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Historiker gibt neuer israelischer Regierung kaum Chancen

Benjamin Netanjahu wird mit Parteien koalieren, die den Friedensprozess in Israel unterstützen, glaubt der Historiker Moshe Zimmermann. Damit würde der israelische Premier auch die USA und die Europäer zufriedenstellen. Dennoch glaubt Zimmermann nicht, dass eine solche Koalition hält.

Das Gespräch führte Christine Heuer | 23.01.2013
    Christine Heuer: Israel hat gewählt und der Regierungschef Benjamin Netanjahu hat dabei so viele Stimmen verloren, dass er getrost als Verlierer bezeichnet werden kann, obwohl er auch die nächste Regierung wohl bilden wird.
    Eine äußerst schwierige Regierungsbildung steht also in Israel bevor, und selbst wenn sie gelingt, stellt sich die Frage, was dann innen- und außenpolitisch überhaupt noch möglich ist. - Wir sind mit dem israelischen Historiker Moshe Zimmermann verbunden. Guten Tag, Herr Zimmermann.

    Moshe Zimmermann: Guten Tag, Frau Heuer.

    Heuer: Es gibt ein Patt zwischen den Lagern, aber Netanjahus rechter Block bleibt der stärkste. Mit wem, glauben Sie, wird er eine Regierung bilden wollen?

    Zimmermann: Er will eine große Regierung, so groß wie möglich, mit Parteien rechts und links von der Likud-Partei. Das ist selbstverständlich sein Wunsch. Das wird auch sein Alibi sein. Ob es ihm gelingt, das ist eher zu bezweifeln.

    Heuer: Alibi wofür, Herr Zimmermann?

    Zimmermann: ... , dass er eigentlich verloren hat und dass er jetzt unter Druck doch die Verhandlungen mit den Palästinensern aufnimmt. Dafür braucht er ein Alibi, denn er war ja klipp und klar im Wahlkampf gegen die Zweistaatenlösung, obwohl er schon früher mal eine Rede gehalten hat und dafür stand. Es ist klar: Seine Partei und die Partei rechts von ihm, die von Bennett, die erwähnt wurde, die insgesamt etwa 40 Prozent der Knesset ausmachen, sind Parteien, die sehr hartnäckig sind in Sachen Auseinandersetzung oder Friedensverhandlungen mit den Palästinensern.

    Heuer: Glauben Sie, dass Netanjahu die Zukunftspartei mit an Bord holt?

    Zimmermann: Er wird bestimmt versuchen, alle Parteien an Bord zu bringen, und am bequemsten wäre es für ihn mit dieser neuen Partei Jesh Atid, also mit der Partei, die links von ihm steht. Das ist eine relativ große Partei. Zusammen mit dieser Partei hat er schon etwa 45 Prozent der Sitze in der Knesset und da kann er etwas anfangen. Aber es gibt eine Unzahl von Kombinationen und das, was die Politiker heute sagen, gilt überhaupt nicht in einer Woche oder in zwei Wochen oder in einem Monat, wenn die Regierung steht. Bei uns gibt es immer Überraschungen, gibt es immer Bruch der Versprechungen, die man vorher gegeben hat. Er wird es versuchen und meines Erachtens ist das alles auch nicht so wichtig, weil so oder so wir ja vorgezogene Wahlen haben werden. So wie es im Moment steht, ist es eine Situation, die nicht eine Patt-Situation, sondern eine Riss-Situation ist, und da muss man neu wählen. Das weiß man schon heute.

    Heuer: Der Wahlsieger, Jair Lapid, der diese Zukunftspartei vertritt, der stellt ja Bedingungen. Unter anderem sagt er, Ultraorthodoxe sollen selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen, der Friedensprozess müsse wieder beherzt angegangen werden. Da machen doch die Rechten in einem solch breiten Bündnis, wie Sie es gerade skizzieren, gar nicht mit.

    Zimmermann: Selbstverständlich. Wenn er darauf besteht, dann werden die rechtsorientierten Parteien nicht mitmachen. Aber bisher war es immer dem Vater der Regierung gelungen, einen Spagat zu machen. Der Wille dazu, in der Koalition zu sein, in der Regierung zu sitzen, Posten zu bekommen, ist so stark, dass am Ende man auch so einen Spagat herstellen kann. Man wird selbstverständlich versuchen, es anders zu machen, aber wenn es zu einem entweder oder kommt, dann werden auch die Extremen auf beiden Seiten nebeneinandersitzen.

    Heuer: Sie glauben also, Jair Lapid wird einknicken, wenn der Druck hoch genug ist. Was ist das überhaupt für ein Mann, Herr Zimmermann?

