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Historische Spuren des Reformators
Luther protestierte gegen das Verbrennen jüdischer Schriften

Martin Luther stand in engem Kontakt mit den Erfurter Humanistenkreis. Diese Gelehrten setzten sich auch für das Studium der jüdischen religiösen Schriften ein. Als gewisse kirchliche Kreise forderten, den Talmud zu verbrennen, protestierte der junge Luther gegen dieses Vorhaben.

Von Wolfram Nagel | 15.05.2014
    In der Lutherzelle im Augustinerkloster in Erfurt steht die Nachbildung eines mittelalterlichen Betpultes. Luther bewohnte wahrscheinlich vier verschiedene Zellen im Erfurter Kloster. In dieser wohnte er zuletzt. Das Augustinerkloster in Erfurt ist ein ab 1277 erbautes, ehemaliges Kloster der Augustiner-Eremiten, in dem Martin Luther zwischen 1505 und 1512 als Mönch lebte.
    Die Lutherzelle im Augustinerkloster in Erfurt. Luther lebte wahrscheinlich in vier verschiedenen Zellen. In dieser wohnte er zuletzt. (picture alliance / dpa / Michael Reichel)
    "Im 16. Jahrhundert schon war die sogenannte Lutherzelle, also eine der Klosterzellen, die Luther in seiner Zeit hier benutzt hat, war in gewisser Weise ein Wallfahrtsort. Man wusste, wo sich diese Zelle befindet, es gab Zeichnungen aus dieser Zeit und da ist die Zelle markiert mit einem Kreuz und der Bemerkung, das sei Luthers Zelle."
    So der Bibliothekar des evangelischen Augustiner-Klosters zu Erfurt, Michael Ludscheidt, über die noch zu Lebzeiten einsetzende Verehrung des Reformators.
    "Und von daher sind die Besucher hier her geströmt und haben diese Zelle sehen wollen. Und haben sich zum Teil auch an den Wänden verewigt mit entsprechenden Sprüchen. Das ist allerdings nicht erhalten, aber wir wissen aus der Überlieferung davon."
    Anders als das Geburts- und Sterbehaus in Eisleben, das Wittenberger Wohnhaus oder die Wartburg zu Eisenach war das Erfurter Augustiner-Kloster nie ein musealer Kultort. Das lag wohl auch daran, dass die Gebäude des Konvents einschließlich Kirche immer ganz praktisch genutzt wurden. Schon 1525 wurde die Klosterkirche evangelisch, während das Kloster selbst noch ein paar Jahrzehnte katholisch blieb. Carsten Fromm, Kurator des Augustiner-Klosters:
    "So kam es, dass 1556 der letzte Mönch hier in Erfurt verstorben ist und 1559 wurde das Kloster dann säkularisiert. Und damit war das Ende dann auch besiegelt für das Augustinerkloster."
    Bibliothek hinter Stahlgitter
    In die Klosterräume zog das evangelische Ratsgymnasium ein, später wurde es Waisenhaus und Sitz der Kirchenleitung. Auch wegen der umfangreichen Lutherbibliothek bekam das Kloster zeitweise sogar den Namen "evangelisches Zion". Seit den 1970er Jahren ist es eine Tagungs- und Begegnungsstätte. Eine kleine Dauerausstellung informiert über Luthers Lehrjahre im Kloster.
    "Luther sagte damals: Erfurt ist eine Stadt, der er sehr viel zu verdanken hat, durch die Zeit seines Studiums als Jurist, durch die Zeit seines Mönchsdaseins hier im Kloster. Das hat er immer wieder gesagt, dass Erfurt ein ganz wichtiger Ort für sein Leben ist."
    Und so steht, ganz im Sinne des Reformators, das Wort im Mittelpunkt der Erfurter Luthergedächtnisstätte, verkörpert durch die Bibliothek. Die mit Stahlgittern gesicherte Sammlung bewahrt Wertvolles aus der Lutherzeit. Aber auch die Zeit nach Luthers Tod im Jahr 1546 ist in den Regalen unter dem hölzernen Tonnengewölbe dokumentiert. Tausende Bände lassen ahnen, wie groß die Verehrung für den ehemaligen Augustiner-Eremiten war.
