Freitag, 19. April 2024

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Historische Aufnahmen
The Philadelphia Sound

Niemand hat ein Weltklasse-Orchester länger geleitet als er. 42 Jahre war Eugene Ormandy Chefdirigent des Philadelphia Orchestra und prägte das Profil des Klangkörpers nachhaltig. Eine Luxusedition von Sony fasst die Mono-Aufnahmen des Orchesters zusammen, die für das Columbia-Label entstanden.

Am Mikrofon: Norbert Hornig | 04.04.2021
    Brustbild des Dirigenten Eugene Ormandy, er dirigiert, der linke Arm ist erhoben, der Blick geht nach oben, er trägt einen schwarzen Konzertfrack mit einem weißen Hemd und einer weißen Fliege, er hat weiße kurze Haare und eine Halbglatze
    Eugene Ormandy war einer der aktivsten und am häufigsten im Schallplattenstudio anzutreffenden Dirigenten in den USA. (Hank Parker/Sony Music Entertainment)
    Mit einer Edition der Mono-Aufnahmen, die für das amerikanische Columbia-Label entstanden, setzt Sony Classical dem Dirigenten Eugene Ormandy und seinem Orchester nun ein diskographisches Denkmal, wertig aufgemacht, mit nicht weniger als 120 CDs.
    Musik: Ludwig van Beethoven, Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92, 4. Satz (Allegro con brio)
    So furios fing es an. Im November 1944 entstand diese Aufnahme der 7. Sinfonie von Ludwig van Beethoven mit dem Philadelphia Orchester unter der Leitung von Eugene Ormandy für das Columbia-Label. Hunderte von Einspielungen sollten folgen, sie trugen maßgeblich dazu bei, dass Ormandy und sein Orchester zu einem Qualitätsbegriff in der Welt der klassischen Musikwurden.

    Von Ungarn in die Neue Welt

    Mit seinem ungarischen Familiennamen "Jenö Blau" hätte Ormandy wohl keine Weltkarriere gemacht, wie sie ihm mit seinem amerikanischen Künstlernamen Eugene Ormandy schließlich gelang.
    Der am 18. November 1899 in Budapest geborene Sohn eines jüdischen Zahnarztes war musikalisch hochbegabt und machte im Eiltempo Karriere. Er studierte Violine bei Jenö Hubay in Budapest, auch Béla Bartók und Zoltan Kodály gehörten zu seinen Lehrern.
    Der Sprung nach Amerika gelang ihm zu Beginn der 1920er Jahre, eine Zeitlang verdingte er sich in New York als Geiger im Stummfilm-Orchester des Capitol Theatre, wo er auch erste Erfahrungen als Dirigent sammelte.
    Dann geht alles Schlag auf Schlag. Ormandy nimmt die amerikanische Staatsbürgerschaft an, springt 1931 für Toscanini beim Philadelphia Orchestra ein und wird dort fünf Jahre später "Associate Conductor" neben Leopold Stokowski, ab 1938 Chefdirigent.
    Schnell avanciert er zu einem der aktivsten und am häufigsten im Schallplattenstudio anzutreffenden Dirigenten US-Amerikas und überflügelt darin bei weitem seine ebenfalls aus Ungarn eingewanderten Dirigentenkollegen Fritz Reiner, George Szell, Georg Solti und Antal Dorati.
    Musik: Johann Sebastian Bach (Arr. E. Ormandy) Orchestersuite Nr. 3 D-Dur BWV 1068, Air

    "Der Philadelphia Sound – das bin ich"

    Das von Leopold Stokowski vorgeprägte Philadelphia Orchestra wird zu den "Big Five" der amerikanischen Sinfonieorchester gezählt, die Maßstäbe für höchste Spielkultur setzten. Wie Stokowski führte auch Ormandy aufführungspraktisch anfechtbare Bachbearbeitungen mit großem Orchester auf.
    Ein exzentrischer Klangmagier wie Stokowski war er wohl nicht, doch gewiss ein Freund des lukullischen Orchesterklanges, selbst bei Bach. Zu hören ist dies fast überall. Ormandy war nicht der Typ des strahlenden, charismatischen Stardirigent, dem die Herzen der Fans und der Applaus schon zuflogen, bevor er überhaupt den Taktstock erhoben hatte, sondern von Statur und Bühnenpräsenz her eher unauffällig.
    Sein Gedächtnis für Partituren war phänomenal, sein Ohr unfehlbar. Ormandy erreichte mit sparsamer Gestik und präziser Arbeit verlässlich das, was ihm vorschwebte: orchestrale Bravour im technischen Sinne, Präzision, klangliche Strahlkraft und Schönheit. "Der Philadelphia Sound – das bin ich", sagte er einmal.Ormandy, ein "amerikanische Karajan"? Das mag klischeehaft klingen, aber vielleicht steckt ein Körnchen Wahrheit darin.
    Wie Karajan dem Klang der Berliner Philharmoniker eine persönliche Note gab, so wusste auch Ormandy den Klang des Philadelphia Orchestra zu prägen und prachtvoll zu entfalten, zum Beispiel in den Werken von Jean Sibelius, die ihm besonders am Herzen lagen. Ormandy hatte den finnischen Komponisten 1951 in seinem Haus bei Helsinki besucht und spielte viele seiner Werke für die Schallplatte ein, mit raffiniertem Klangsinn und einem sicheren Gespür für das besondere Idiom dieser oft schwerblütigen Musik.
    Musik: Jean Sibelius, Tapiola op. 112