    Zimmermann: Das ist, wie viele neue Politiker in Israel, ein Journalist. Journalisten sind jetzt eine wichtige Komponente in der israelischen Politik. Die Arbeitspartei wird von einer Journalistin geführt, Lapids Partei wird von einem Journalisten geführt, es gibt Journalisten auch in den anderen Parteien, also das ist keine Ausnahme. Er ist ein geschickter Mann, sein Vater war schon ein Politiker, ein Politiker, der es einmal geschafft hat, die Wahlen zu gewinnen für seine Partei, auch jemand, der gegen die religiösen Parteien war, eine Partei allerdings, die nach einer Wahlperiode verschwand, wie wahrscheinlich auch diese neue Partei von dem jungen Lapid. Er ist eigentlich ein Vertreter des Staates Tel Aviv. Der Staat Israel ist zweigeteilt, Tel Aviv und alles andere, die Peripherie. Im Staat Tel Aviv und der Umgebung hat er gewonnen, haushoch. Anderswo hat er es nicht geschafft. Anderswo hat es die Likud-Partei geschafft.

    Heuer: Ist Lapid der Mann, der irgendwann vielleicht die Rolle des stärksten Politikers von Netanjahu übernehmen könnte, mit oder ohne seine Partei?

    Zimmermann: Meines Erachtens nicht. Selbstverständlich ist ein Historiker in einer schwierigen Lage, wenn er Prognosen abgibt. Aber wir haben schon solche Parteien gehabt, das hat man auch in Deutschland gehabt, Stadtpartei und andere Parteien, auch die Piraten, wie sie sich jetzt befinden in der politischen Szene. Das sind eher Modeparteien. Die sind angeblich eine Antwort auf akute Fragen und die verschwinden nachher genauso, wie hier die Partei Kadima verschwand, die Partei, die von Ariel Sharon gegründet wurde. Da wird wahrscheinlich auch diese Partei verschwinden oder bei den nächsten Wahlen reduziert werden. Ich weiß nicht, ob er auch davon ausgeht, aber im Moment scheint er die richtige Antwort zu sein auf die Wünsche vor allem der Yuppies oder der Bewohner des Staates Tel Aviv, dieser Umgebung, die nicht sehr viel Wert legen auf das, was mit den Palästinensern passiert oder was um Israel herum passiert, sondern die interessieren sich für die Mietpreise und ähnliche Sachen.

    Heuer: Jair Lapid, Herr Zimmermann, steht aber eben auch – wir haben das ja schon kurz angesprochen – dafür, den Friedensprozess neu zu beleben. Das wird in den Verhandlungen zur Regierungsbildung sicher ein Problem werden. Kann da das Ausland helfen? Können die USA helfen? Könnte sich Obama engagieren und damit dem Friedensprozess wieder auf die Beine helfen in Israel?

    Zimmermann: Wie ich vorher gesagt habe, hat diese Partei eine Alibi-Funktion für Netanjahu. Netanjahu, wenn er die Unterstützung dieser Partei bekommt, dann muss er selbstverständlich auch wieder die Verhandlungen aufnehmen. Ich nehme aber an, dass bereits im Hintergrund Netanjahu Anrufe bekommt, aus Amerika und aus Europa, er sollte bitte keine Koalition machen mit den rechts orientierten Parteien, sondern eher mit denen, die links von ihm stehen, Tzipi Livni, die früher schon Außenministerin war, mit diesem Lapid oder sogar mit der Arbeitspartei, um etwas Neues wieder zu schaffen oder den Friedensprozess wiederzubeleben. Davon kann man ausgehen, für Obama, auch für die Europäer. Für Frau Merkel ist es wichtig, dass sich etwas bewegt, und die werden wahrscheinlich alles unternehmen, um Netanjahu zu erklären, dass sie ihm dann den Rücken decken werden, wenn er diesen Versuch macht, auch mit den linken Parteien, also links von ihm, eine Koalition zu schließen. Das wird aber für Netanjahu besonders schwierig sein und dafür braucht er ein Alibi. Seine eigene Partei ist rechtsradikaler geworden und die Partei rechts von ihm ist größer geworden. Das muss man auch notieren.

    Heuer: Aber, Herr Zimmermann, da stellt sich ja die Frage: Wird Netanjahu auf Obama, Merkel und Co. hören?

    Zimmermann: Wie gesagt, er braucht ein Alibi, er muss sich bewegen, er muss eine Koalition schaffen. Eine Koalition, die nur mit den rechten und mit den religiösen Parteien gegründet wird, ist eine zu kleine Koalition. Und auch, wenn er die Unterstützung hat von der einen oder anderen der ganz kleinen Parteien, ist das nicht ausreichend. Er braucht noch jemand aus der Mitte, und diese sogenannte Mitte besteht darauf, die Friedensverhandlungen wieder zu beleben. Dann wird er bestimmt auch auf Obama hören oder auf den guten Rat von Republikanern aus Amerika, er soll gefälligst das anfangen, um zu zeigen, um zu signalisieren, dass er nicht dafür verantwortlich ist, dass die Gespräche sich in der Sackgasse befinden.

    Heuer: Dann können die Friedensfreunde in den USA und Europa vielleicht bei dem Ausgang dieser Wahlen etwas Hoffnung schöpfen. Das war Moshe Zimmermann, israelischer Historiker, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk, für das ich mich sehr herzlich bedanke, Herr Zimmermann.

    Zimmermann: Ich bedanke mich.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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