Donnerstag, 28. März 2024

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Himmler-Briefe
"Penibler Spießer"

Für den Historiker Wolfgang Benz wären Briefe des NS-Verbrechers Himmler bedeutsam, wenn er sich gefragt hätte: War mein Tun moralisch gerechtfertigt? Das war nicht der Fall. Deshalb, sagte Benz im DLF, blieben es banale Briefe eines "peniblen deutschen Spießers".

Wolfgang Benz im Gespräch mit Friedbert Meurer | 25.01.2014
    Der NS-Verbrecher Heinrich Himmler, im Hintergrund Soldaten.
    Der NS-Verbrecher Heinrich Himmler (picture-alliance / dpa)
    Friedbert Meurer: Die Tageszeitung "Die Welt" präsentiert heute oder ab dem Wochenende jetzt 700 verschollene private Briefe von Heinrich Himmler. Die hat er über Jahre hinweg, über Jahrzehnte hinweg an seine Frau Margarete geschrieben. Die Briefe waren seit 1945 verschollen und wurden der "Welt" aus einer israelischen Quelle angeboten. Wolfgang Benz ist Historiker an der Technischen Universität Berlin. Guten Tag, Herr Benz!
    Wolfgang Benz: Guten Tag!
    Meurer: Die Tageszeitung "Die Welt" hat sich die Echtheit der Briefe bestätigen lassen durch ein Gutachten des Bundesarchivs in Koblenz, die sagen, ja, wir haben keine Zweifel, das ist echt. Dürfen wir damit dann davon ausgehen, das sind wirklich Briefe aus der Feder von Heinrich Himmler?
    Benz: Davon dürfen wir dann doch mit ziemlicher Sicherheit ausgehen. Die Schrift von Heinrich Himmler ist bekannt, es gibt genügend Dokumente, die Archivare sind kompetent. Aber jetzt erhebt sich ja doch dann vor allem die Frage, nutzen uns denn 700 private Briefe von Heinrich Himmler irgendetwas zu neuer Erkenntnis oder zur Wahrheit?
    Meurer: "Die Welt" sagt – also, wir kennen die Briefe noch nicht, die werden ja jetzt eben erst publiziert von der "Welt" –, die Zeitung schreibt, dass Himmler in seinen Briefen nichts über den Massenmord an den Juden schreibt, das wird komplett ausgespart, es soll dann aber quasi stillschweigend ein Übereinkommen mit seiner Frau gegeben haben, aber in den Briefen findet sich nichts. Wie kann das sein, dass Himmler 700 Briefe an seine Frau schreibt und nie den Holocaust erwähnt?
    "Himmler war ein penibler deutscher Spießer"
    Professor Dr. Wolfgang Benz (Historiker)
    Der Historiker Wolfang Benz (picture alliance / dpa / Robert Fishman)
    Benz: Na ja, Heinrich Himmler war ein penibler deutscher Spießer. Er hatte außerdem auch kein besonders inniges Verhältnis zu seiner Frau, er hatte ja noch eine andere Frau nebenbei, wovon die Welt auch nichts wissen durfte. Also, vielleicht hat Heinrich Himmler nur den Schein aufrechterhalten und seiner Frau regelmäßig Briefe geschrieben, in denen er über das Wetter schrieb, weil er ihr ohnehin nicht viel mitzuteilen hatte, oder aber es war die klassische Teilung, über mein Geschäft rede ich zu Hause mit der Familie und mit der Frau schon gar nicht. Also, das ist alles leicht erklärbar. Die Briefe hätten vielleicht einen Wert oder könnten bedeutsam sein, wenn Heinrich Himmler jetzt einer vertrauten Person gegenüber über das, was er tut, über die Befehle, die er gibt, über die Mordeinsätze, die er befiehlt, reflektiert, darüber nachdenkt, sich Rechenschaft gibt, ist das moralisch gerechtfertigt, ist das gut ist das richtig. Das wird er mit Sicherheit nicht getan haben und so besteht die Befürchtung, dass diese Briefe genauso banal sind wie der Privatmann Heinrich Himmler banal gewesen ist.
    Meurer: Die Banalität des Bösen, hieß es einmal. Heinrich Himmler, Herr Benz, hat sich selbst für anständig gehalten, das soll aus den Briefen hervorgehen. Diese Anständigkeit, ist ein typischer Satz für Sie, dass die Täter des Massenmords sich für anständige Deutsche gehalten haben?
    Unter dem Pantoffel der Frau gestanden
