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Hilflos dem Teufel ausgeliefert

Einen wilden, grotesken Roman aus der stalinistischen und korrupten Sowjetunion hat der Regisseur Sebastian Baumgarten in Düsseldorf auf die Bühne gebracht und in die Gegenwart versetzt: In "Der Meister und Margarita" wird vor rasantem Bühnenbild ein entlarvender Blick auf das Russland von heute gewagt.

Von Dorothea Marcus | 17.04.2008
    Die Hauptrolle an diesem Abend spielt das Bühnenbild. Es ist durch den Videokünstler Stefan Bischoff zum spektakulären Kunstwerk geworden: Ein Foto aus Moskau aus dem Januar 2008, aufgezogen auf einer riesigen Halfpipe, vergrößert zur lebenden Videotapete.

    Es verdichtet das graue Elend der Megacity: Riesenhafte, anonyme Wohnbunker aus Beton ragen in einen bleiernen Winterhimmel, in dem es blitzen und schneien kann, der sich apokalpytisch verdunkelt oder alle möglichen Figuren aufnehmen kann. In diesem Hochhaus, eine der besten Wohngegenden, wird behauptet, liegt auch die geheimnisvolle Wohnung Nr. 50. Bei Bulgakow hat sie der Teufel Voland angemietet, in ihr verschwinden Menschen geheimnisvoll und werden satanische Messen gefeiert. Immer, wenn von ihr die Rede ist, leuchtet ein Hochhausfenster blutrot.

    Im Fotovordergrund liegen schmutzige, schneebedeckte Barackenbauten. In ihnen öffnen sich echte Türen zur Bühne, die bedeckt ist mit echtem Schnee, der im Laufe des Abends zu trübem Matsch wird, davor hat Bühnenbildner Thilo Rether durchgesessene Sofas, schmutzige Sofas und Küchengeräte drapiert.

    Doch in der bescheidensten Hütte kann eine fantastische Wellness-Oase liegen, scheint Baumgarten Bulgakow beim Wort genommen zu haben: Er lässt die Literaten Berlioz und Besdommy nackt aus dem Foto schlittern, das dahinter eine dampfende Sauna verbirgt. Zur Entspannung philosophieren sie ein wenig über die Nichtexistenz Gottes, ehe sie vom Teufel Voland geholt werden. Rainer Galke gibt Voland als eine Art Künstler-Guru à la Jonathan Meese mit wirrem Haar und elektronisch verstärkter Stimme, von Schrecken ist da nichts zu spüren.

    "Guten Abend.
    Das ist der Mann, der Berlioz in den Tod getrieben hat!
    Wen habe ich in den Tod getrieben?
    Ich werde Sie alle verklagen
    !
    Wegen absoluter Talentlosigkeit...
    Was machen Sie denn?
    Ich muss den Satan fangen..."

    "Der Meister und Margarita" ist ein Jahrhundertroman: eine Mischung aus Goethes Faust und Dantes Göttlicher Komödie, in der verschiedenste Handlungsebenen verwirrend verschränkt sind. Nadine Geyersbach als Margarita ist ein selbstbewusstes Mädchen, das den "Meister", den verkrachten Literaten, wirklich zu lieben scheint. Der wird von Markus Scheumann lakonisch und lustig gezeigt, auch als er später ins Irrenhaus gerät, verliert er nie den melancholischen Mut.

    Sein Roman mit dem Titel "Pontius Pilates" wird, wie schon bei Frank Castorf, ganz auf Video verlagert. Pontius wird ebenfalls von Scheumann gespielt und kämpft mit Jesus um Leben und Tod. Und schließlich gibt es noch die erste Ebene, in der eben Teufel Voland in die kleingeistige Moskauer Gesellschaft einbricht und ihren prekären Alltag in puren Irrsinn verwandelt - weshalb die meisten auch im Irrenhaus landen. Aus dem Ofen fährt eine Katze, aus den Gullis unter dem Schnee steigen Menschen und Ölfontänen, der Teufel und seine Mitarbeiter führen Taschenspielertricks vor, der Meister und Margarita sterben schließlich, glücklich im Eheleben vereint, an durch den Teufel vergifteter Zahnpasta und fahren in den Fotohimmel auf.

    Sebastian Baumgarten illustriert Bulgakows fantastische Groteske souverän und manchmal fast zu effektsicher, baut packende Soundtracks und ständige Zitate und Bezüge ein. Nicht nur die legendäre Castorf-Inszenierung, sondern auch eine gewisse Spiralblock-Affäre scheint auf, wenn der Meister ins Publikum klettert und einem Kritiker fast das Schreibmaterial entreißt.

    "Es gibt keine Farben! Keine Entwicklung der Figuren! Aber die durchgehende Ironisierung der Figuren macht alle Entwicklungsansätze zunichte! Ich werde das Gefühl nicht los, dass die Verfasser dieser Artikel nicht das schreiben, was sie eigentlich wollen..."

    Baumgarten erzählt unterhaltsam und stringent, dass der Einzelne hilflos dem Teufel ausgeliefert ist, aber dass das ja auch ziemlich lustig ist. Dass in der prekärsten Bretterbude das gefährliche Reich der Fantasie lauert, das die Menschen vermeintlich aus ihrer Ohnmacht befreien kann - um sie gleichzeitig ins Verderben zu stürzen.

    Im Programmheft zeigt Boris Groys - den übrigens auch Castorf als Theoretiker nutzte - dass das raubtierkapitalistische Russland von heute und das stalinistisch-bürokratische Russland von damals nicht besonders weit entfernt sind. Und so scheint es letztlich, als seien die ohnmächtigen, lächerlichen und verrückt gewordenen Russen nur Vorboten dessen, wo es auch mit uns einmal hingehen könnte - ins fröhliche Verderben.