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Hinter Gittern
Wie Schmuggelware ins Gefängnis kommt

Mobiltelefone, Cannabis, Kokain oder Amphetamine: Schmuggelware steht in vielen Gefängnissen in Deutschland hoch im Kurs - besonders in der Coronakrise. Rein kommen die Güter über sogenannte "Straßen", die in den Knast "gebaut" werden.

Von Timo Stukenberg | 06.04.2020
Blick auf die JVA Plötzensee in Berlin
In Berliner Gefängnissen werden jährlich rund 1000 Handys konfisziert - die Dunkelziffer dürfte erheblich höher sein. (www.imago-images.de)
Es ist einer der wenigen Prozesse, die trotz Coronakrise am Landgericht Berlin noch geführt werden. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Jugendstrafanstalt Plötzensee muss sich wegen zahlreicher Anklagepunkte verantworten. Die Pressesprecherin des Gerichts, Lisa Jani.
"Dem Angeklagten wird schwere Bestechlichkeit vorgeworfen. Er soll in seiner Eigenschaft als Justizvollzugsbeamter in der Jugendstrafanstalt Berlin Geld dafür angenommen haben, dass er Handys in die Anstalt an Inhaftierte weitergegeben haben soll."
Coronavirus
Coronavirus (imago / Science Photo Library)
Depot im Schließfach
Bereits am ersten Prozesstag gesteht der 46-Jährige die Absprachen mit den Inhaftierten. Es lief so ab, dass deren Besucherinnen und Besucher Mobiltelefone, eine Geldsumme für den Schmuggler und mindestens in einem Fall auch kleine Drogenpäckchen in einer Plastiktüte in einem Schließfach deponierten.
"Der Angeklagte soll dann mithilfe eines Generalschlüssels die Gegenstände aus den Schließfächern rausgeholt haben und dann seinen Lohn einbehalten haben und die Mobiltelefone, die in der Anstalt natürlich verboten sind, an die Inhaftierten weitergereicht haben. Insgesamt werden ihm im Tatzeitraum von April bis Juni 2019 neun derartige Taten zur Last gelegt."
Reichlich Mobiltelefone in Berliner Gefängnissen
Mobiltelefone gibt es hinter Gittern reichlich. Allein in den Berliner Gefängnissen lag die Zahl der konfiszierten Handys in den vergangenen Jahren bei jährlich rund eintausend. Das gleiche gilt für Drogen: Cannabis, Subutex-Tabletten, Kokain, Heroin, Amphetamine - es ist alles verfügbar. Und die Ermittler gehen davon aus, dass viele Drogen gar nicht erst gefunden werden.
Schmuggelnde Beamte, die sich dafür bezahlen lassen, sind eine Variante. Im Gefängnis-Jargon nennt man diese Wege "Straßen". Ein ehemaliger Gefangener, der wegen grenzüberschreitenden Drogenhandels eine mehrjährige Haftstrafe abgesessen hatte, erklärt das so.
"Straße bauen ist einfach den Weg nach drinnen zu finden durch die Mauer oder über die Mauer oder irgendwie anders, über Angestellte oder über irgendwelche Autos. Ich meine, es gibt nur fünf oder sechs Straßen und die werden immer genutzt und ja, man muss halt die Zeiten wissen. Aber dazu kann ich mehr nicht sagen."
Jede Person, die die Anstalt betritt, kann eine solche "Straße" sein: Handwerkerinnen und Lieferanten, Anwältinnen und Besucher, Justizvollzugsmitarbeiterinnen und Gefangene, die Ausgang hatten und zurückkommen. Manchmal werden die illegalen Pakete auch einfach über die Mauer geworfen. Im Prozess vor dem Berliner Landgericht berichtet ein Justizbeamter der Abteilung Sicherheit der Jugendstrafanstalt, was er zum Beispiel in einem über die Mauer geworfenen Paket gefunden hat: Tabak, Geldbeträge bis zu 100 Euro, eine "grünliche Substanz" und OCB-Blättchen, dazu ein Schokoriegel.
Aufgrund der Coronavirus-Pandemie verbringen die Gefangenen gerade noch mehr Zeit als üblich in ihren Zellen. Sowohl Drogen als auch Telefone stehen in solchen Zeiten bei vielen Gefangenen hoch im Kurs. Die festinstallierten Telefonapparate in den Gängen der Anstalten , die von allen benutzt würden, seien aus hygienischer Sicht nicht empfehlenswert, sagt ein ehemaliger Gefangener der JVA Kiel. Er ist zwar seit Kurzem draußen, will aber anonym bleiben.
"Ja, in solchen Fällen kann jeder froh sein, wenn er ein Handy auf dem Haftraum hat, auch wenn das verboten ist. Aber Verbote hin oder her, das geht ja in den meisten Fällen sowieso nur darum den sozialen Kontakt aufrecht zu erhalten zur Außenwelt, zur Familie."
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Bloggen aus dem Knast
Manche Gefangenen verstoßen auch ganz offen gegen das Handyverbot im Gefängnis. Wie der YouTube-Kanal "Knast VLog". Er sendet seit 2018 immer wieder Videos aus seiner Berliner Gefängniszelle, woraufhin die Anstalt seine Zelle durchsuchte und das Handy beschlagnahmte. Kurze Zeit später taucht das nächste Video auf.
"Natürlich gibt uns die Anstalt kein WLAN. Wir nutzen Prepaidkarten und mobile Daten."
Mobiltelefone können aber auch für Straftaten genutzt werden. Ein Gefangener der JVA Tegel verbreitete zum Beispiel aus der Haft Bilder von Kindesmissbrauch. Oder die Telefone werden genutzt, um Drogenhandel hinter Gittern zu organisieren, wie der ehemals inhaftierte Drogenhändler berichtet.
"Ich denke mal, jeder, wo ein bisschen was im Kopf hat, eine Straße aufbauen kann oder irgendwie einen Kontakt draußen hat, der hat die Möglichkeit, was zu machen. Oder wer telefonieren kann oder so. Telefon ist Gold wert, ja."
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Drogenfreie Gefängnisse scheinbar illusorisch
Drogen sind im Gefängnis allgegenwärtig. Von dem vergeblichen Anspruch, die Gefängnisse drogenfrei zu halten, wolle man auch in Berlin nicht lassen, sagt der Justizsenator Dirk Behrendt.
"Dafür unternehmen wir ja auch einiges. Dafür führen wir Kontrollen durch bei Besuchen beispielsweise oder auch die Gefangenen werden kontrolliert, wenn sie von Freigängen, Ausgängen zurückkommen. Aber wir sind auch Realisten und wissen, dass es uns nie gelingen wird, vollständig drogenfreie Gefängnisse zu haben."
Neben den gesundheitlichen Risiken gibt es ein weiteres Problem mit eingeschmuggelten Drogen und Handys. Sie sind teuer, wie der ehemals inhaftierte Drogenhändler berichtet.
"Umsonst ist nichts, ja. Man muss das Doppelte dafür hinlegen oder das Vierfache. Die Wege sind weiter, die Straßen [Lieferketten] müssen bezahlt werden. Das ist einfach so."
Wer sich verschuldet, ist hinter Gittern häufig Gewalt ausgesetzt. Aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich auf den Schmuggel einlassen, sind in einer Zwickmühle. Sie machen sich erpressbar, weil ihnen hohe Haftstrafen drohen. Vor dem Landgericht Berlin ist der ehemalige Justizmitarbeiter der Jugendstrafanstalt neben anderer Straftaten wegen schwerer Bestechlichkeit zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden.