Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Hilfspaket für Griechenland
"Aus Größe erwächst Verantwortung"

Grünen-Chef Cem Özdemir kritisiert, dass die Bundesregierung im Streit mit Griechenland einen "Schlingerkurs" fahre. Mit dem Grexit-Papier von Wolfgang Schäuble hat sie nach Ansicht von Özdemir eine Kehrtwende in ihrer Europa-Politik vollzogen und damit auch die deutsch-französische Achse in Frage gestellt.

Cem Özdemir im Gespräch mit Bettina Klein | 13.07.2015
    Grünen-Parteichef Cem Özdemir
    Grünen-Parteichef Özdemir kritisiert Griechenland-Kurs der Bundesregierung (dpa picture alliance/ Diana Weschke)
    Bei den Verhandlungen mit Griechenland komme es zentral auf Deutschland an, sagte Özdemir im Deutschlandfunk. Gerade weil Deutschland größer sei. Daraus erwächst seiner Meinung nach eine besondere Verantwortung. Allerdings sei Deutschland in einer Hand von Menschen, die offenbar selbst nicht so genau wüssten, was sie wollten. Özdemir nannte SPD-Chef Sigmar Gabriel einen "Zickzack-Vizekanzler". Und Bundeskanzlerin Angela Merkel fehle der Mut, sich gegen den rechten Parteiflügel in der CDU durchzusetzen.
    Özdemir gibt auch der griechischen Regierung eine Mitschuld dafür, dass die Verhandlungen so schwierig waren. Über Tsipras' Strategie müsse man sich nicht nur wundern, sondern ärgern, sagte er. Tsipras habe die Währung für Griechenland teurer gemacht. Bei den Verhandlungen müssten sich alle Seiten bewegen. Kontrollen seien richtig. Allerdings dürfe man Griechenland nicht demütigen und das Parlament nicht entmachten. Das könnte dazu führen, dass noch radikalere Bewegungen an die Macht kämen.
    Wenn ein Land Souveränität an die EU abgebe, dann müsse das für alle Mitgliedsstaaten genauso gelten, betonte Özdemir.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Wir gehen nach Berlin, hören eine Stimme aus der Opposition. Am Telefon ist Cem Özdemir, einer der beiden Vorsitzenden der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Guten Morgen, Herr Özdemir!
    Cem Özdemir: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Wenn Sie das heute Morgen verfolgen, ist das Kind schon im Brunnen, Ihrer Meinung nach, oder setzen Sie darauf, dass es eine Einigung geben wird mit Griechenland in der Eurozone?
    Özdemir: Selbst wenn es eine Einigung gibt - es scheint ja jetzt noch ein Punkt offen zu sein, die Frage der Privatisierung -, selbst dann muss man sagen, erstmals seit Jahrzehnten hat sich die Bundesrepublik Deutschland gegen das Prinzip der immer engeren Vertiefung der Europäischen Union gestellt und sich damit gegen eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten innerhalb der Europäischen Union für einen Austritt Griechenlands aus dem Euro ausgesprochen mit dem Grexit-Plan.
    Das ist eine Kehrtwende, die Deutschland da faktisch vornimmt. Die deutsch-französische Achse, die, wie Sie wissen, quasi "raison d'Être" auch Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg war, ist de facto beendet oder zumindest massiv infrage gestellt. Wir haben hier gerade eine dramatische Veränderung der deutschen Europapolitik.
    Klein: Sie spielen jetzt auch an auf dieses inoffizielle Papier von Wolfgang Schäuble, über das wir heute Morgen schon mehrfach gesprochen haben, obwohl es ja vom Tisch inzwischen ist. Die SPD hat sich davon distanziert und es ist auch kein offizielles Papier gewesen.
    Özdemir: Wir wissen, dass dieses Papier abgestimmt war mit Herrn Gabriel, mit dem Vorsitzenden der SPD, und einige SPD-Mitglieder, die eifrig getwittert haben, die SPD sei nicht eingebunden, haben da offensichtlich Diskussionsbedarf in ihrer Partei.
    Was wir hier erleben ist, dass wir einen Zickzack-Vizekanzler haben. Der heißt ja offiziell schon so in den Medien, Zickzack-Gabriel. Wir haben einen Drehhofer, Seehofer als Vorsitzenden der CSU.
