Dienstag, 16. April 2024

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Historikerin zur Provenienzforschung
Habermas: Geringe Kenntnis über Herkunft ist ein Skandal

"Weit über zwei Millionen" Kulturgüter seien unrechtmäßig in Europa, sagte die Historikerin Rebekka Habermas im Dlf. Deshalb sei es wichtig, mit den Herkunftsregionen in ein neues Gespräch über diese Objekte zu treten. Es sei unwahrscheinlich, dass "auch nur ein Bruchteil" davon zurückgefordert werde.

Rebekka Habermas im Gespräch mit Manfred Götzke | 24.02.2019
Berlin Gedenkmarsch Deutscher Kolonialismus in Afrika 12. Gedenkmarsch am Samstag den 24. Februar 2018 in Berlin fuer die Opfer des deutschen Kolonialismus in Afrika. Die Demonstration fand zum Jahrestag der sog. Berliner Afrika-Konferenz 1884, in Erinnerung an die Opfer des Kolonialismus, des Sklavenhandels und der Ausbeutung Afrkias durch die Europaeischen Staaten statt. 24.2.2018, Berlin *** Berlin Memorial Day March 24 February 2018 in Berlin for the Victims of German Colonialism in Africa The demonstration took place on the anniversary of the so-called Berlin Africa Conference in 1884 in memory of the victims of the colonialism of the slave trade and the exploitation of Africa by the European states held 24 2 2018 Berlin
Berliner "Gedenkmarsch Deutscher Kolonialismus in Afrika" im Februar 2018 (imago stock&people)
Rebekka Habermas sagte im Dlf, man müsse zur "Ehrenrettung der Regierung sagen, dass erstmals überhaupt in einem Regierungsvertrag zwischen CDU und SPD festgehalten wurde, dass Kolonialgeschichte aufgearbeitet werden muss". Es gebe eine Reihe von Initiativen im Auswärtigen Amt und seitens der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters, "die Erinnerungskultur überhaupt erst mal in Gang zu setzen". Habermas betonte, dass es aber wichtig sei, dass die Diskussion um Erinnerungskultur und Erinnerungs-Mahnmale erst einmal in der breiten Gesellschaft ankommen müsse. Dies betreffe Schulen und andere Bildungseinrichtungen. Bislang werde die Debatte vor allem in den Feuilletons ausgetragen und beschäftige sich vor allem damit, "wie wir mit den kolonialen Objekten umgehen".
Es gebe zwar eine ganze Reihe von Schul-Lehrplänen, in denen Kolonialgeschichte auftauche. Das Thema, falle aber häufig hinten herunter, so die Historikerin. Erstsemester der Universitäten, an denen sie unterrichtet habe, besäßen nicht "mehr als eine rudimentäre Kenntnis der Kolonialgeschichte".
Habermas: Großer Mangel an Kenntnis über Objekt-Herkünfte
Provenienzforschung sei unerlässlich, sagte Habermas. Es sei ein "Skandal" nicht nur für deutsche Museen, sondern auf europäischer Ebene, "dass wir über die wenigsten Objekte auch nur den blassesten Schimmer haben, wo sie herkommen und wie sie vor allem nach Europa gekommen sind".
"Wir müssen darüber diskutieren, mit welchem Eigentumsbegriff operieren wir, wem wollen wir diese Objekte zurückgeben, wie viele sollen zurückgegeben werden", so die Historikerin. Die Objekte seien grundsätzlich "in Unrechtszusammenhängen nach Europa gekommen". Deshalb gehörten sie nicht nach Europa. Schätzungsweise seien "weit über zwei Millionen dieser Objekte" in Deutschland. Das betreffe nicht nur Ethnografika, sondern auch Naturalia. Es sei äußert unwahrscheinlich, dass "auch nur ein Bruchteil dieser Objekte zurückgefordert wird". Habermas folgerte: "Das Schreckgespenst 'Unsere Museen sind bald leer' ist vollkommen übertrieben." Darum gehe es nicht. Sondern darum, mit den Regionen, aus denen die Objekte kommen, "in ein neues Gespräch zu treten über die Objekte". Habermas forderte, einen neuen Dialog mit Afrika, Ozeanien und den Amerikas zu ermöglichen. "Das ist eine Chance, in einen ganz neuen Kontakt zu kommen."