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Hitler als Bettvorleger

Lange wurde das Thema Holocaust in der Bildenden Kunst in Israel vermieden. Doch mittlerweile gibt es dort rund ein Dutzend Künstler, die sich mit der künstlerischen und humoristischen Verarbeitung von Holocaust- und Hitlerklischees beschäftigen. In Deutschland wäre das immer noch ein heikles Unterfangen.

Von Dorothea Marcus | 10.06.2007
    Yad Vashem, die nationale Gedenkstätte des Holocaust bei Jerusalem: ein riesiges Gelände, auf dem das Andenken an die Toten wachgehalten wird, mit einem Museum, aber auch mit empathisch inszenierten Gedenkräumen und Sakralmusik.
    "Ich kritisiere Yad Vashem. Natürlich gibt es eine Verantwortung, die Erinnerung weiterzutragen. Aber dennoch wird die Erinnerung dort auf unglaubliche Weise theatralisch inszeniert. Ich kann die Shoah nicht mit einer derartigen Geldverschwendung zusammenbringen. Die Furcht, dass der Holocaust wieder geschehen könnte, ist in Israel zu einer Ideologie geworden. Das Museum ist wie ein Disneyland, das mit den Emotionen spielt und nur eine Interpretation zulässt: Israel gehört uns. Es ist eine sehr straffe Staatsideologie, man hat keinen Platz darin."

    Der 51-jährige Künstler Boaz Arad lebt in Tel Aviv. Er war es, der auf der Art Cologne die Besucher mit einem Hitler-Bettvorleger schockierte. Mit seiner Kunst will er explizit gegen die Holocaust-Klischees in der israelischen Gesellschaft angehen, zum Beispiel, in dem er kurze Videofilme von Hitler zeigt. Manchmal entfernt er einfach den Bart, um Hitler menschlicher aussehen zu lassen. Manchmal verwandelt er ihn in einen Theodor-Herzl-Vollbart. Manchmal aber schneidet er aus den Silben von Hitler-Reden Friedensbotschaften an Israel zusammen - so wie in dem Video "Hebräischstunde": Frieden, Jerusalem, ich entschuldige mich--

    "Wir sind eine sehr gespaltene Gesellschaft, religiöse und säkulare, Menschen von Ost und West. Es gibt nur sehr wenige Dinge, die uns zusammenhalten, aber das Hitler-Bild gehört dazu. Hitler ist, wie Theodor Herzl, ein Vater unserer Gesellschaft. Offenbar brauchen wir gute und böse Väter. Wir haben eine Tradition von verschiedenen bösen Vätern: vom ägyptischen Pharao bis hin zum iranischen Präsidenten Ahmadinedschad. Unsere Gesellschaft braucht Feinde. Wenn ich Hitler thematisiere, spreche ich von uns, nicht von den Nazis aus dem Zweiten Weltkrieg."

    In seiner Installation "Leben und Tod der Eva Braun" hat der 44jährige Roee Rosen ein fiktives Großprojekt erfunden. In schwarz-weißen Comicbildern, mit kindlichen Scherenschnitten und Videofilmen lädt er uns dazu ein, eine einmalige Selbsterfahrung zu machen und selbst zu Eva Braun zu werden und mit ihr die letzten Momente im Führerbunker zu erleben. Im Stil von grotesken Max-und-Moritz-Comics sehen wir Eva Braun und Hitler in obszönen Posen. Eine Studie über Hannah Arendts Wort von der Banalität des Bösen.

    "Erleben Sie letzte ungewöhnliche Momente der Intimität mit Hitler und die ungewöhnliche Erfahrung des Todes im Leben. Und noch eine Höllenfahrt mit dazu."

    Als er sein Eva-Braun-Projekt das erste Mal im Israel-Museum in Jerusalem ausstellte, gab es einen erbitterten Skandal. Roee Rosen:

    "Als Eva Braun im Israel-Museum gezeigt wurde, verweigerte ich den PR-Leuten die Aussage, dass mein Vater ein Holocaust-Überlebender war. Denn meine eigene Erfahrung damit ist doch gar nicht so wichtig. Ich habe immer gedacht, eigentlich sollte jedes menschliche Wesen vom katastrophalen Ereignis Holocaust betroffen sein. Erst als ich von religiösen Parlamentsmitgliedern als Holocaust-Leugner beschimpft wurde, habe ich von meinem Vater erzählt. Ich fühlte mich attackiert, also musste ich meine Abstammung auf einmal als Waffe benutzen."

    Lange wurde das Thema Holocaust in der Bildenden Kunst in Israel vermieden, weil man glaubte, der richtige Weg damit umzugehen, sei die Stille. um die Unmöglichkeit der Repräsentation des unsagbaren Grauens zu zeigen und um auf die Unvergleichbarkeit des Zivilisationsbruchs von Auschwitz hinzuweisen. Doch mittlerweile gibt es in Israel rund ein Dutzend Künstler, die sich mit der künstlerischen und humoristischen Verarbeitung von Holocaust- und Hitlerklischees beschäftigen. In Deutschland wäre das immer noch ein heikles Unterfangen. Doch die Künstler der zweiten und zweiten Generation sind unbefangener geworden. Sie beschäftigen sich nicht mehr in erster Linie mit Gedenken, sondern mit Gegenwart.