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Hilfe für Terroropfer in Frankreich
Staatliche Entschädigung für jeden

Durch die Attentate der letzten 18 Monate wurden in Frankreich über 230 Menschen getötet, Hunderte Menschen verletzt, hinzu kommen noch jene, die einen schweren Schock erlitten haben. Der französische Staat verspricht allen Opfern rasche und großzügige Unterstützung. Hilfsvereine raten aber Antragstellern, sich gut abzusichern.

Von Bettina Kaps | 08.08.2016
    Nizza
    Viele Menschen erleiden nach Anschlägen ein Trauma. In Frankreich gibt es staatliche Hilfe. (picture alliance/dpa/Foto: Cyril Dodergny)
    Das Opfer-Telefon der französischen Hilfsorganisation INAVEM ist mit vier Beratern derzeit gut besetzt. Noch immer rufen hier Menschen an, die am Abend des 14. Juli in Nizza auf der "Promenade des Anglais" waren, als ein Fanatiker mit einem Lastwagen 84 Menschen getötet hat. Die Hilfsorganisation bringt sie gezielt mit Fachleuten in Kontakt, die ihnen psychologischen, ärztlichen und juristischen Beistand liefern können, sagt Olivia Mons vom Verband INAVEM. "Die Regierung hat jetzt eine Website für die Opfer von Terrorattacken geschaffen. Dort sind alle Informationen gebündelt. Außerdem gibt es ein Formular, um Entschädigung zu beantragen. Wir empfehlen jedoch sehr, sich dabei von unseren Spezialisten begleiten zu lassen, deren Unterstützung gratis ist."
    Für Auszahlungen an die Opfer, ihre Hinterbliebenen und Verwandten ist der "Garantiefonds für Opfer von Terrorakten und anderen Verbrechen" - FGTI - zuständig. Der Fonds finanziert sich durch eine jährliche Sonderabgabe für Attentate, die alle Versicherungsnehmer in Frankreich bezahlen, wenn sie ihren Hausrat oder ihr Auto versichern lassen. Zum 1. Januar 2016 wurde die Abgabe um einen Euro auf 4 Euro 30 erhöht. Dadurch verfügt der Fonds jetzt über Geldreserven in Höhe von 1,4 Milliarden Euro. Kürzlich wurden Sorgen laut, ob die Mittel reichen, um die vielen neuen Opfer zu entschädigen. Juliette Méadel, Staatssekretärin für Opferhilfe, hat solche Zweifel energisch zurückgewiesen: "Wir bestreiten derzeit die Kosten für die Attentate vom November, für die wir 350 Millionen Euro veranschlagen. Der Garantiefonds wird auch alle Opfer von Nizza entschädigen. Frankreich ist eins der wenigen Länder, die auch Schmerzensgeld leisten. Dieses Prinzip stellen wir nicht infrage, der Staat wird immer präsent sein."
    Hilfsfonds als zu bürokratisch empfunden
    Das Staatssekretariat für Opferhilfe wurde im Februar eingerichtet, weil der Staat nach den Anschlägen vom November in die Kritik geraten war, sagt Guillaume Denoix de Saint Marc, Vorsitzender des französischen Vereins der Terroropfer AfTV. "Viele Betroffene waren damals wütend, weil der Hilfsfonds wie eine reine Zahlstelle agierte. Seine Briefe waren kalt und bürokratisch, vor allem, wenn Entschädigungsanträge abschlägig beschieden wurden – das haben die Opfer als Aggression empfunden. Die Staatssekretärin überprüft diese Dinge jetzt. Ich bin zuversichtlich, dass der Fonds lernen wird, besser zu kommunizieren."
    Trotzdem müsse den Opfern klar sein, dass der Hilfsfonds einem Versicherungsunternehmen gleiche. Deshalb rät auch Denoix de Saint Marc den Betroffenen dringend, sich bei allen Formalitäten helfen zu lassen und warnt vor überzogenen Erwartungen: In Frankreich werde kein Opfer zum Millionär. "Leider sind Opfer, die keine Fachleute einschalten, oft benachteiligt. Es sollte auch niemand ohne eigenen Experten zu einer medizinischen Untersuchung gehen. Und selbst wenn alles gut verläuft – die Entschädigung durch den französischen Staat kann nie alle Kosten decken, mit denen ein Opfer in seinem weiteren Leben rechnen muss."
    Recht auf Entschädigung auch für Deutsche
    Denoix de Saint Marc spricht aus Erfahrung. Wie die meisten Mitglieder seines Vereins musste er persönlich ein Attentat bewältigen: Sein Vater kam bei einem Bombenanschlag auf ein Flugzeug ums Leben.
    Aber wer genau als Opfer gelten kann – diese Frage stellt sich nach dem Attentat von Nizza ganz neu. 30.000 Menschen haben den Tathergang auf der Uferpromenade mehr oder weniger intensiv miterlebt. Für Denoix de Saint Marc steht fest, dass jeder Einzelne ein Trauma entwickeln kann. "Unsere Sorge ist: Werden sie Anrecht auf staatliche Entschädigung erhalten? Angesichts von 30.000 Menschen befürchte ich, dass viele, die tatsächlich traumatisiert sind, nicht als Opfer anerkannt werden."
    Die Hilfsorganisation AfVT möchte nun auch mit den deutschen Opfern des Attentats von Nizza in Verbindung treten und ihnen helfen, ihre Rechte auf Entschädigung durch den französischen Staat geltend zu machen.