    Wir haben Schäuble, der will ein Mitgliedsland der Europäischen Union demütigen, und wir haben eine Bundeskanzlerin, die ihre Koalition, die immerhin 80 Prozent im Deutschen Bundestag hat, offensichtlich nicht im Griff hat, vor ihrem rechten Flügel so Angst hat, dass sie alles das, wofür Helmut Kohl, wofür Adenauer, wofür Deutschland stand, quasi aufs Spiel setzt.
    Klein: Interessant, Herr Özdemir, dass Sie sich heute Morgen so auf die SPD einstellen an der Stelle. Wir haben ja von Martin Schulz vor einer Stunde etwa gehört, auch SPD, hat gestern mit Gabriel zusammengesessen, Präsident des Europaparlamentes, der gesagt hat, das ist eigentlich gar kein Thema mehr. Vielleicht war Gabriel informiert, aber das heißt noch lange nicht, dass da irgendwas abgestimmt war.
    Özdemir: Ich glaube, Bibel-Exegese oder die Interpretation religiöser Lehrsätze ist einfacher als zu verstehen, wofür Herr Gabriel steht. Er scheint, sich da offensichtlich mit Herrn Seehofer gegenseitig Konkurrenz zu machen im Ändern der Meinung am selben Tag.
    Wir reden hier über die bedeutendste Volkswirtschaft Europas. Wir reden über das Land, auf das es zentral ankommt, wenn der Einigungsprozess und der Vertiefungsprozess in Europa, gerade wenn es eine Krise gibt, vorangehen soll, und dieses Land ist in der Hand von Leuten, die offensichtlich nicht selber so genau wissen, was sie wollen, und einer Kanzlerin, die zögerlich ist, die ängstlich ist, die es eigentlich besser weiß. Wir waren ja nun oft im Kanzleramt und haben mitbekommen, dass die Kanzlerin im Laufe der Jahre ja auch selber verstanden hat, dass ihre anfängliche Austeritätspolitik eigentlich gescheitert ist.
    Aber offensichtlich fehlt ihr der Mut, sich gegen die Schäubles, gegen die Seehofers und gegen die Gabriels durchzusetzen.
    "Auf Demütigung sollte man verzichten"
    Klein: Na ja, Herr Özdemir. Sie ist im Augenblick, wie es den Anschein hat, zögerlich, Griechenland einfach aus dem Euro rausfallen zu lassen. Ich meine, nicht umsonst wird da immer noch verhandelt in Brüssel, und wir haben inzwischen 8:21 Uhr.
    Özdemir: Das ist ja richtig, dass man hart verhandelt. Und um das auch sehr klar zu machen: Die Strategie von Alexis Tsipras, über die kann man sich nicht nur wundern, sondern über die muss man sich ärgern, denn er hat die Preise für Griechenland teurer gemacht. Das war falsch und gefährlich.
    Das haben wir immer auch in aller Deutlichkeit gesagt. Aber das Prinzip, dass man jetzt Kontrollmechanismen einführt, ist richtig, aber auf Demütigung sollte man verzichten. Hier wird ein anderes Europa aufgebaut, dessen Zentrum künftig offensichtlich in Berlin sein soll. Das widerspricht dem Geist der Partnerschaft.
    Klein: Ist es denn sinnvoll, auf solche emotionalen Kategorien wie Demütigung jetzt auch aus Ihrem Mund abzuheben? Es geht möglicherweise darum, dass Griechenland ein Stück weit Souveränität abgeben muss, aber das ist ja auch oft diskutiert worden über Jahre, wenn wir über die europäische Integration sprechen, dass es natürlich so sein wird, dass in der Zukunft es eine Abgabe von Souveränität an die europäische Ebene wohl wird geben müssen, die wir im Augenblick nicht haben und was ein Grund für die Probleme ist, in denen wir stecken im Augenblick.
    Özdemir: Das ist der Grundgedanke der Europäischen Union, Souveränität von Nationalstaaten auf eine supranationale Ebene, auf die europäische Ebene abzugeben. Das heißt nur allerdings auch, dass alle dann davon betroffen sind.
    Zur Souveränitätsabgabe gehört auch die Bereitschaft, den Partnern zu helfen und das Ganze auf Augenhöhe.
