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Hinweise auf Geschlechterlücke durch radioaktive Niedrigstrahlung

Dass in Gebieten mit künstlicher Radioaktivität mehr Jungen als Mädchen geboren werden, hält die Deutsche Umwelthilfe nicht für einen Zufall. Doch die Ursache dafür muss nicht zwangsläufig die Niedrigstrahlung sein.

Von Anja Nehls | 27.04.2012
    1995 rollten die ersten Castor Behälter durch Gorleben – der Zeitraum von 1996 bis 2010 wurde untersucht – und tatsächlich es kamen dort fast 1000 Mädchen weniger zur Welt als nach den Statistiken der Jahre davor zu erwarten gewesen wäre. In Regionen um andere Atomanlagen gab es diesen Effekt auch, auch allerdings weniger stark. Anhand der Statistiken der Weltbevölkerung zeigt sich das gleiche nach den atmosphärischen Kernwaffentests in den 50er und Anfang 60er-Jahren und in Europa nach der Katastrophe von Tschernobyl, besonders auffällig in Bayern.

    Das alles kann nicht mehr mit Zufall erklärt werden, sagt die Deutsche Umwelthilfe. Für den Berliner Arzt Dr. Christoph Zink liegt die wissenschaftliche Erklärung dafür auf der Hand:

    "Es gibt die allgemeine Feststellung, dass weibliche Organismen empfindlicher auf Strahlung reagieren, als männliche, sodass man annehmen muss, dass das eben auch für diese sehr, sehr frühen Stadien der Entwicklung gilt. Organismen, die aus zwei, vier,acht Zellen bestehen, und da die weiblichen Organismen eben stärker durch ionisierende Strahlung geschädigt werden und zwar so stark geschädigt werden, dass sie absterben."

    Im ganz frühen Stadium einer Schwangerschaft sind also weibliche Embryonen empfindlicher, in der späteren Schwangerschaft sterben mehr Jungs – die Ursache dafür ist aber nicht unbedingt Radioaktivität.

    Das ist mit Statistiken so eine Sache. Wenn man die absoluten Zahlen betrachtet, sind rund um Gorleben im Untersuchungszeitraum von 14 Jahren gerade mal 37 mehr Jungs als Mädchen geboren worden. Das ist nur deshalb für die Wissenschaftler alarmierend, weil weltweit eben mehr Mädchen als Jungs geboren werden. Und sich der Trend weltweit betrachtet immer weiter zugunsten der Mädchen verschiebt. Warum das nun wieder so ist, ist auch noch nicht abschließend erforscht.

    In Europa ist das Verhältnis seit Tschernobyl nun ausgeglichener. Das ist das eine, das Zweite ist, dass es statistisch Verschiebungen bei den Geschlechtern in Europa zum Beispiel auch schon nach dem ersten und zweiten Weltkrieg gegeben hat. Da wurden mehr Jungs geboren, weil ja die Verluste an der Front ausgeglichen werden mussten, so hieß das. Die entstandenen Jungen zu dieser Zeit haben nichts mit Strahlung zu tun, erklären sich aber auch durch die Empfindlichkeit der weiblichen Embryonen.

    "Auch da ist der Jungsüberschuss möglicherweise ein Zeichen vermehrt gescheiterter Schwangerschaften infolge schlechterer medizinischer Versorgung der Schwangeren nach einer Notzeit."

    Die statistischen Befunde – also mehr Jungs als Mädchen- gelten übrigens nicht für Regionen, in denen vermehrt natürliche Strahlung auftritt, also Uran im Boden, Radon als Zerfallsprodukt des Uran oder Höhenstrahlung. zum Beispiel im Süden Deutschlands gibt es solche Regionen. Unsrer Strahlengrenzwerte nun so berechnet, dass natürliche und künstliche Radioaktivität einfach in einen Topf geworfen werden, kritisiert DR. Christoph Zink:

    "Das Problem ist, dass die heutige Methode, natürliche und künstliche Radioaktivität zu verrechnen, also in Sievert auszudrücken und dann zusammenzuzählen, wahrscheinlich so nicht stimmt und wahrscheinlich es eben so, dass die künstliche Radioaktivität sehr viel stärkere biologische Wirkungen hat, als es die natürliche Radioaktivität hätte oder hat."

    Dass die Forschung zu diesen Themen noch lange nicht abgeschlossen ist, geben auch die Wissenschaftler und die Deutsche Umwelthilfe zu. Auf das Entstehen von Mädchen oder Jungen haben schließlich auch andere Faktoren, auch andere Umweltfaktoren, einen großen Einfluss.

    Aber immerhin sind die Ergebnisse der Untersuchung so deutlich, dass bisher als gültig betrachtetet Annahmen im Zusammenhang mit Strahlung doch noch mal infrage gestellt werden sollten.