Dienstag, 16. April 2024

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Historiker zur Kapitol-Erstürmung
"Das Gerede von einem Bürgerkrieg verunklart die Situation"

Der Sturm auf das Kapitol in Washington war nach Ansicht des Historikers Volker Depkat noch kein Bürgerkrieg, wohl aber ein beispielloser Gewaltausbruch eines amerikanischen Mobs. Dass ein amtierender Präsident "seine Leute von der Kette lässt", habe es so noch nicht gegeben, sagte Depkat im Dlf.

Volker Depkat im Gespräch mit Christoph Heinemann | 08.01.2021
Eine Gruppe von Anhängern des noch amtierenden Präsidenten Donald Trump dringt in das Kapitol in Washington ein, den Sitz des US-Kongresses. 6.Januar 2021.
Anhänger des noch amtierenden Präsidenten Donald Trump sind am Mittwoch (6.1.2021) in das Kapitol in Washington eingedrungen, den Sitz des US-Kongresses (AFP/ Getty/ Jon Cherry)
Anhänger des noch amtierenden US-Präsidenten Donald Trump haben während einer Sitzung des Kongresses das Kapitol in Washington gestürmt. Trump hatte zuvor eine Menschenmenge aufgestachelt, und auch während des Aufruhrs wiederholte der Präsident seine Erzählung von der gestohlenen Wahl, obwohl es ihm wochenlang nicht gelungen ist, dafür einen Beweis vorzulegen. Der scheidende Präsident habe in den vergangenen vier Jahren nichts anderes gemacht, als die Nation weiter zu spalten, die Verfassung zu zerstören und seine Leute aufzustacheln, sagte Volker Depkat, Historiker und Amerikanist an der Universität Regensburg, im Deutschlandfunk. Das erkläre zum Teil die Gewalt. Es gebe aber Unterschiede zum amerikanischen Bürgerkrieg Mitt des 19. Jahrhunderts.
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Christoph Heinemann: Herr Professor Depkat, die Randale und Verwüstung im Kongress, dem Haus der Demokraite: Gab es so etwas schon einmal in der Geschichte der USA?
Volker Depkat: Nein, es gab zumindest noch keinen internen Mob, keinen amerikanischen Mob, der angeleitet durch einen Wahlverlierer das Haus der Demokratie, wie Sie es eben gerade genannt haben, gestürmt hat. Es gab wohl 1814 den Angriff der britischen Soldaten im Rahmen des sogenannten Kriegs von 1812. Die haben eben auch schon Washington gestürmt und die gerade erst erbaute Hauptstadt abgebrannt, aber das war eben ein internationaler Konflikt, das war ein internationaler Krieg. Das hier war jetzt noch kein Bürgerkrieg, aber das war schon jetzt eine interne Kontroverse, ein interner Gewaltausbruch, den es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Vor allen Dingen das Besondere, dass eben hier angeleitet durch den immer noch amtierenden Präsidenten, der seine Wahlniederlage immer noch nicht anerkennt und der eigentlich ja geschworen hat, die Verfassung zu beschützen, der lässt da nun seine Leute von der Kette, so was hat es noch nicht gegeben.
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"Die vertikale Gewaltenteilung funktioniert"

Heinemann: Noch kein Bürgerkrieg, haben Sie gesagt. Inwiefern unterscheidet sich diese Lage heute von dem Bürgerkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts?
Depkat: 1861 standen dann doch bewaffnete Staaten einander gegenüber. Es war ein klar regionaler Konflikt, es ging um Nord versus Süd. Es ging um den sklavenhaltenden Süden, der die Sklaverei erhalten wollte, und es gab eben dann den Norden, angeführt von Präsident Lincoln, der die Sklaverei vielleicht nicht abschaffen wollte, aber zumindest die weitere Ausdehnung verhindern wollte. Es gab eben auch einen klar sektionalen Konflikt, es gab eine klar definierte Interessenlage: der kapitalistisch-marktwirtschaftliche Norden, der sklavenhaltende Süden. Es gab eine hochgradig ideologisierte Debatte über verschiedene Lebensstile. All das fehlt natürlich jetzt. Es ist eine sehr diffuse Gemengelage, die sich zusammengebraut hat. Die Protestierer vom Mittwoch kamen aus allen Teilen des Landes. Es ist also insgesamt eine sehr viel diffusere Lage. Ich sage nicht, dass es nicht weiterhin auch zu Gewaltausbrüchen kommen wird, aber ich bin schon dagegen, jetzt hier große Bürgerkriegsszenarien heraufzubeschwören, denn eins haben die letzten drei, vier Monate ja auch gezeigt: Dass die Gewaltenteilung in vertikaler Hinsicht in den Bundesstaaten versus Einzelstaaten doch durchaus funktioniert. Die Staaten haben ja die Wahl dann doch ordnungsgemäß durchgeführt, es haben selbst republikanisch geführte Einzelstaaten die Wahl auch anerkannt, amtlich zertifiziert und so weiter. Das Gerede von einem Bürgerkrieg verunklart eigentlich auch die Situation, in der wir sind.