    Ich glaube, was wir hier erleben ist die Radikalisierung im Inneren von Mitgliedsstaaten. Die haben wir ja nicht nur in Deutschland. Das Abwenden von der europäischen Idee durch populistische, durch radikale Bewegungen und Parteien, das haben wir in vielen europäischen Ländern. Dem steht entgegen außerhalb der Europäischen Union eine globalisierte Welt mit Klimawandel, mit Kriegen, mit islamistischem Terrorismus, die auf uns wartet. Und was machen wir? Wir sind nicht in der Lage, das Problem zu lösen von einem Mitgliedsland, das gerade mal 1,2 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt der Europäischen Union beiträgt. Ob das Vertrauen in die Krisenlösungskompetenz Europas auslöst, da kann man berechtigte Fragezeichen dahinter machen.
    "Führen tut man nicht, indem man andere klein macht"
    Klein: Wir stehen im Augenblick wirklich in schwierigen Zeiten. Niemand möchte möglicherweise in der Haut jener Politiker stecken, die jetzt Entscheidungen treffen müssen, die für uns alle noch unabsehbare Folgen haben, natürlich für Griechenland an allererster Stelle.
    Ist es nicht aber richtig und vor allen Dingen immer auch ein Wert gewesen der Europäischen Union, dass man diese Nachtsitzungen hatte und alles versucht hat, um einen Kompromiss unter vielen Staaten, die ja dazu gehören, zu erzielen?
    Özdemir: Absolut! Alles an Verhandlungen ist besser wie ein einziger Schuss, wie Austritt oder Zerfall der Europäischen Union. Das ist sicher richtig. Aber ein Wesensbestandteil der deutschen Politik innerhalb der Europäischen Union war immer, dass wir, gerade weil wir größer sind, dass daraus für uns Verantwortung erwächst. Ich erinnere daran, wie dankbar wir dafür waren, dass das Zeitfenster der deutschen Einheit genutzt werden konnte, indem die anderen das nicht blockiert haben. Daraus erwächst Verantwortung. F
    ühren tut man nicht, indem man andere klein macht, sondern führen tut man auch darüber, indem man Verantwortung übernimmt, und da hat diese Bundesregierung sicherlich kein gutes Zeugnis ausgestellt bekommen.
    "Wir brauchen handlungsfähige Regierungen in Europa"
    Klein: Sagen Sie heute Morgen, Herr Özdemir. Ich würde ganz gerne noch mal abschließend auf einen Punkt schauen. Sie haben gerade die Fehler auch der griechischen Regierung angesprochen. Wir haben in den vergangenen Tagen immer wieder gehört, wir müssten von einer griechischen Logik dabei ausgehen, und da seien im Augenblick keine europäischen Standards anzulegen. Teilen Sie das und verstehen Sie diese griechische Logik vielleicht besser als andere europäische Politiker?
    Özdemir: Wenn wir in Europa gemeinsam vorangehen müssen, dann müssen sich alle Seiten bewegen. Da kann es ja kein Vertun geben. Das ist klar, dass es keine finanziellen Leistungen ohne entsprechende Kontrollmechanismen geben kann.
    Ob die Kontrollmechanismen allerdings so weit gehen müssen, dass das griechische Parlament de facto entmachtet wird, das muss man vom Ende her denken, denn wir haben ja gesehen was passiert, wenn eine Regierung de facto delegitimiert wird. Dann wählen die Leute radikalere Bewegungen. Selbst Tsipras verdankt doch seinen Wahlsieg unter anderem auch unserer Austeritätspolitik.
    Und die Frage, die man doch stellen muss, ist: Was kommt danach? Wie viel Radikalisierung verträgt ein Land? Wir brauchen in Europa Regierungen, die handlungsfähig sind, die nicht von ihrer Bevölkerung im Prinzip jede Art von Mehrheit verlieren und die Radikalen Linksaußen und Rechtsaußen immer stärker werden. Das muss ein Herr Schäuble, das muss eine Frau Merkel mitbedenken.
    Früher hatten wir in Deutschland Politiker, die immer auch ein bisschen mitbedacht haben, was lösen meine Worte, was löst meine Politik anderswo in Europa aus. Das scheint mittlerweile nicht mehr so zu sein.
    Klein: Die Meinung von Cem Özdemir heute Morgen im Deutschlandfunk, einer der beiden Vorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen. Danke für das Interview heute Morgen.
    Özdemir: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.