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Historischer Rückblick
Pulverfass Kaschmir

Kaschmir ist eine der weltweit am stärksten militarisierten Regionen. Jetzt könnte die Lage wieder eskalieren, denn die indische Regierung hat dem Bundesstaat die Sonderrechte entzogen. Ein Blick in die Geschichte zeigt, woran sich die Spannungen zwischen den beiden Erzrivalen Indien und Pakistan entzünden.

Von Silke Diettrich | 15.08.2019
Indische Soldaten vor dem Freitagsgebet in Jammu im Bundesstaat Jammu und Kaschmir.
Indische Soldaten vor dem Freitagsgebet in Jammu im Bundesstaat Jammu und Kaschmir. (AFP / Rakesh BAKSHI )
In der Nacht vom 14. auf den 15. August 1947 endete die britische Herrschaft in Indien. Der letzte britische Vizekönig, Louis Mountbatten, gratulierte zur Unabhängigkeit:
"Es ist ein historischer Tag, Indien wird ein freies und unabhängiges Land. Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute."
Lord Mountbattan verkündet 1947 die Unabhängigkeit Indiens vom britischen Königreich. Im Vordergrund Jawaharlal Nehru, der die Nation bis zu seinem Tod im Jahr 1964 führte. 
Lord Mountbattan verkündet 1947 die Unabhängigkeit Indiens vom britischen Königreich. Im Vordergrund Jawaharlal Nehru, der die Nation bis zu seinem Tod im Jahr 1964 führte. (imago / UIG)
Allerdings brach erst einmal das Chaos aus, als die Briten zwei Staaten zurückließen: Indien, in dem mehrheitlich Hindus lebten und Pakistan, mehrheitlich muslimisch. Bei Kämpfen und durch Flucht und Vertreibung von Muslimen und Hindus sollen mehr als eine Million Menschen ums Leben gekommen sein. Bis zu 20 Millionen verließen ihre Häuser.
Fürstenstaat Kaschmir bat um Indiens Hilfe
Und auch der Fürstenstaat Kaschmir, im Norden der beiden neu gegründeten Staaten, stand vor einem Problem: Dort lebten mehrheitlich Muslime, der damalige Herrscher, Hari Singh, allerdings war Hindu. Eigentlich wollte Singh unabhängig und neutral bleiben, aber dann griffen pakistanische Kämpfer seinen Fürstenstaat an. Singh sucht die Hilfe vom indischen Militär, als Gegenleistung unterschrieb er, Indien beizutreten. Es kam zum Krieg zwischen Indien und Pakistan, der bis zum Jahr 1949 dauerte und in einem Patt endete: Seitdem wird rund ein Drittel der Kaschmirregion von Pakistan kontrolliert, zwei Drittel von Indien. Nach einem weiteren Krieg zwischen Indien und China im Jahr 1962, steht auch ein kleiner Teil Kaschmirs unter chinesischer Kontrolle.
Täglich bewaffnete Auseinandersetzungen
Versuche, den Konflikt um die Region zu lösen, blieben bis heute erfolglos. Die Vereinten Nationen hatten einst empfohlen, eine Volksbefragung über die Zukunft der Region durchzuführen, eine solche hat aber nie stattgefunden. Stattdessen hat es mehrere Kriege zwischen Indien und Pakistan gegeben. Bei den meisten ging es um die Vorherrschaft in Kaschmir. Im Jahr 1972 haben beide Staaten den sogenannten Shimla-Pakt beschlossen und sich damit verpflichtet, ihre Meinungsverschiedenheiten auf friedlichem Weg nur durch gemeinsame Verhandlungen beizulegen.
Grenzpolizei in der Kaschmir-Region in Ramgarh. Der Zaun trennt das durch Indien kontrollierte vom pakistanisch kontrollierten Kaschmir.
Grenzpolizei in der Kaschmir-Region in Ramgarh. (dpa / AFP/epa)
Als Grenze mitten durch Kaschmir zieht sich die sogenannte Line of Control, sie soll eine Waffenstillstandslinie sein. Das ist sie aber de facto heute nicht, sagt der indische Professor für internationale Politik, Happymon Jacob:
"Seit vielen Jahren finden an dieser Grenze fast täglich bewaffnete Auseinandersetzungen statt. Alleine im letzten Jahr ist der Waffenstillstand fast 3000 Mal gebrochen worden. Ein einziger Bruch des Waffenstillstands kann bis zu 100.000 Schüsse bedeuten, mit unterschiedlichen Waffen, innerhalb von 24 Stunden. Alleine im letzten Jahr sollen auf der indischen Seite 30 Zivilisten getötet worden sein, rund 40 auf der pakistanischen Seite."
Gebirge in der Region Kaschmir
Kaschmir ist zwischen Indien und Pakistan geteilt und umstritten (AFP/Tauseef Mustafa)
Wirklich Frieden herrscht in der Kaschmirregion seit Jahrzehnten nicht mehr.
Kampf für Unabhängigkeit
Seit Ende der 80er-Jahre kämpfen Aufständische im indischen Teil um die Unabhängigkeit in der Region. Die Vereinten Nationen werfen allen Konfliktparteien Menschenrechtsverletzungen in Kaschmir vor. Es ist eine der Regionen, die weltweit am stärksten militarisiert ist. Und die beiden Erzrivalen Indien und Pakistan besitzen jeweils rund 150 Atomsprengköpfe. Im Februar dieses Jahres schien es fast, als ob es zu einem erneuten Krieg zwischen Indien und Pakistan kommen könnte. Bei einem Anschlag im indischen Teil Kaschmirs waren mehr als 40 indische Sicherheitssoldaten ums Leben gekommen. Kurz darauf hat Indien zum ersten Mal seit vier Jahrzehnten Bomben auf Pakistan abgeworfen. Jetzt könnte die Lage in Kaschmir wieder eskalieren. Die indische Regierung hat dem Bundesstaat Jammu und Kaschmir die Sonderrechte entzogen.
In der Region Kaschmir leben auch heute noch überwiegend Muslime, sie befürchten, dass die indische Regierung versuchen will, das zu ändern. Denn bislang durften Inder, vor allem Hindus, aus anderen Landesteilen in Kaschmir kein Land kaufen. Jetzt könnten sich mehr Hindus in der Region ansiedeln. Die Abschaffung der Sonderregelungen in Kaschmir wird auch die Spannungen zwischen beiden Erzrivalen Indien und Pakistan wieder erhöhen.