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Historische Aufnahmen
Quartetto Italiano in seinem kompletten Werdegang

Es ist eine außergewöhnliche Edition und ein Fest für Kammermusikliebhaber: Die kiloschwere Box, mit der das Label Decca dem legendären Quartetto Italiano auf 37 CDs ein discografisches Denkmal gesetzt hat. Anlass ist das 70. Gründungsjubiläum des Ensembles, das am 20. August 1945 unter dem Namen "Nuovo Quartetto Italiano" eine einzigartige Weltkarriere startete.

Von Norbert Hornig | 10.04.2016
    Nahaufnahme vom Körper einer Geige.
    Die Musik des Quartetto Italianos nun in einer außergewöhnlichen Edition. (picture-alliance/ dpa / Lehtikuva Ismo Pekkarinen)
    Den Zusatz "Nuovo" im Namen ließ man einige Jahre später wieder fallen. Die Edition fasst sämtliche Aufnahmen zusammen, die das Quartetto Italiano zwischen 1948 und 1979 für Decca, Philips und Deutsche Grammophon einspielte. Sie dokumentiert damit alle wesentlichen Stadien seiner künstlerischen Laufbahn, eine Reihe von Aufnahmen wurden mit internationalen Schallplattenpreisen ausgezeichnet und haben noch heute Referenzcharakter.
    Ludwig van Beethoven, Aus: Streichquartett Nr. 9 c-Moll op. 59 Nr. 3, 4. Satz (Allegro molto), CD 24, Take 04
    Die dem Quartetto Italiano gewidmete Edition ist nicht nur ein enorm aussagekräftiges Porträt einer der bedeutendsten Streichquartett-Formationen des 20. Jahrhunderts. Es ist zugleich ein umfangreiches, wenn auch nicht komplettes, Kompendium der großen Streichquartettliteratur mit Schwerpunkten in der Klassik und Romantik. So sind sämtliche Streichquartette von Mozart, Beethoven, Schumann, Brahms und Webern enthalten, dazu viele Werke von Haydn und Schubert, die Streichquartette von Debussy und Ravel sowie einzelne Quartette von Boccherini, Verdi, Dvořak und Borodin, einige davon in mehreren Einspielungen.
    Das erste Werk, mit dem sich die Geiger Paolo Borciani, Elisa Pegreffi, der Bratschist Lionello Forzanti und der Cellist Franco Rossi intensiv beschäftigten, war das Streichquartett von Claude Debussy. Das war im Sommer 1942, mitten im Krieg.
    Man verstand sich auf Anhieb blendend, und der Entschluss, nach Kriegsende ein festes Ensemble zu gründen, war schnell gefasst. Die ersten Proben fanden im Hause der Familie Borciani statt. Und schon am 12. November 1945 debütierte das Quartett in Carpi, kurze Zeit später in Mailand. Die Kritik reagierte sofort hellhörig, da hieß es unter anderem:
    "Man kann hier ohne jeden Zweifel von einer bedeutsamen kammermusikalischen Entdeckung sprechen."
    Schon 1946 spielte das noch Nuovo Quartetto Italiano heißende Ensemble seine erste Schallplatte bei einem italienischen Label ein. Erste Konzerte in London brachten seine Karriere dann richtig in Fahrt. Und bereits im November 1948 entstanden dort die ersten Aufnahmen für Decca, darunter das Streichquartett Es-Dur op. 64 Nr. 6 von Joseph Haydn.
    !! Joseph Haydn, Aus: Streichquartett Es-Dur op. 64 Nr. 6 Hob. III: 64
    4. Satz (Finale: Presto), CD 05, Take 04!!
    Ein frischer, von jugendlicher Vitalität durchpulster Klang prägt diese erste Haydn-Aufnahme des Quartetto Italiano. Gewappnet mit einer brillanten Technik und hoch motiviert, eroberte sich das junge Ensemble die Konzertsäle der Welt. 1951 ging es erstmals in die USA. Mit dabei war der neue Bratschist des Quartetts, Piero Farulli. Amerika sei "das Land, in dem wir unsere Zukunft ausspielten", kommentierte er die Tournee und lag damit wohl goldrichtig. Im "New York Harald Tribune" bezeichnete der amerikanische Komponist und Musikkritiker Virgil Thomson das Quartetto Italiano damals als:
    "...das fraglos beste Streichquartett unseres Jahrhunderts. Sein Spiel lässt sich nur mit einem Wort beschreiben: Perfektion. Perfektion von einer Art und in einem Maße, wie sie kein lebender Quartettliebhaber und kein Quartettspieler je gehört hat."
