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Hinschauen und Nachfragen

Über Kinder geredet haben Politiker beim Kindergipfel im Kanzleramt. Mit Kindern zu reden, steht all zu selten auf der Tagsordnung von Erwachsenen. Dabei hat der 13 Jahre Max-Magnus Fritzsche, Reporter für den Kinderkanal, sehr genaue Vorstellungen, wie Kinder vor Vernachlässigung geschützt werden können.

Moderation: Sandra Schulz | 20.12.2007
    Sandra Schulz: Der Tod der fünfjährigen Lea-Sophie aus Schwerin, die Funde von Babyleichen im sächsischen Plauen, die Familientragödie mit fünf toten Jungen in Darry in Schleswig-Holstein, sie waren Bundeskanzlerin Merkel ein Anlass, das Thema Kinderschutz zur Chefsache zu erklären, Anlass für den Kindergipfel gestern. Viel wird über Kinder gesprochen zurzeit, aber nicht so viel mit Kindern. Anders heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Vor der Sendung habe ich mit Max-Magnus Fritzsche gesprochen. Er ist 13 Jahre alt, geht in die 9. Klasse des Wilhelm-Ostwald-Gymnasiums in Leipzig und arbeitet unter anderem für den Kinderkanal als Reporter. Was das eigentlich heiße, vernachlässigt zu werden, habe ich ihn als erstes gefragt.

    Max-Magnus Fritzsche: Das ist schon immer ziemlich schwer zu sagen, aber ich würde sagen, ein Kind gilt als vernachlässigt, wenn es sich vernachlässigt fühlt. Das ist in jeder Situation individuell, würde ich sagen.

    Schulz: Und was könnten das für Situationen sein?

    Fritzsche: Zum Beispiel wenn ein Kind jetzt bei irgendetwas Hilfe braucht und das sagt, aber es bekommt keine Hilfe, das würde ich auch schon als Vernachlässigung ansehen. Manche Kinder zum Beispiel fühlen sich schon vernachlässigt, wenn man sich nicht um sie kümmert. Manche fühlen sich eher belästigt, wenn man sich die ganze Zeit um sie kümmert.

    Schulz: Wozu brauchen Kinder eigentlich Erwachsene?

    Fritzsche: Es kommt halt auch immer darauf an, wie alt jetzt das Kind ist. Wenn es 5 ist, muss man sich anders darum kümmern als wenn es 15 ist.

    Schulz: Und ein 13-Jähriger?

    Fritzsche: Der braucht natürlich auch noch Hilfe. Pubertät ist halt an sich schwierig. Es macht es ja nicht direkt einfacher, aber man braucht zum Beispiel auch ab und zu mal in der Schule Hilfe. Man möchte auch mal gelobt werden.

    Schulz: Hattet ihr mit dem Thema vernachlässigte Kinder auch zu tun an eurer Schule?

    Fritzsche: In der Schule hatten wir jetzt dazu nichts. Um sich so etwas vorstellen zu können wirklich, muss man es wahrscheinlich bis zu einem gewissen Grad erlebt haben. Da kann ich zumindest von Glück sagen, dass ich kein Kind kenne, das so etwas Schreckliches erlebt hat.

    Schulz: Findest Du, das hätte mehr zum Thema gemacht werden müssen?

    Fritzsche: Ja. Vor allem, wie man helfen kann, wenn man das Gefühl hat, dass zum Beispiel ein Freund, eine Freundin oder ein Nachbarkind vernachlässigt wird.

    Schulz: Wie kann man da helfen?

    Fritzsche: Das weiß ich jetzt zwar nicht genau, aber zum Beispiel es ist besser, dass man mal nachfragt und nicht einfach darüber hinwegguckt.

    Schulz: Es haben jetzt ja in der letzten Zeit in der politischen Debatte die Erwachsenen vor allem über Kinder gesprochen. Du hast die Berichterstattung ja auch verfolgt. Wie findest Du das eigentlich, was die Erwachsenen da besprechen und schreiben?

    Fritzsche: Ich weiß nicht, was jetzt diese Vorsorgeuntersuchungen wirklich bringen sollen. Okay, bei mangelnder Ernährung oder wenn das Kind häufig geschlagen wird ja, aber meistens bei Vernachlässigung, das sind dann auch psychische Sachen, und die kann man halt schlecht durch eine ärztliche Untersuchung nachweisen. Ich will jetzt damit nicht sagen, dass jedes Kind einmal im Jahr zum Psychologen gehen sollte, aber man sollte sich doch mehr um die psychische Seite kümmern.

    Schulz: Das ist ja vor allem schwierig zu entscheiden, wer eigentlich mehr in der Pflicht steht. Sind es die Eltern oder sind es die Politiker? Was findest Du? Wer müsste den ersten Schritt machen?

    Fritzsche:! Natürlich die Eltern, weil: Die können es individuell sehen. Politiker können nur allgemein etwas feststellen.

    Schulz: Und was erwartest Du?

    Fritzsche: Dass man sich um ein Kind wirklich kümmert. Ein Kind ist kein Tier zum Beispiel wie, sagen wir mal, ein Meerschwein, wo man immer mal was zu essen reinwirft und dann wieder geht. Man muss sein Kind auch lieb haben und sollte halt erst Kinder bekommen, wenn man auch dazu bereit ist.

    Schulz: Es gibt ja auch einen Streit darüber, ob man eine neue Regel ins Grundgesetz schreiben soll und ausdrücklich sagen, welche Rechte Kinder haben. Glaubst Du, dass das was bringen würde?

    Fritzsche: Ich denke nicht, dass das was bringt, wenn man etwas da reinschreibt. Es ist einfach zu allgemein, wenn man sagt, Kinder dürfen nicht vernachlässigt werden. Man müsste da wirklich mit sehr vielen Unterpunkten arbeiten, ab wann etwas als Vernachlässigung gilt oder dass das immer individuell zu entscheiden ist.

    Schulz: Was sind die wichtigsten Punkte, die Du aufnehmen würdest?

    Fritzsche: Natürlich, wenn ein Kind psychisch ganz schwer geschädigt wird durch irgendetwas, wenn es oft geschlagen wird, wenn es nicht genug zu essen bekommt oder zu trinken oder wenn auch die Eltern, sagen wir jetzt mal ganz knallhart, nicht ganz dicht sind und sich einfach nicht um das Kind kümmern können. Dann sollte schon das Sorgerecht entzogen werden.

    Schulz: Was sind die Felder, in denen Kinder auf jeden Fall mitreden müssten?

    Fritzsche: Zum Beispiel was Schule angeht, Bildung an sich, weil: Da haben Kinder auch meistens sehr gute Ideen, was Schule angeht. Da sie das ja dann auch lernen, sollten sie mitbestimmen können. Natürlich nur sinnvolle Ideen. "Also ich finde, Schule sollte ganz ausfallen", ist zum Beispiel eine Idee, die niemandem was bringt. Aber wenn man wirklich sinnvolle Ideen reinbringt oder zum Beispiel auch Landschaftsverschönerung oder Städtebau. Wir können jetzt vielleicht nicht so präzise Sachen schildern wie ein ausgebildeter Architekt, aber haben sehr viele Ideen und eine große Fantasie. Das ist manchmal wertvoller als eine Ausbildung.


    Schulz: Sagt der 13-jährige Max Fritsche.