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Historische Fotos
Das Paris von Georg Stefan Troller

Der Schriftsteller und Dokumentarfilmer Georg Stefan Troller floh 1938 vor den Nazis nach Paris und lernte eine Stadt jenseits des Eiffelturms kennen, die er nach dem Krieg fotografierte. Diese Fotos von Gassen und Hinterhöfen sind jetzt in dem Buch "Ein Traum von Paris" versammelt, und wir haben mit ihm darüber gesprochen.

Von Jürgen König | 04.11.2017
    Georg Stefan Trolle
    Georg Stefan Troller, österreichischer Schriftsteller, Fernsehjournalist, Drehbuchautor, Regisseur und Dokumentarfilmer (picture alliance/dpa/Foto: Horst Galuschka)
    Als im März 1938 deutsche Soldaten, Polizisten und SS-Einheiten in Österreich einmarschierten, war Georg Stefan Troller 16 Jahre alt. Die jüdische Familie flieht, über die Tschechoslowakei kommt Troller nach Frankreich – und lernt ein Paris kennen, das es heute nicht mehr gibt.
    "Ich musste vor der Sperrstunde wieder daheim sein, ich hatte also zwei, drei Stunden, um mich in diesem Paris zu verlieren. Und dieses Paris, dieses unbekannte Paris der verborgenen, kleinen Gässchen und der Treppen und der Hinterhöfe hab ich geliebt. Weil es sich nicht mir überheblich zeigte, sondern – menschlich war."
    Die deutsche Besatzungszeit erlebte Troller in einem kriegsverdunkelten, unheimlichen, gefährlichen Paris, er wurde US-Soldat und Student in New York, 1949 kehrte er nach Paris zurück und nahm, mit Kamera und Belichtungsmesser, seine Streifzüge wieder auf, doch das große, auftrumpfende, touristische Paris – die Seine, die Champs-Elysées, der Eiffelturm – interessierte ihn nicht.
    "Ich ging sehr häufig in die östlichen Viertel von Paris, wo wirklich noch das kleinbürgerliche, das kleinproletarische Paris lebte, in Häusern, die ursprünglich Gartenhäuser waren. Fachwerkhäuser, sehr häufig von Arbeitern, die bei der Kommune, beim Kommune-Aufstand 1871 um ihr Leben kämpften und dann flohen in die Labyrinthe dieser östlichen Distrikte – und sich dort diese kleinen Landhäuschen umbauten zu ihren Wohnhäusern. Dieses Umbauen, dieses dauernde Sägen und Nageln – daran kann ich mich noch gut erinnern."
    Gassen, Ruinen und Kinder am Fenster
    Die Schwarz-Weiß-Fotos des Georg Stefan Troller, aufgenommen mit einer Leica, die er als amerikanischer GI einem deutschen Kriegsgefangenen abgenommen hatte, zeigen: Enge leere Gassen, Risse in den Häuserwänden, immer wieder Ruinen, Bauarbeiter im Schutt. Faltige Gesichter, Frauen mit langen Wollröcken, Männer mit winzigen Zigarettenstummeln im Mund. Häuser, die gestützt werden müssen, Kopfsteinpflaster in engen Hinterhöfen, lange Unterhosen auf Wäscheleinen. Kinder am Fenster, im Blick Neugier, Skepsis, auch Angst. Bauersfrauen mit verschlossenen Gesichtern. Mädchen mit Puppen im Arm und aufgescheuerten Knien. Am Tresen einer Eckkneipe fröhliche Frauen mit Kopftüchern. Lachende Gespräche von Balkon zu Balkon, gebückte Frauen und Männer über Gemüsebeeten, die zwischen den Häusern wie kleine Paradiese wirken.
    "Mit handschuhgroßen Gärtchen, die sie zu einem kleinen Versailles umgestalten. Da lebten sie… was man hier ´le petit peuple` nennt oder nannte, das ´kleine Volk von Paris` lebte da für sich. Und ich weiß, dass mir Leute sagten, sie seien in ihrem Leben noch nie am Eiffelturm gewesen. Manchmal verirrte ich mich in diesen Bezirken und fragte, wo es denn in Richtung Champs-Elysées oder so was… – sie hatten keine Ahnung! Das war nicht Teil ihres Paris‘. Und das hat mir irgendwie die Angst vor Paris genommen."

    Die Texte, die das Buch versammelt, sind genau beobachtete Miniaturen, etwa "Das alte Pariserhaus spricht", darin es heißt: "Ich bin nicht schön. Aber auf meine Bewohner zugeschnitten wie das Schneckenhaus auf die Schnecke." Georg Stefan Troller schrieb diese Texte in den 60er- und 70er-Jahren, als dieses von ihm so geliebte Paris allmählich verschwand.
    "Das meiste wurde ja als ´ungesunde Häuserblocks` – natürlich herrschte dort die Tuberkulose, ja? – abgerissen. Alles abgerissen, auch weil es keine Mieten einbrachte. Ich hab eine Frau gefragt, was sie an Miete zahlt. Sie sagte mir: ´200 Franc.` Und ich sagte: ´200 Franc im Monat, das ist ja billig.` Sie sagte: ´Nein, im Jahr!`"
    Vergessene Foto wiederentdeckt
    Die Pariser Fotos seiner jungen Jahre hatte Troller bald vergessen – bis eine seiner Töchter sie letztes Jahr in einem Karton wiederfand.
    "Sie brachte mir die Fotos, ich guckte sie an – und da überkam mich dieses Gefühl, das einen so oft überkommt, wenn man alte Sachen von sich sieht oder liest: wer war denn der, der das alles gemacht hat? Und wieso gibt‘s den nicht mehr? Wieso könnte ich das heute nicht mehr? Nicht nur weil es dieses Paris nicht mehr gibt, sondern weil es diese meine Leidenschaft nicht mehr gibt: das Festhalten der flüchtigen Welt. Wie jemand, dem ein Jugendereignis einfällt, das schon lang nicht mehr mit ihm übereinstimmt. Das er schon nicht mehr ist. Das ist natürlich ein Moment der Trauer auch, des Verlustes."
    Ohne jede Sentimentalität erzählt der fast 96-jährige Georg Stefan Troller von seinen Pariser Jugendjahren – und völlig unsentimental kommt auch dieses Buch daher: ein kleines großes Paris-Buch.
    "Ein Traum von Paris" ist im Corso-Verlag veröffentlicht
    EAN: 978-3-7374-0743-4