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Hirntraining gegen Hyperaktivität

Neurologie. - ADHS, das so genannte Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom betrifft in Deutschland mindestens sechs Prozent aller Kinder. Sie sind in der Schule unaufmerksam, haben Probleme Freundschaften zu schließen und sind häufig kaum in der Lage, ruhig sitzen zu bleiben. Auf der Ersten internationalen Konferenz zur ADHS in Würzburg wurde jetzt ein Behandlungskonzept vorgestellt, in dem die Kindern lernen, die Fehlfunktion durch ein spezielles Training ihres Gehirns auszugleichen.

Von Kristin Raabe | 06.06.2007
    Für ein hyperaktives und aufmerksamkeitsgestörtes Kind sind die Anforderungen in dieser wissenschaftlichen Studie extrem hoch: still sitzen bleiben und ein Spiel zu Ende spielen. Und bei all dem sind die Kinder auch noch verkabelt. Drei EEG-Elektroden kleben an ihrem Kopf. Die messen die Hirnströme der Kinder. Und mit diesen Hirnströmen müssen die Kinder ein Computerprogramm steuern. Dabei geht es darum einen Ball in ein Torfeld zu transportieren. Machen die Kinder alles richtig erscheint ein lachendes Mondgesicht. Durch das Training mit den EEG-Elektroden und dem Computerspiel sollen die Kinder lernen, ihre Hirnströme wieder in einen normalen Bereich zu bringen. Denn bei Kindern mit ADHS, dem Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätssyndrom, arbeitet das Gehirn in einigen Bereichen anders als bei gesunden Kindern, weiß Ute Strehl von der Universität Tübingen:

    " Das ist einmal in den normalen Frequenzen oder in der spontanen Hirntätigkeit, da gibt es einige Studien, die zeigen, dass sehr viele Kinder mit ADHS zu viele langsame Anteile haben und zuwenig schnelle Frequenzen und dann kann man das Programm eben so machen, dass die Kinder lernen das zu verändern. Also weniger langsame Anteile haben oder mehr schnelle und diese schnellen Anteile sind eben notwendig, damit ich wach sein kann, damit ich aufmerksam sein kann und damit ich Aufgaben zu Ende bringen kann und dergleichen mehr. "

    Die EEG-Elektroden messen also die Hirnströme der Kinder und leiten sie an das Computerprogramm weiter. Wenn es einem Kind gelingt, seine eigenen Hirnströme so zu kontrollieren, dass sie mehr schnelle Frequenzen haben, dann geht der Ball in dem Spiel ins Tor. Die Tübinger Psychologen konnten selbst kaum glauben, mit welchem Enthusiasmus manche Kinder bei der Sache waren. Still sitzen bleiben, war erstaunlicherweise kein Problem. Und das, obwohl das Training mit dem Programm sehr langwierig war:

    " Das Training selber ist sehr aufwendig, wir hatten 30 Sitzungen und das ging über insgesamt sechs Wochen und zwischen den einzelnen Trainingswochen gab es auch immer noch Pausen, also geht so ein halbes Jahr etwa ins Land. Und die Kinder werden schon instruiert, das, was sie im Labor lernen, auch in der Schule zu machen, wenn es darum geht aufzupassen, oder auch zuhause, wenn eine Ärgersituation entsteht, dass sie sich jetzt wieder versammeln. Nach zwei Jahren allerdings, wenn man sie dann fragt, ob sie das immer noch machen. Dann gucken sie einen mit großen Augen an und sagen: Nee, eigentlich nicht. Aber wenn sie dann wieder ins Labor kommen, sieht man dann, dass zumindest ein Teil von ihnen das immer noch beherrscht. Und das führt dann zu der Schlussfolgerung, das ist eben was automatisiertes. Wir haben das Gehirn verändert und diese Veränderung bleibt erhalten. "

    Die meisten Kinder in der Tübinger Studie haben also tatsächlich gelernt, ihre Hirnströme zu kontrollieren und in einen normalen Bereich zu bringen. Letztlich ging es den Tübinger Wissenschaftlern um Ute Strehl allerdings darum, durch die Kontrolle der Hirnströme das Verhalten der Kinder zu verbessern.

    " Sie zeigen eine deutliche Verbesserung bei kognitiven Aufgaben, schneiden im Intelligenztest besser ab, schneiden im Aufmerksamkeitstest besser ab, und wenn man das über einen längeren Zeitraum verfolgt, haben wir zu unserer eigenen Überraschung festgestellt, dass nicht nur ein halbes Jahr nach Ende des Training diese guten Resultate erhalten bleiben, sondern dass zwei Jahre danach man immer noch sehen kann, dass diese Kinder genauso gut sind, wie zu Ende des Trainings und teilweise sich immer noch verbessert haben. Wir haben jetzt in unserer letzten Nachfolgestudie gesehen, dass keines der Kinder mehr überhaupt noch das Kriterium für ADHS erfüllt. Das ist eigentlich das, was man erreichen möchte. "

    Auch Eltern und Lehrer der betroffenen Kindern haben ausgesagt, dass die Kinder durch das Training viel umgänglicher geworden sind. Trotzdem bieten bislang nur wenige Kliniken ein solches Hirnstromtraining an. Es kostet viel Zeit und kann nur von speziell ausgebildeten Mitarbeitern durchgeführt werden. Zudem zahlen die Krankenkassen diese Therapie bislang noch nicht. Ute Strehl will nun allerdings in Kooperation mit anderen Kliniken unter kontrollierten Studienbedingungen, den endgültigen wissenschaftlichen Beweis vorlegen, dass ihr Behandlungskonzept funktioniert.