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Hilfe für pflegende Angehörige

Rund 1,7 Millionen Menschen in Deutschland pflegen ihre Angehörigen - und werden darüber nicht selten selber krank. Für diese aufopfernden Pflegekräfte hat die Uni Witten/Herdecke gemeinsam mit der Unfallkasse ein Programm entwickelt, das ihnen unter die Arme greifen soll.

Von Katja-Corina Bothe | 23.08.2011
    Musik von früher. An die erinnert sich Elli Busch aus Dortmund noch ganz gut. Die 89-Jährige ist dement, ihre Tochter pflegt sie deshalb seit drei Jahren – rund um die Uhr.

    Selbst krank zu werden - das kann sich Marina Allemeyer als pflegende Angehörige eigentlich nicht erlauben:

    "Letztens zum Beispiel habe ich Zahnschmerzen gehabt. Und dann war das auch so ein heißer Tag, da habe ich gedacht, da kannst du sie jetzt nicht mitnehmen. Ja, da muss man sich spontan was einfallen lassen. Da habe ich die Nachbarin gebeten und die hat ein bisschen auf meine Mutter aufgepasst."

    Um Menschen zu entlasten, die ihre Angehörigen aufopfernd pflegen, hat die Uni Witten/Herdecke gemeinsam mit der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen ein Konzept entwickelt. Unter der Leitung von Prof. Angelika Zegelin ist in den Modellstädten Dortmund und Solingen ein Netzwerk entstanden. Pflegedienste, Beratungsstellen, Ärzte, Apotheken, städtische und kirchliche Einrichtungen ziehen jetzt an einem Strang. Sie unterstützen gemeinsam die pflegenden Angehörigen.

    Prof. Angelika Zegelin: "Es gab bisher kaum Angebote für die pflegenden Angehörigen direkt, sondern nur indirekt, das heißt, Informationen zur Erleichterung der Pflege und so etwas gibt es, aber uns geht es darum, dass der pflegende Angehörige selbst in den Fokus kommt und in unserer Gesellschaft mehr Wertschätzung und Anerkennung für diese Arbeit da ist."

    Das bedeutet, das Kinder oder Partner von Pflegebedürftigen einfacher Hilfe und Beratung finden. Mitarbeiter der Anlaufstellen sollen nicht nur ihr eigenes Angebot, sondern sämtliche Einrichtungen kennen und Tipps geben. Elli Busch kommt dank des Modellprojekts jetzt zweimal die Woche für ein paar Stunden in eine Betreuungsgruppe. Ihre Tochter Marina Allemeyer hat so auch mal Freizeit:

    "Ich treffe heute meine Freundin, wir gehen schwimmen, das haben wir jetzt gesagt, jeden Donnerstag, wenn meine Mutter in Betreuung ist, dann gehen wir schwimmen."

    Und samstags kann sie in Ruhe mit ihrem Mann die Einkäufe erledigen. Auch das geht, weil ihre Mutter vom Seniorenbüro der Stadt betreut wird. Das Modellprojekt der Uni Witten/Herdecke bietet aber noch mehr. Prof. Angelika Zegelin:

    "Wir arbeiten in beiden Städten stadteilbezogen. Die pflegenden Angehörigen haben wenig Zeit und da geht es darum, dass sie direkt vor Ort in ihrer Nähe Angebote finden und deswegen ist es wichtig, dass die Anbieter sich abstimmen und auch neue Angebote auf den Weg bringen."

    Auch gibt es jetzt die sogenannte Notfallkarte. Die ist eine Art Ausweis, mit der die pflegenden Angehörigen beim Arzt schneller an die Reihe kommen. Und sollte ihnen selbst mal etwas zustoßen, weist die Notfallkarte darauf hin, dass sich in ihrem Haus ein hilfloser Mensch befindet.

    Demnächst soll es auch eine Internetadresse geben, auf der pflegende Angehörige alle Angebote in ihrer Nähe auf einen Blick erhalten.

    Marina Allemeyer freut sich über die plötzliche Aufmerksamkeit. Ihre Mutter ist alt, niemand weiß, ob sie vielleicht nächstes Jahr im Rollstuhl sitzt und wie viel Kraft es dann kosten wird, sie zu pflegen. Nicht nur körperlich, sondern auch psychisch:

    "Man wächst da rein, man will es erst nicht wahrhaben, aber mit der Zeit wächst man da rein und muss es irgendwann akzeptieren. Es gibt viele Tränen, also ich hab ganz viel gesessen und geweint, weil ich nicht wahrhaben wollte, wie meine Mutter sich verändert."

    Ihr Herz ausschütten und ein offenes Ohr finden. Auch das soll das Modellprojekt bald bieten. Speziell geschulte Ehrenamtliche sollen Pflegetipps geben und Betroffenen Mut machen, mit der Situation besser umzugehen. Denn pflegende Angehörige werden künftig wohl noch mehr gebraucht.