    "So eine gewisse Luther-Euphorie ist ja schon zu Lebzeiten vorhanden. Und man würde sagen müssen, diese Verehrung dokumentiert sich ja schon sehr viel früher, wenn man nur an die großen Beispiele im Bereich der Schriften Luthers denkt. Schon zu seinen Lebzeiten beginnt eine Werkausgabe zu erscheinen, die sogenannte Wittenberger Ausgabe mit dem ersten Band 1539."
    Frühe Legendenbildung
    Nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg, dem Verlust der Kurwürde und auch der Stadt Wittenberg fürchteten die sächsischen Ernestiner auch um das lutherische Erbe. Im Erfurter Augustinerkloster fanden sie einen Ort, wo sie schon früh die schriftlichen Zeugnisse des Reformators sammeln und bewahren konnten. Da begann allerdings auch schon die Legendenbildung, so der Historiker Michael Ludscheidt:
    "Bei Luther ist ja vieles in sogenannten Tischgesprächen, Tischreden überliefert. Da muss man immer sehr vorsichtig mit umgehen, weil das aus dritter Hand ist und der alte Luther sicher manches auch nicht mehr 100 Prozent vergegenwärtigen konnte was 30 oder 40 Jahre zuvor passiert war. Aber es ist eine wichtige Quelle und mitunter auch eine Quelle für Anekdoten und Legenden."
    Über die Erfurter Zeit Luthers, die von 1501 bis 1512 dauerte, weiß man bis heute wenig. Auch die berühmte Romreise, die er 1510 im Auftrag seines Beichtvaters Staupitz von Erfurt aus angetreten haben soll, wie man dies in einschlägigen Lutherbiografien lesen kann, ist so nicht belegt. Auch der Auftrag ist unklar.
    "Dass ihn Staupitz schickt, ist eher unwahrscheinlich. Es gibt zumindest seit einigen Jahren durchaus berechtigte Zweifel daran, ob die Romreise zu diesem Zeitpunkt, wo wir sie annehmen, stattgefunden hat, mitunter sogar Zweifel, ob sie überhaupt stattgefunden hat."
    Zumindest nicht im Winterhalbjahr 1510/11 von Erfurt aus. Und auch nicht im Auftrag des Generalvikars der deutschen Observanten-Kongregation des Augustinerordens, Johannes von Staupitz, um einen Konflikt innerhalb des Augustiner-Ordens zu klären. Sieben Klöster des Ordens, darunter auch Erfurt und Nürnberg, wehrten sich gegen eine Union aller deutschen Augustiner-Klöster, weil sie um ihre Unabhängigkeit fürchteten. Bruder Martin war damals zwar bereits ein geschätzter junger Ordensmann, doch viel zu unerfahren und unbedeutend, um zu einer solchen diplomatischen Mission nach Rom geschickt zu werden, zumal als Verhandlungsführer. Wäre es doch darum gegangen, beim Ordensgeneral oder sogar beim Papst gegen die Klosterunion zu appellieren:
    "Das, was man immer vermutet hat, dass Luther und sein Begleiter noch mal appellieren sollten in Rom, um diese Geschichte mit der Observanz der hiesigen Ordensprovinz zu klären, ist gar nicht denkbar, weil das Appellationsrecht schon ausgeschöpft war. Es gab also überhaupt keinen Grund - es wäre sinnlos gewesen, nach Rom zu laufen, diesen beschwerlichen Weg, weil man eigentlich wusste, die Kurie wird keine Appellation mehr zulassen. Beispielsweise solche Indizien sind es, die fraglich machen, was Luther dort gewollt haben könnte."
    Nur als frommer Pilger in Rom
    Johannes von Staupitz hatte den begabten Mönch 1508 von Erfurt nach Wittenberg beordert. Er sollte an der Artistischen Fakultät der neu gegründeten Universität lehren und nebenbei weiter Theologie studieren. Doch 1509 wurde er nach Erfurt zurückgerufen, gegen den Willen seines Förderers und Beichtvaters Staupitz.
    "Die Annahme, dass Luther im folgenden Jahr als Delegierter der Anti-Staupitz-Opposition nach Rom gegangen sein soll, bereitet erhebliche psychologische Schwierigkeiten. Ebenso wenig plausibel wäre es, dass Staupitz einen ehemaligen Exponenten der Opposition, der gegen ihn in Rom hätte prozessieren wollen, selbst nachdem er die Seiten gewechselt hatte, zu seinem Lehrstuhl-Nachfolger in Wittenberg erkoren hätte",
    schreibt der Marburger Kirchenhistoriker Hans Schneider über Martin Luthers Reise nach Rom. Deren Zeitpunkt und Grund konnte er anhand neu aufgefundener Quellen neu deuten.