    Euphorischer kann man sich über eine Konzertdarbietung wohl kaum äußern. Und das Quartetto Italiano war wirklich etwas Besonderes. Es verblüffte das Publikum die ersten Jahre auch damit, dass es auswendig ohne Noten spielte, nicht zuletzt um das Zusammenspiel bis ins Letzte zu perfektionieren und klanglich abzustimmen.
    Wolfgang Amadeus Mozart, Aus: Divertimento D-Dur KV 136. 3. Satz, CD 15, Take 03
    Die Einspielung des Divertimento KV 136 von Wolfgang Amadeus Mozart von 1972 gehört zu den CD-Erstveröffentlichungen der Edition mit dem Quartetto Italiano. Sie ist ein schönes Beispiel für den völlig natürlichen und spontanen Umgang mit Mozarts Musik.
    Im Laufe der Jahre wandelte sich der Klang des Ensembles spürbar, auch seine Aufnahmen spiegeln dies deutlich wider. Eine Begegnung der Musiker mit Wilhelm Furtwängler 1951 während der Salzburger Festspiele hat wohl wesentlich dazu beigetragen. Mit Furtwängler am Klavier musizierte man das Klavierquintett von Johannes Brahms.
    Für die jungen Musiker aus Italien tat sich dabei eine neue Welt auf, ein Zugang zur Musik, in der gestalterische Freiheit eine ganz neue Bedeutung gewann. Jahre später beschrieb Primgeiger Paolo Borciani im "Newsweek"-Magazin den künstlerischen Wandlungsprozess so:
    "Wir begannen gleich nach dem Krieg in einem Toscanini-Stil, in dem alles an seinem Platz war. Doch die Welt hat sich verändert – und zum Glück sind wir mitgewachsen."
    Ein besonders aussagekräftiges Dokument für den abgeklärten Spätstil des Quartetto Italiano ist die Einspielung von Franz Schuberts G-Dur-Streichquartett von 1977. In breiten Tempi wächst die Musik unter den Händen dieser vier begnadeten Musiker zu einem Monument von geradezu überwältigender Größe heran, denn auch die Wiederholung der Exposition im ersten Satz haben sie nicht ausgespart.
    Franz Schubert, Aus: Streichquartett Nr. 15 G-Dur D887. 1. Satz (Allegro molto moderato), CD 29, Track 01
    In seinem Repertoire setzte das Quartetto Italiano so eindeutig Schwerpunkte in der Klassik und Romantik, dass sich darin die Streichquartettkompositionen von Anton Webern geradezu wie Fremdkörper anfühlen. Wie souverän und hoch expressiv das Ensemble auch mit dieser Musik umzugehen wusste, verdeutlicht die Gesamtaufnahme von 1970.
    Anton Webern. Aus: Fünf Sätze für Streichquartett op. 5, 3. Satz (Sehr bewegt), CD 36, Track 05
    35 Jahre lang währte die Karriere des Quartetto Italiano. Im Februar 1980 spielte es sein Abschiedskonzert, kurz zuvor entstand seine letzte Aufnahme für Philips. Noch einmal setzten sich die vier Musiker mit dem Streichquartett "Der Tod und das Mädchen" und dem C-Moll-Quartettsatz von Franz Schubert auseinander. Auch diese Aufnahme gehört zu den CD-Erstveröffentlichungen der Edition. Seit 1965 hatte das Quartetto Italiano mit Philips zusammengearbeitet und dort den größten Teil seiner Einspielungen realisiert. Interpretationen, die in ihrer Zeitlosigkeit und musikalischen Wahrhaftigkeit einzigartig dastehen.
    In der Summe ist diese Edition eine der bedeutendsten Wiederveröffentlichungen im Bereich der Streicherkammermusik.
    1979 spielte das Quartetto Italiano im Herkulessaal der Münchner Residenz seine einzige Aufnahme für die Deutsche Grammophon ein: das Klavierquintett op. 34 von Johannes Brahms mit Maurizio Pollini am Klavier.
    Johannes Brahms, Aus: Klavierquintett f-Moll op. 34, 4. Satz (Finale), CD 37, Track 04
    CD-Infos:
    Quartetto Italiano, The Complete Decca, Philips & DG Recordings (1948 - 1979), Decca/Universal, 37 CDs, EAN 028947888246