Capitol Hill - "Architektur gewordene Identitätspolitik"

Heinemann: Was verbinden die Bürgerinnen und Bürger der USA mit dem Kapitol?
Depkat: Sie sagten es ja schon: Es ist auf der einen Seite der zentrale politische Ort, es ist das Haus der Demokratie, es ist das Herz der Kultur der Mitbestimmung, der Selbstregierung und natürlich auch in Kombination mit dem Weißen Haus und auch dem Supreme Court, also dem obersten Verfassungsgericht. Das ist ja alles da auf engstem Raum zusammengedrängt. Es ist das Zentrum der politischen Macht in den USA. Es ist aber auch ein zentraler symbolischer Ort, ein zentraler Identitätsort, an dem sich die Amerikaner über sich selbst und ihren Ort in der Welt verständigen. Es ist wirklich Architektur gewordene Identitätspolitik. Und wenn man sich dann noch als Historiker vergegenwärtigt, dass genau gegenüber vom Capitol das Lincoln Memorial ist, also die Gedenkstätte für Abraham Lincoln, dann schaudert’s einem schon im Rücken. Denn man muss sich überlegen, dass Abraham Lincoln 1861 in den Krieg gezogen ist gar nicht mal primär, um die Sklaverei abzuschaffen, sondern um die Union zu erhalten. Lincoln ist der Präsidentschaftskandidat der Republikaner - wir haben also einen republikanischen Präsidenten, der genau als Statue zum Kapitol rüberguckt, der 1861 alles getan hat, um die Union zu erhalten, die Verfassung zu beschützen. Und jetzt haben wir einen republikanischen Präsidenten, der alles tut, um die Verfassung zu zerstören und die letzten vier Jahre ja nichts anderes gemacht hat, als die Verfassung zu zerstören. Das ist schon wirklich Ironie der Geschichte.
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Hass als Faktor der sozialen Auseinandersetzung

Heinemann: Wie ist der Gewaltausbruch an dem, wie Sie gesagt haben, zentralen Identitätsort zu erklären?
Depkat: Na ja, die Politik ist ja nun schon seit mehreren Jahren auf dem Weg einer hauptsächlich emotionalisierten Ebene. Das ist eigentlich eine hochgradig ideologisierte Form der politischen Kultur momentan, es ist sehr viel Emotion im Spiel. Die Amerikaner zerfallen in eine Vielzahl von sozialen Milieus, die einander in Hass zugetan sind. Hass ist wirklich zu einem zentralen Faktor der sozialen Auseinandersetzung, auch der politischen Auseinandersetzung geworden. Wenn man dann noch einen Präsidenten hat, der eine solche aufstachelnde Rede hält, wie er sie am Mittwoch gehalten hat, auch wenn er jetzt wieder alles nicht gewesen sein will, das erklärt dieses Gewaltpotenzial zum Teil. Das andere ist natürlich, dass Donald Trump die letzten vier Jahre nichts anderes gemacht hat, als die Nation weiter zu spalten und die Leute aufzustacheln, andere Lebensstile nicht irgendwie nur als anders zu deklarieren, sondern als unamerikanisch hinzustellen. Jede Menge Emotionalisierung hat da stattgefunden, jede Menge Ideologisierung von Lebensstilen, und das erklärt zum Teil jetzt auch die Gewalt.

"Trump hinterlässt eine Wüste"