    Romantik und gemäßigte Moderne

    Die "Columbia Legacy" des Philadelphia Orchestra und Eugene Ormandy vereint auf 120 neu remasterten CDs sämtliche Mono-Einspielungen aus der Zeit von 1944 bis 1958. Allein 152 Aufnahmen erscheinen hier erstmals auf digitalem Tonträger.
    Inhaltlich spiegelt die Edition auch das Repertoire wider, das Ormandy favorisierte. Im Kern sind es die Romantik und die gemäßigte, frühe Moderne. Zur Oper fühlte er sich offensichtlich nicht hingezogen. Man findet einige Haydn- und Beethoven-Sinfonien und Brahms, aber wenig Mozart.
    Umso mehr russische Meister wie Mussorgski, Rimski-Korsakow, Rachmaninow und Tschaikowski, auch französische Komponisten wie Saint-Saëns, Debussy und Ravel, dazu Richard Strauss, Respighi, Sibelius und amerikanische Zeitgenossen wie Virgil Thomson, Roy Harris oder Aaron Copland.
    Und, die Amerikaner liebten sie, die Walzerklänge von Johann Strauß, gespielt mit rasantem Schwung und geradezu sportlichem Zugriff.
    Musik: Johann Strauß, Ouvertüre zu "Die Fledermaus" (Ausschnitt)

    Das war Johann Strauß auf Amerikanisch: effektvoll und spektakulär!

    Prominente Solisten kamen, um mit Eugene Ormandy und dem Philadelphia Orchestra ins Schallplattenstudio zu gehen. Dazu gehörte eine ganze Riege namhafter Geiger, u.a. Joseph Szigeti, Nathan Milstein, Zino Francescatti, David Oistrach und Isaac Stern.
    Unter den Pianisten findet man Namen wie Claudio Arrau, Rudolf Serkin und Eugene Istomin, aber auch den aus Ungarn stammenden György Sándor. Mit ihm als Solisten realisierten Eugene Ormandy und das Philadelphia Orchestra im Februar 1946 die Uraufführung des 3. Klavierkonzertes von Béla Bartók und kurz darauf die Ersteinspielung des Werkes, ein diskographischer Meilenstein.
    Musik: Béla Bartók, Klavierkonzert Nr. 3 Sz 119, 3. Satz (Allegro vivace)

    Edition mit Nostalgie-Effekt

    Sicher werden Eugene Ormandys bekannten späteren und immer wieder neu aufgelegten Stereoaufnahmen klanglichen Ansprüchen mehr gerecht, als die Einspielungen aus der Mono-Ära der Schallplatte.
    Die Musik von Jean Sibelius, die Ormandy grandios zu inszenieren wusste, oder die opulenten Tondichtungen von Richard Strauss profitieren natürlich sehr von einem sich breitbandig entfaltenden Klang. Die Einengung auf die Monoperspektive lenkt das Ohr mehr auf andere Aspekte, wie die Konturen und Strukturelemente eines Werkes. Auch das kann gut sein.
    Eugene Ormandy und das Philadelphia Orchestra haben eine Marke kreiert, zusammen schrieb man ein Stück Musik- und Schallplattengeschichte. Im wertig aufgemachten, reich bebilderten Begleitbuch führt die Edition akribisch alle diskographischen Daten zusammen.
    Die Box reiht sich auf sehr hohem Niveau ein in das Angebot umfangreicher CD-Enzyklopädien von bedeutenden Interpretinnen und Interpreten, mit denen die großen Labels schon seit längerem den Markt regelrecht fluten. Hier locken die Vollständigkeit und auch die nostalgische Anmutung der originalen LP-Hüllen (?) im Mini-Format.
    Die Ormandy-Edition ist auch ein Dokument der Design-Geschichte, denn viele Cover wurden von dem legendären Graphiker Alex Steinweiss entworfen, der als Werbeleiter von CBS die gestaltete LP-Hülle kreiert hatte. Hier werden Sammlerfreuden geweckt.

    Bravouröse Virtuosität

    Es macht einfach Freude in dieser Überfülle von Aufnahmen auf Entdeckungsreise zu gehen.
    Einen guten Eindruck, über welche spieltechnischen Fähigkeiten die Streicher des Philadelphia Orchestra verfügen, vermittelt die Aufnahme von Niccolò Paganinis "Moto perpetuo", für Orchester arrangiert vom Dirigenten Eugene Ormandy, der seine Musikerlaufbahn als Geiger begann. Es ist staunenswert, wie locker und leicht die Virtuosen aus Philadelphia dieses eigentlich für Solovioline gedachte Bravourstück sozusagen aus dem Ärmel schütteln.
    Musik: Niccolò Paganini (Arr. E. Ormandy) Moto perpetuo
    Das Philadelphia Orchestra gehört zu den führenden amerikanischen Sinfonieorchestern, mehr als vier Jahrzehnte lang wurde es von Eugene Ormandy als Chefdirigent geleitet.
    In einer opulent ausgestatteten Edition hat Sony Classical jetzt auf 120 CDs sämtliche Mono-Aufnahmen herausgebracht, die Ormandy mit dem Orchester zwischen 1944 und 1958 für das amerikanische Columbia-Label einspielte.
    Eugene Ormandy & The Philadelphia Orchestra
    The Columbia Legacy (1944-1958)
    Sony Classical 19439757482 (120 CDs)