    "Luther kann demnach nur im Winterhalbjahr 1511/ 12 nach Rom gezogen sein, das heißt nach seinem endgültigen Wechsel nach Wittenberg und von dort aus."
    Und zwar nicht als Vermittler im "Staupitz-Streit" sondern als frommer Pilger, dem es wichtig war, kniend die Heilige Treppe zu besteigen und die Generalbeichte abzulegen. Kritische Äußerungen Luthers über die Zustände in Rom sind aus dieser Zeit noch nicht überliefert. Kurz nach seiner Rückkehr wurde er in Wittenberg zum Doktor der Theologie promoviert. Als Professor begann er sich nun aktiv in brisante Streitfragen der Zeit einzumischen, sagt der Bibliothekar Michael Ludscheidt. Vor ihm liegt ein Originalbrief aus dem Jahre 1514:
    "Der liegt hier im Bestand, es ist der älteste Brief der überhaupt autograf von Luther überliefert worden ist. So, ich zeige Ihnen mal diesen Lutherbrief aus dem Jahr 1514, den hat er am 5.8. des Jahres an Georg Spalatin geschrieben. Man merkt da, wie die Verbindungen Luthers wenige Jahre nach seinem Weggang aus dem Kloster nach Erfurt noch funktionieren."
    Verbrennung des Talmud
    In dem Brief geht es um den sogenannten "Reuchlin-Streit". Von einigen Ordensleuten wurde damals die Vernichtung der sogenannten Judenschriften gefordert. Auch der zum Christentum konvertierte Kölner Jude Johannes Pfefferkorn befürwortete die Verbrennung des Talmud. Als einer der wenigen namhaften Gelehrten trat Johannes Reuchlin dagegen auf.
    "Und Unterstützung bekommt aus dem Erfurter Humanistenkreis, dem Luther auch zugehört hat. Und für die Humanisten war das klar, dass das eine Barbarei ist, die Vernichtung von jüdischem Schrifttum zu fordern. Eines der Anliegen der Humanisten war ja, sich auf die Quellen zurückzubeziehen - und dazu gehören natürlich auch die hebräischen Quellen, nicht nur die griechischen und lateinischen, sondern selbstverständlich auch die des Alten Testaments."
    Zum Bestand der Erfurter Klosterbibliothek gehört eine Sammlung von 300 frühen Lutherbibeln, darunter auch seine Übersetzung des Alten Testaments. Eine aktuelle Ausstellung im Kreuzgang zeigt allerdings auch die Schattenseite des Reformators oder den "großen Sündenfall", wie Kurator Carsten Fromm den Antijudaismus des späten Luther bezeichnet:
    "Denn wenn man von Martin Luther spricht, spricht man immer nur von Reformation, aber es hat auch zwei Seiten, wir haben hier die zweite Seite ganz gut aufgedeckt mit seinem gespaltenen Verhältnis zum Judentum. Es ist erschreckend, wenn man liest Luthers sieben Ratschläge, Verbrennung der Synagogen oder Zerstörung der Häuser, Beschlagnahme des Talmud oder Lehrverbot für Rabbiner, Enteignung, Zwangsarbeit - das sind erschreckende Thesen."
    Noch einmal kam Luther nach Erfurt, um im Augustiner-Kloster zu übernachten und vor einer großen Menschenmenge zu predigen. Das war 1521 auf dem Weg zum Wormser Reichstag, wo die Causa lutheri von Kaiser Karl V. und den anderen Reichsfürsten behandelt werden sollte. Luthers Erfurter Predigt ist überliefert, dazu eine der typischen Luther-Legenden. Michael Ludscheidt:
    "Er hat in der Augustinerkirche gepredigt vor einer großen Menschenmenge. Da gibt es die Anekdote, dass die Empore angefangen hat zu knarren, und die Menschen fast Panik bekommen haben, weil sie gedacht haben, dass diese Empore einstürzt. Und wenn ich mich recht erinnere, hat Luther sie damit beruhigt, dass er ihnen gesagt hat: also der Teufel knurrt nur ein bisschen, weil er das nicht ertragen kann, was ich euch hier predige."