    Benz: Ja, natürlich. In den Sekundärtugenden waren sie vollkommen unschlagbar. Heinrich Himmler, der ungerührt Millionen Menschenleben vernichten ließ, konnte sich ganz rabiat aufregen, wenn ein SS-Mann bei einer Betrügerei oder bei irgendeinem kleinen – im Verhältnis zu den monströsen Taten, die die SS verrichtet hat –, banalen, kleinen Kriminaldelikt erwischt wurde. Da fuhr er ganz schrecklich drein, da war er erbittert. Und das war ja auch die Doppelbödigkeit der ganzen Existenz, wenn er sich dann vor seine hohen SS-Generale stellt und mit ihnen gemeinsam ... ihnen vorhält und sagt, was wir tun, das darf zwar niemand wissen, aber es ist ein ganz ungeheurer Dienst am deutschen Volke und in alle Ewigkeit muss man uns dankbar dafür sein, dass wir die Juden ermordet haben.
    Meurer: Die Empfängerin der Briefe war Margarete Himmler, sie war in Nazikreisen nicht besonders beliebt. Ihr Mann, sagen Sie, war ein Spießer, sie galt auch als spießig. Lina Heydrich, die Ehefrau des SS-Führers Heydrich, hat einmal gesagt, Margarete Himmler sei spießig, humorlos und Heinrich Himmler soll unter dem Pantoffel seiner Frau gestanden haben. Sind solche Erkenntnisse eigentlich irgendwie von Interesse für die Wissenschaft?
    Benz: Überhaupt nicht, überhaupt nicht. Ob der Massenmörder geraucht hat oder Schnupftabak bevorzugt hat, hilft uns ja überhaupt nicht zur Erklärung seiner Motive, erklärt uns nicht die Taten. Das ist dann einfach nur belanglos und gehört auch nicht an die Öffentlichkeit, wenn er mit seiner Frau nur darüber schreibt, was dann unter Umständen Leute in einer mäßig funktionierenden Ehe sich gegenseitig mitteilen. Das nutzt weder dem Historiker bei der Erforschung der Wahrheit, noch gar dem Publikum. Im Gegenteil, ich würde es, abgesehen von der Indiskretion und dem Transport von Belanglosigkeiten, dann auch eher vielleicht sogar für kontraproduktiv halten.
    Meurer: Inwiefern kontraproduktiv? Weil dadurch Heinrich Himmler quasi irgendwie doch menschlich wird?
    Benz: Ja, weil man dann so, wie der KZ-Kommandant, der abends zu seinen Kindern freundlich ist, der seinen Schäferhund liebt und streichelt, dann so ein bisschen uns näher rückt oder weil man dann so auch etwas Gutes findet und sagen kann, ja, aber als Sänger in der Liedertafel Concordia war er doch eigentlich ein ganz toller Mensch! Gerade als hätte das etwas zu tun damit, gerade als würde damit irgendetwas auch nur ein bisschen besser, wenn der Täter ein kleines bisschen menschlicher sichtbar wird!
    Meurer: Die Briefe von Heinrich Himmler, die die "Welt" jetzt veröffentlichen wird, schlagen ja doch ziemlich ein, lösen publizistisches Interesse aus. Man kann sich vorstellen, die "New York Times" wird darüber schreiben, weltweit wird das alles einen ziemlichen Rummel auslösen. Was sagt das über uns, dass es da so etwas wie eine vielleicht schon Faszination gibt, in die Gehirne der NS-Größen hineinzuschauen?
    Benz: Das sagt… Also, in die Gehirne der NS-Größen zu schauen, um ihre Verbrechen zu verstehen, das halte ich ja noch für legitim. Aber in diesem Fall könnte es so sein, dass man nur in das Gehirn schauen will, weil man fasziniert ist von der Monstrosität dieses Bürokraten des Holocaust, dass man da einfach aus Sensationsgier, aus Geilheit, etwas über diese Person zu erfahren, ob man vielleicht herauskriegen kann, welche Unterhosen er bevorzugt hat oder irgendetwas derartiges ... Das halte ich allerdings nicht für der Wahrheitsfindung irgendwo dienend, das würde ich dann nur für einen Medienhype halten, dass man halt heutzutage von einer Sensation zur anderen hasten muss in der verzweifelten Hoffnung, nur ja nicht irgendetwas zu verpassen, und sei es so blödsinnig und so langweilig und so schlicht wie wahrscheinlich die Briefe von Heinrich Himmler sind.
    Meurer: Die Tageszeitung "Die Welt" präsentiert ab diesem Wochenende 700 bisher verschollene private Briefe des früheren Reichsführers-SS Heinrich Himmler. Ich sprach darüber mit dem Historiker Wolfgang Benz. Danke, Herr Benz, Wiederhören!
    Benz: Bitte sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.