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Historischer Konflikt
Die belastete Beziehung zwischen Griechenland und der Türkei

Gewalt, Folter und Mord: Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan erhebt in der Flüchtlingskrise schwere Anschuldigungen gegen die griechischen Sicherheitskräfte. Das Verhältnis zwischen den beiden Nato-Partnern ist seit Jahren angespannt - nicht nur wegen der EU-Flüchtlingspolitik.

Von Gunnar Köhne | 09.03.2020
Die griechische und türkische Fahne.
Das angespannte Verhältnis zwischen Griechenland und der Türkei ist auch geschichtlich vorbelastet (imago/Rainer Unkel)
Ein Restaurant in der Istanbuler Innenstadt: Ein Gast stimmt ein altes türkisches Volkslied an. Nach einer Weile tritt ein griechischer Tourist hinzu und stimmt mit ein - auf griechisch. Beide Männer greifen sich am Ende bei den Händen.
Diese Videosequenz wird seit einigen Wochen in den sozialen Medien geteilt – vor allem von denjenigen Türken und Griechen, die angesichts der derzeitigen Spannungen zwischen beiden Staaten die Hoffnung auf gute nachbarschaftliche Beziehungen nicht aufgegeben haben.
Wie kann es sein, dass zwei Völker, die dieselben Lieder singen, dennoch in einer sogenannten "Erbfeindschaft" miteinander verbunden seien können? Der Grund liegt, wie so oft, in der Geschichte: Das heutige Griechenland war 400 Jahre Teil des Osmanischen Reiches. Nach Befreiungskrieg und Gründung der ersten Hellenistischen Republik im Jahr 1827 gingen die Konflikte weiter. Nach dem endgültigen Zusammenbruch des Osmanischen Reiches nach Ende des Ersten Weltkrieges marschierten griechische Truppen in Anatolien ein. Der griechische Nationalismus sah die Chance, seinen alten Traum von der Wiedererrichtung des Byzantinischen Reiches zu verwirklichen. Die Griechen wurden aber von den Truppen Kemal Atatürks zurückgeschlagen.
Migranten warten an der türkisch-griechischen Grenze. Die Grenze ist mit Stacheldraht gesichert.
Hintergründe zur Eskalation an der griechisch-türkischen Grenze
Die Türkei hindert Flüchtlinge nicht mehr daran, in die EU zu gelangen. Griechenland geht massiv dagegen vor – auch mit Rückendeckung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Ein Überblick.
Bevölkerungsaustausch nach dem Weltkrieg
Der Friedensvertrag von Lausanne legt die bis heute gültigen Grenzen fest: Griechenland durfte fast alle Inseln in der Ägäis behalten – manche, wie die Insel Lesbos, in Sichtweite der türkischen Küste. Besonders schwerwiegend für das Verhältnis beider Länder war aber der vertraglich vereinbarte Bevölkerungsaustausch: Über eine Million Griechen wurden aus der Türkei nach Griechenland vertrieben, und rund 400.000 Muslime aus Griechenland in Richtung Türkei. Ausgenommen von dieser vertraglich sanktionierten ethnischen Säuberung war allein die griechische Minderheit in Istanbul.
Heute leben nur noch etwa 2.000 Griechen im ehemaligen Konstantinopel. Sie besonders hatten unter den immer wieder aufflammenden Spannungen zwischen beiden Staaten zu leiden. Etwa in Folge der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Türken und Griechen auf Zypern, die schließlich zur türkischen Besetzung des Inselnordens 1974 führten.
Obwohl beide Länder 1952 der Nato beitraten, schwelten die Animositäten zwischen ihnen weiter. Wiederholt musste das Bündnis die beiden Kontrahenten von einer direkten militärischen Konfrontation abhalten. So 1996, als im Streit um die Besetzung einer unbewohnten, winzigen Felsinsel in der Ägäis durch türkische Soldaten, die griechische Armeeführung ihre Truppen bereits in den Gefechtszustand versetzt hatte.
Kurswechsel in Ankara
Recep Tayyip Erdogan hatte zu Beginn seiner Regierungszeit 2002 noch den Ausgleich mit den Griechen gesucht. Für sein Ziel einer EU-Mitgliedschaft brauchte er die Unterstützung des Nachbarn. Doch je mehr sich die Türkei und Europa entfremdeten, desto offener griff Erdogan Griechenland an. In einer Rede im Herbst 2016 stellte er indirekt sogar die Grenzziehung in der Ägäis in Frage:
"Diese Inseln, die in unserer Rufweite liegen, haben wir im Vertrag von Lausanne weggegeben. Uns wurde das als Verhandlungserfolg verkauft. Dabei gehörten die doch uns! Da stehen noch heute unsere Moscheen! Aber wir müssen immer noch um unsere Rechte in der Ägäis streiten!"
Im Streit um die Rohstoffe im Mittelmeer lässt Erdogan inzwischen Taten folgen: In Gebieten, die seerechtlich zu Zypern und Kreta gehören, lässt er nach Öl und Gas bohren.
Türken und Griechen kommen sich dennoch näher
Doch allen nationalistischen Tönen zum Trotz sind sich Griechen und Türken in den vergangenen Jahren nähergekommen. Während der Finanzkrise waren es nicht zuletzt türkische Touristen, die durch ihren massenhaften Besuch die grenznahen griechischen Inseln vor dem Absturz bewahrten. Und Griechenland bietet seinerseits zehntausenden politisch Verfolgten aus der Türkei Asyl. Bei solchen Begegnungen entdecken Türken und Griechen dann, dass sie mehr miteinander verbindet, als nur dieselben Lieder.