landes-CDU in Nordrhein-Westfalen, Gespräche mit ihrem Vorsitzenden Jürgen Rüttgers für 6000 Euro anzubieten, scharf kritisiert. Dabei werde die Käuflichkeit der Einflussnahme auf Politik angeboten, sagte TI-Vorstand Jochen Bäumel.

Jochen Bäumel im Gespräch mit Gerd Breker | 22.02.2010
    Gerd Breker: Die Landes-CDU in Nordrhein-Westfalen hatte Sponsoren des Parteitages im März ein Gespräch mit ihrem Vorsitzenden für je 6000 Euro angeboten. Dumm nur, dass dieser Landesvorsitzende schon seit einiger Zeit Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen ist. In den Medien ist schon die Rede von einer Käuflichkeitsaffäre. Am Telefon bin ich nun verbunden mit Jochen Bäumel vom Vorstand von Transparency International. Er ist dort zuständig für politische Korruption. Guten Tag, Herr Bäumel.

    Jochen Bäumel: Ich grüße Sie. Guten Tag!

    Breker: Herr Bäumel, ist das juristisch relevant, was der Kollege Zurheide gerade aus Düsseldorf geschildert hat?

    Bäumel: Das ist ganz schwierig zu beurteilen, ob es juristisch relevant ist. Es gibt auf jeden Fall ein paar Punkte, die man auf jeden Fall ansprechen muss, wenn Sie an diese ganze Skala denken, die der Kollege aufgeführt hat, an Vergünstigungen, die es gibt, wenn man bezahlt. Hier wird als Erstes das Gleichheitsgebot verletzt, das besagt, dass alle Bürger den gleichen Zugang zu Politik und ihren Entscheidungsträgern haben müssen. Da kann es nicht sein, dass ich einen besseren Zugang einfach bekomme, wenn ich mehr Geld habe. Das Zweite ist: Die Unternehmen können diese Ausgaben, die sie hier, wenn sie Stände mieten, Plätze mieten bei Parteitagen, als Betriebsausgaben verbuchen. Das heißt, sie können sie von der Steuer absetzen. Das ist anders als bei Spenden. Und das Dritte ist: in den Rechenschaftsberichten der Parteien tauchen diese Einnahmen nur als Mieteinnahmen auf. Das heißt, da weiß man dann auch nicht mehr, wer der Sponsor war, und das heißt, das Transparenzgebot ist verletzt worden.
    Wenn jetzt Herr Rüttgers diesen Brief ja sofort zurückgezogen hat und gesagt hat, er hat nichts davon gewusst, so muss man doch sagen, es muss offensichtlich Teile im Apparat der Landes-CDU geben, die entsprechend denken, und hier, denke ich, ist das Wort der Dekadenz, das zurzeit in der Politik die Runde macht, tatsächlich angebracht. Hier wurde die Käuflichkeit der Einflussnahme auf Politik angeboten. Und wenn man im Duden nachguckt, was Dekadenz heißt, dann ist das Verfall, Entartung, sittlicher und kultureller Niedergang.

    Breker: Das wäre die Frage, die sich im Anschluss stellt, Herr Bäumel. Was ist eigentlich in unserer Gesellschaft geschehen, wenn in solchen Situationen die Alarmglocken nicht unüberhörbar laut läuten?

    Bäumel: Das sehe ich wiederum anders. Ich glaube, dass die Alarmglocken geläutet haben. Herr Rüttgers hat ja sofort zurückgezogen und die Öffentlichkeit diskutiert darüber. Das ist das Positive an diesem Fall. Jetzt muss man natürlich auch hoffen, dass es Veränderungen und Ergänzungen gibt, denn das Parteispendengesetz, das ist vor etlichen Jahren novelliert worden, das zeigt aber, dass es zum Beispiel angebracht wäre, Obergrenzen für Unternehmensspenden anzugeben, denn Unternehmen selber sind ja eigentlich keine Wähler, trotzdem können sie für Parteien spenden, und zwar unbegrenzt, es muss nur entsprechend veröffentlicht werden. Wir denken, dass es eine Obergrenze pro Jahr und Unternehmen von 50.000 Euro geben sollte, und die Veröffentlichungspflicht, die jetzt bei 10.000 Euro liegt, die müsste man herunterfahren auf 2000 Euro, und dann müsste man endlich auch die Rechenschaftsberichte der Parteien so veröffentlichen, dass sie nicht erst eineinhalb bis zwei Jahre später nachzulesen sind, sondern das könnte man in der heutigen Zeit auch halbjährlich schaffen.

    Breker: Also nicht nur das Unrechtsbewusstsein hat sich verschoben, sondern wir müssen unsere Gesetzgebung auch anpassen, aktualisieren an die Gepflogenheiten, die sich eingebürgert haben?

    Bäumel: Mit Sicherheit, Herr Breker. Ich hoffe, dass das passiert.

    Breker: Wenn allein die Mitgliedschaft in einer Partei, zum Beispiel in der FDP, einen Rabatt bei privaten Krankenversicherungen bringt, ist das nicht auch besorgniserregend?

    Bäumel: Diese Regelungen, dass es Rabatte gibt, die gibt es natürlich für alle möglichen Berufsgruppen. Aber dass man jetzt eine politische Partei auch so bevorzugt, das ist natürlich nachdenkenswert beziehungsweise da kann man schon fragen, dass gerade in diesem politischen Bereich, wo also Geld keine Rolle spielen sollte, es natürlich eine Bevorzugung ist, wenn ich solche Rabatte bekomme. Von daher müssten sie eigentlich abgelehnt werden.

    Breker: Von den Parteien abgelehnt werden?

    Bäumel: Die Parteien dürften das nicht mehr machen und man muss natürlich auch die Anbieter mal in die Pflicht nehmen. Das sind die Versicherungen, die so etwas anbieten. Die machen das ja doch nicht grundlos.

    Breker: Wir müssen diesen Fall weiter debattieren. – Ein erstes Gespräch war das mit Jochen Bäumel, er ist Vorstandsmitglied von Transparency International und dort zuständig für politische Korruption. Herr Bäumel, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch.

    Bäumel: Gerne, Herr Breker. Auf Wiederhören!