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Hillary Clinton
Trost bei Tillich

Vor einem knappen Jahr verlor Hillary Clinton die Wahl gegen Donald Trump. Um die Enttäuschung zu überwinden, suchte sie Inspiration bei der evangelisch-methodistischen Kirche und in den Schriften des deutschen Theologen Paul Tillich. In ihrem Buch "What happened" erzählt sie von ihrem Glauben.

Von Jürgen Kalwa | 25.09.2017
    Hillary Clinton im Profil vor dunklem Hintergrund
    Wurde Ende der 90er Jahre von ihrem ehemaligen Pastor auf die Texte Paul Tillichs aufmerksam gemacht: Hillary Clinton (AFP / Brendan Smialowski)
    Was es bedeutet, einen erheblichen Teil seiner Existenz zu verlieren, hat der Theologe Paul Tillich bei der Machtübernahme der Nazis 1933 erlebt. Er verlor seine Professur, seine Heimat und den geistigen Dreh- und Angelpunkt: seine Muttersprache, in der er gewohnt war zu denken, zu imaginieren, zu reden und zu predigen. Im Exil in den USA hörte man noch Jahre später den harten deutschen Akzent heraus, der verriet, woher er gekommen war.
    "To speak of the attack on Christianity, which is implied on the attack on the Jews. The decision I ask you to make is by no minds a decision against the German people. It is a decision against those who hold the German nation in their iron grid."
    Trotzdem beeindruckte er die Menschen in Amerika - mit der Klarheit und Deutlichkeit seiner Worte, nicht nur bei dieser Rede 1938 im New Yorker Madison Square Garden. In den 50er-Jahren gehörte er zu den einflussreichsten Protestanten in den USA. Seine Predigten zirkulierten in Schriftform und fanden großen Widerhall. Denn sie boten Trost.
    Trost nach der Wahl und im Monica-Lewinsky-Skandal
    Und das tun sie auch heute noch, und zwar sogar unter prominenten Politikern wie Hillary Clinton, die im November des vergangenen Jahres denkbar knapp die amerikanische Präsidentschaftswahl verlor. Die Niederlage war doppelt schmerzhaft. Anders als acht Jahre zuvor, als sie ebenfalls knapp bei den Vorwahlen der Demokratischen Partei an Barack Obama scheiterte, hatte sie landesweit deutlich mehr Stimmen als ihr Widersacher Donald Trump erhalten. Eine Besonderheit des Wahlsystems blockierte ihren Weg ins Weiße Haus.
    Hillary Clinton steht vor US-Fahnen. Im Hintergrund ist ihr Mann Bill zu sehen.
    Hillary Clinton spricht nach ihrer Wahlniederlage zu ihren Unterstützern. (picture alliance / dpa / ABACA POOL)
    Anfang September gab sie bei einem Podiumsgespräch in der Riverside Church in Manhattan einen Einblick, wie sie das Ereignis verarbeitet hatte. Unter anderem mit dem Schreiben eines Buches. Titel: "What happened".
    "Jeder Mensch erlebt Verlust, erlebt Enttäuschung. Jeder kennt dieses intensive Gefühl von Entmutigung. Auch wenn das anderen nicht bei einer Präsidentschaftswahl vor einem internationalen Publikum passiert. Ich habe im Buch beschrieben, wie ich durch diese Zeit gegangen bin. Ich konnte auf so manches zurückgreifen. Darunter Beten und spirituelle Texte, die man mir geschickt hat."
    Paul Tillich gehörte schon früher zum Kanon jener Schriften, in die sie sich hin und wieder vertieft. So zum Beispiel während des Monica-Lewinsky-Skandals Ende der 90er Jahre, als Bill Clinton, ihr Ehemann und der damalige Präsident, nach dem Bekanntwerden einer Affäre mit einer Praktikantin mit einem Amtsenthebungsverfahren konfrontiert wurde.
    Inspiration, um damit umzugehen, fand sie damals in Tillichs Predigt "You Are Accepted", einer Auslegung von Kapitel 5, Vers 20 des Römer-Briefs.
