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Historiker de Bruyn

Zu seinem 80. Geburtstag hat das Kleist-Museum in Frankfurt an der Oder den Schriftsteller Günter de Bruyn mit einer Tagung geehrt. Nach Einschätzung von Museumsleiter Lothar Jordan liegt ein Teil der Arbeiten de Bruyns im Grenzbereich zwischen Essay und Geschichtsschreibung.

Moderation: Dina Netz | 01.11.2006
    Dina Netz: Warum macht eigentlich das Kleist-Museum in Frankfurt an der Oder eine Tagung zu Günter de Bruyn. Wo ist der Zusammenhang?

    Lothar Jordan: Die Schnittstellen liegen darin, dass wir eine ganze Reihe von Autoren, mit Heinrich von Kleist natürlich im Zentrum, sammeln und ausstellen und das in Zukunft noch weiter ausbauen wollen, die auch für de Bruyn sehr wichtig sind. Er hat einen literarischen Brief an Heinrich von Kleist geschrieben, der wird heute von uns zum ersten Mal veröffentlicht. Er hat sich mit Ewald von Kleist beschäftigt als Herausgeber, den sammeln wir auch. Und er ist hier der wichtigste Autor von überregionaler Bedeutung der Region. Wir möchten das, was an bedeutenden Autoren hier in der Region lebt und arbeitet oder gelebt und gearbeitet hat, in unsere Arbeit reinnehmen.

    Netz: Ein Vortrag war ja überschrieben "Günter de Bruyn als Historiker". Worum ging es denn da, denn ein historisch belesener Schriftsteller bleibt ja immer noch ein Schriftsteller?

    Jordan: Ja, das ist eine interessante Frage, wieweit hat die Geschichtsschreibung narrative Strukturen? Selbst Historiker erzählen ja Geschichten, wenn sie nicht alles aus kleinen Aufsätzen zusammenstellen wollen, und es gibt Übergänge. De Bruyn hat sich mit den Familiengeschichten der Finckensteins, mit Luise, der preußischen Königin, beschäftigt. Und das sind Arbeiten, die kann man als große historische Essays betrachten, dann rücken sie dichter an die Literatur heran, aber sie behandeln offenbar auch Themen, die für Historiker interessant sind, das heißt, dass diese dann auch wieder auf seine Bücher zurückgreifen. Das ist sicher im Grenzbereich zwischen Essay und Geschichtsschreibung.

    Netz: Und um einen anderen Vortrag zu erwähnen: Joachim Walter aus Grünheide hat sich mit der politischen Rolle Günter de Bruyns in der DDR befasst. Ging es dabei auch noch einmal um seine Stasikontakte, die er 1993 zugegeben hat und von denen heute ja eigentlich kaum mehr jemand spricht.

    Jordan: Ja, auch das wurde erwähnt. Es wurde die düstere Anfangszeit der DDR auch erwähnt, ein Zeitalter der Angst, noch im Zeichen des Stalinismus, und das war, so hat es Walter herausgearbeitet, auch für de Bruyn bestimmend. Eine ständige Angst vor dem Machtapparat, vor der Partei - und diese Angst in den Köpfen hat Günter de Bruyn vielleicht nie verlassen, oder er musste sich jedenfalls sehr daran abarbeiten. Das war sehr interessant, diese düsteren Anfänge der DDR, und wie ein Autor versucht, sich da herauszuschreiben oder herauszuhalten, wie das bei de Bruyn doch ziemlich gut gegangen ist, glaube ich, sagen zu können.

    Netz: Um viele andere Autoren, die in der DDR erfolgreich gewesen sind, ist es ja ziemlich still geworden inzwischen, ihnen ist sozusagen ihr Thema abgekommen. Warum hat denn der Übergang vom einen ins andere Deutschland bei Günter de Bruyn so gut geklappt?

    Jordan: Es geht meines Erachtens in zwei Richtungen. Zum einen hat er sich ja auch in Essays der deutschen Frage, der deutschen Vereinigung angenommen, aber auch der interessanten und wichtigen Vorgeschichte. Wenn er jetzt in seinen großen Essay, den Sie eingangs erwähnten, "Als Poesie gut", auf die Berliner Hochzeit deutscher Kultur um 1800 zurückgeht, dann kann man das ja auch als preußische Geschichte betrachten. Aber darin steckt natürlich eine wichtige Wurzel auch der heutigen deutschen Kultur und auch der heutigen Hauptstadt Berlin oder könnte darin stecken. Das bleibt ja aktuell, so auf wichtigste Phasen deutscher Geschichte einzugehen, daraus lässt sich möglicherweise etwas für die Zukunft gewinnen. Dann hat er aber sich auch sehr stark auf seine Region, in der er lebt, zwischen Frankfurt/ Oder, Berlin, in Ostbrandenburg, eingelassen. Und das entspricht, so sehe ich das, einem international verbreiteten Konzept des Europas der Regionen, obwohl dieses große Konzept für de Bruyn keine explizite Rolle spielt, er guckt mehr auf die einzelnen Menschen, auf die einzelnen Orte. Aber das ist ja auch sehr interessant, dass man die Region als einen Ort von Identität und Geschichte stärker beachtet und die verschiedenen Facetten der deutschen Geschichte, auf der ganz großen Ebene, auf der kleineren, der regionalen Ebene, sieht. Das macht, glaube ich, kein anderer Autor so wie Günter de Bruyn. Und das gibt natürlich gute Spielräume.

    Netz: Herr Jordan, eine letzte Frage. De Bruyn wurde als 17-Jähriger Luftwaffenhelfer, war dann ab 1944 einige Monate lang Soldat. War dieser Teil seiner Vergangenheit irgendwie auch Thema bei der Tagung, denn diese Fragen sind ja gerade sehr in Mode?

    Jordan: Ja, die bleiben leider so lange aktuell, wie die deutsche Geschichte dieser Zeit aktuell bleibt, das heißt meistens, auf eine bedrückende Weise aktuell bleibt. Günter de Bruyn hat ja einen Roman geschrieben, "Der Hohlweg", über diese Zeit, den er selbst dann wieder verworfen hat. Ich glaube, Günter de Bruyn ist jemand, der sehr aufrichtig mit seiner Vergangenheit umgegangen ist und da, wo er mit bestimmten Dingen in der DDR über sich selbst nicht glücklich ist, hat er das auch so weit wie möglich artikuliert. Aber ich glaube, so weit ich das sehen kann, das hat er immer von sich aus artikuliert.