Heinemann: Sie sagten eben, die Gewaltenteilung auf föderale Ebene funktioniert. In welchem Zustand befinden sich die demokratischen Institutionen und die des Rechtsstaats jetzt zum Ende der Amtszeit von Donald Trump?
Depkat: Dieser Föderalismus – wir haben in den USA eigentlich eine doppelte Gewaltenteilung. Wir haben einmal die Gewaltenteilung auf horizontaler Ebene, das ist also praktisch die Bundesregierung, das ist die Aufteilung zwischen Parlament, Präsident und Judikative, also Verfassungsgericht. Wir haben aber eben auch eine vertikale Gewaltenteilung, also eine zwischen Bundesstaat und Einzelstaaten. Und auf der Bundesebene sehe ich da einiges in Schieflage gekommen – jetzt nicht nur über die letzten vier Jahre, sondern vielleicht noch in einem längeren Prozess, der vielleicht die letzten 40 Jahre gewährt hat. Dass die Vertreter politischer Ämter oder die Inhaber politischer Ämter ihre Aufgabe eigentlich gar nicht mehr primär darin sehen, auch immer die Verfassung zu schützen, sondern eben Interessenpolitik zur Not auch auf Kosten der Verfassung zu machen. Ich denke, auf der Bundesebene ist da einiges in Schieflage geraten, wenn auch nicht "beyond repair", also ich glaube, das ist jetzt noch nicht jenseits der Reparatur. Aber die vertikale Gewaltenteilung hat ja nun seit der Wahl funktioniert, das hat man ja nun gesehen. Inzwischen sind ja auch einige Republikaner von Trump abgerückt. Das hätten sie viel früher machen müssen in ihrer Funktion als Wächter über die Verfassung, aber "better late than never", wie es so schön heißt, also lieber spät als gar nicht.
Heinemann: Vor welcher Aufgabe steht jetzt die Republikanische Partei?
Depkat: Ja, die muss jetzt erst mal den Scherbenhaufen zusammenkehren, den sie sich aber selber eingebrockt haben. Trump hinterlässt ja wirklich eine Wüste. Das Weiße Haus ist an die Demokraten gegangen, es sind jetzt beide Häuser des Parlaments in den Händen der Demokraten, also es ist eigentlich so was wie der Super-GAU, viel schlimmer kann es ja eigentlich für eine regierende Partei nicht werden. Aber ich finde, die Republikaner in ihrem Stillhalten und in dem, dass sie sich willig haben von Trump kapern lassen, der die Republikanische Partei ja zum Instrument seiner Politik gemacht hat und viele der Republikaner einfach nur willige Handlanger seiner Politik waren, die haben sich, finde ich auch, meiner Meinung nach moralisch desavouiert. Und das werden viele Amerikaner auch sehen. Da muss jetzt eine ehrliche Debatte über die letzten 4 bis 20 Jahre her und die müssen sich systematisch neu aufstellen und vor allen Dingen auch deutlich machen, dass sie doch wieder klar die Verfassungspartei sind, die sie ja mal waren.
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"Beide Parteien sind schuld an der Situation"

Heinemann: Herr Depkat, was sollten die Demokraten jetzt auf keinen Fall tun?
Depkat: Sie sollten auf keinen Fall auseinanderfallen. Ich meine, das ist ja auch ein ganz bunt gemischter Haufen, die Demokraten, und wir haben ja schon in der Wahlnacht gesehen, wie da die unterschiedlichen Strömungen aufbrachen, wie da Forderungen gestellt wurden. Joe Biden ist ja nun doch ein zentristischer Kandidat, das ist ein Mann der Mitte, nicht besonders aufregend, ein bisschen langweilig, aber auch ein sehr großer Pragmatiker, jemand, der in der Lage ist, weil er das politische System sehr gut kennt, Mehrheiten zu organisieren und tragfähige Politik zu machen. Er ist aber eben in der eigenen Partei nicht unbedingt unumstritten, weil er eben zu moderat ist für viele. Und was die Demokraten jetzt auf gar keinen Fall machen sollten, ist, sich da in innere Grabenkämpfe zu begeben. Gleichzeitig muss insgesamt die amerikanische politische Kultur wieder zu einer Kultur des Kompromisses finden. Und da bedarf es eben beider Seiten. Es sind beide Parteien mit dran schuld an der Situation, wie sie jetzt ist – es sind nicht nur die Republikaner, die eine Ideologisierung von Politik vorangetrieben haben. Und es muss insgesamt für meine Begriffe wieder eine Kultur des Konsenses her, wo die handelnden Personen im Kompromiss ihre Hauptaufgabe sehen. Dann kann die amerikanische Demokratie sich auch wieder selbst heilen. Denn diese Kultur des Kompromisses ist für die amerikanische Demokratie noch wichtiger als für andere Demokratien westlicher Art.
Heinemann: Wie werden Historikerinnen und Historiker in 20 Jahren, sagen wir mal, den Januar 2021 bewerten?
Depkat: Das ist natürlich eine wunderbare Frage, weil Historiker sich ja eigentlich mit der Vergangenheit beschäftigen. Aber ich denke, dass Historiker ja immer dann doch in Prozessen und Verläufen denken. Was ich mir denken kann, ist, dass wir wegkommen von einer rein personalisierten Betrachtungsweise, dass wir wegkommen von einer auf Trump und seine Person fokussierten Betrachtungsweise, dass wir sehr viel stärker danach gucken, in welche längerfristigen Prozesse fügt er sich ein. Hier ist er, wie gesagt, das Symptom einer Krise, die sich seit 40 Jahren aufgebaut hat und was ihn so ermöglicht hat. Also welche historischen Konstellationen haben ihn ermöglicht. Und das macht mir auch weiterhin Sorgen, denn das, was Donald Trump möglich gemacht hat, wird auch am 20. Januar nicht verschwunden sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.