    "Das Gesetz aber ist hinzugekommen, auf dass die Sünde mächtiger würde. Wo aber die Sünde mächtig geworden ist, da ist die Gnade noch viel mächtiger geworden."
    "Mein Glaube hat mir entscheidenden Halt gegeben"
    Clinton, im religiösen Bezugsrahmen der evangelisch-methodistischen Kirche aufgewachsen, wurde damals von ihrem ehemaligen Pastor auf den Text aufmerksam gemacht. "Gnade erreicht uns in Phasen von starkem Schmerz und Unruhe", hatte Tillich auf Englisch geschrieben. "Aber es passiert oder auch nicht." Hillary Clinton entschied sich für "Gnade".
    Und sie entschied sich für Vergebung. Für eine Deutung, die sie in den Gedanken des holländischen Jesuiten Henri Nouwen fand - in dessen Buch "Wenn dein Herz nach Hause kommt: Bild und Geschichte vom Barmherzigen Vater." Nach der verlorenen Wahl beschäftigte sie sich erneut mit dem Text.
    "Er schreibt darin über die Disziplin des Dankbarseins", so Clinton. "Als Methodist wissen Sie: Wir haben ein Buch, in dem es um Disziplin und Prinzipien geht, das 'Book of Discipline'. Und wir denken methodisch. Dankbarkeit als Disziplin - so etwas hallt in mir intensiv nach. Mein Glaube hat mir entscheidenden Halt gegeben. Um Mut zu finden und weiterzumachen. Dafür bin ich sehr dankbar."
    Clinton entschied aber auch, dass sie mit 69 Jahren nicht wieder aktiv in die Politik eingreifen will. Nach ihrer Zeit als "First Lady" und acht Jahren im Senat in Washington sowie vier Jahren als Außenministerin im Kabinett von Barack Obama hat sie dieses Kapitel endgültig abgeschlossen.
    Clinton unterstützt politischen Widerstand in Kirchengemeinden
    Aber sie will sich nicht komplett aus der Politik heraushalten und hat deshalb eine Organisation ins Leben gerufen, die auf der Basis ihres Glaubensbekenntnisses politische Aktivisten unterstützen soll, die sich gegen die neue Regierung in Washington zur Wehr setzen.
    Hillary Clinton signiert ihr Buch "What Happend" in New York am 12.09.2017
    Hillary Clinton signiert ihr Buch "What Happend" (imago stock&people/Van Tine/Future Image)
    "Ich tue, was ich kann", so Clinton. "Ich habe 'Onward Together' ('Gemeinsam weiter') gestartet, um neue Aktivitäten an der Basis finanziell zu fördern. Sicher, mir geht es gut. Aber ich mache mir Sorgen darüber, dass wir es mit einem anhaltenden, durchdachten Versuch zu tun haben, unsere Werte und unsere politischen Institutionen zu untergraben. Dazu können wir nicht einfach schweigen oder dem tatenlos zusehen."
    Kirchengemeinden gehören, so sagte sie Anfang September, zu den Orten, an denen sich Widerstand formieren kann. Wofür es in der Riverside Church viel Applaus gab.
    "Im Galater-Brief werden wir daran erinnert: 'Lasst uns aber Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht nachlassen.' Es ist schwer. Aufstehen und sagen: 'Behandle Menschen, beleidige und erniedrige sie nicht so.' Du musst dich allerdings auch fragen: Woher kommt diese grausame Härte, diese Engherzigkeit? Nicht von der Kirche. Nicht aus dem Christentum. Nicht von gläubigen Menschen. Gebraucht wird ein Ort. Warum nicht Kirchen? Dort waren der Kampf gegen die Sklaverei verankert und die Bürgerrechtsbewegung. In Kirchengemeinden kannst du dich eine Weile ausruhen, wenn du müde wirst, weil dann andere die Last tragen. Dann findest du wieder Energie und erneuerst deinen Glauben. Wir dürfen bei diesen ethisch-moralischen Fragen nicht einen Zentimeter nachgeben. Es sind Fragen, zu denen unser Glaube sagt, was richtig ist und was falsch."