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Hitler für junge Leser
Geschichten von Adolf H.

Bücher über Adolf Hitler gibt es schon viele. Etwas wirklich Neues wurde lange nicht veröffentlicht. Was bisher allerdings fehlte, war eine Hitler-Biografie explizit für junge Leser. Thomas Sandkühler, Experte für geschichtswissenschaftliche Didaktik, versucht mit "Adolf H., Lebensweg eines Diktators", diese Lücke zu schließen.

Von Monika Dittrich | 10.08.2015
    Adolf Hitler im September 1943
    Hitler im September 1943: Mit seiner neuen Biografie will Thomas Sandkühler vor allem junge Menschen über den Diktator und seine Gräueltaten aufklären. (dpa / picture alliance / Ullstein)
    Ein Gespräch mit seiner Tochter habe ihn auf die Idee zu diesem Buch gebracht, schreibt Thomas Sandkühler im Vorwort. Das Mädchen, damals Schülerin der Mittelstufe, hatte ihn auf einer langen Autofahrt ausgefragt: über Hitler. Seine Antworten waren die Grundlage für das Buch, das Sandkühler jetzt, Jahre später, vorgelegt hat. Das Gesagte aufzuschreiben, sei schwieriger gewesen, als anfangs gedacht, gibt der Autor zu. Das Ergebnis aber ist ein Gewinn: weil Sandkühler sich nicht zu schade ist, das zu erklären, was man bei dieser Zielgruppe nicht voraussetzen darf. Zugleich schreibt er mit der großen Ernsthaftigkeit und Genauigkeit des Historikers.
    "Der Titel dieses Buches, 'Adolf H.', soll darauf aufmerksam machen, dass zwischen Hitlers persönlicher Lebensgeschichte und seiner Wirkung als Politiker ein erheblicher Unterschied bestand. Man kann durchaus daran zweifeln, ob dieses Leben alssolches überhaupt erzählenswert ist."
    Sandkühler nimmt seinen Lesern gleich zu Anfang die Sorge, die komplexe NS-Geschichte vielleicht nicht zu verstehen. Das Monster Hitler war ein Mensch und zwar nicht einmal ein besonders beeindruckender. Und so schildert der Autor, wie aus dem gescheiterten Kunststudenten, dem Außenseiter im Männerwohnheim ein "zwanghafter Antisemit" wurde, der im "Dunstkreis rechtsradikaler Ideologien" aufblühte, der mit "Intrige und Gewalt" die Macht in der zunächst unbedeutenden NSDAP an sich riss.
    "Hitlers blitzartiger Aufstieg (...) zum Starredner der NSDAP verwandelte auch seine Ideologie und sein Selbstverständnis. Mit der Zeit glaubte er selbst an die antisemitischen Botschaften, die er von sich gab. Und da er ungeheuren Erfolg hatte, fühlte Hitler sich (.) zu Höherem berufen – zum Führer."
    Dem die Verführten bald massenweise folgten. Sein Herrschaftsinstinkt machte ihn zum Hoffnungsträger für Millionen. Und das Führerprinzip brachte zahllose "kleine Führer" hervor:
    "Man wusste (.), dass Hitler stets die radikalste Lösung bevorzugte. Daher war die Verfolgung von Gegnern das Gebiet, auf dem man sich am besten hervortun konnte. Im Streben um Macht und Einfluss überboten sich die Funktionäre gegenseitig mit Vorschlägen für die Verschärfung der Politik. Im Führerstaat Hitlers fielen sämtliche Sicherungen fort, die als Bremse gegen diese Radikalisierung hätten wirken können. Dies ist ein wichtiger Teil der Erklärung, warum der NS-Staat so verbrecherisch war."
    Erstklassige Empfehlung für junge Leser
    Sandkühler unterfüttert den "Lebensweg eines Diktators", wie sein Buch im Untertitel heißt, mit dem historischen Wissen, das jüngere Leser brauchen, um die Biografie Hitlers zu erfassen: Knapp und verständlich schildert er den Niedergang der Weimarer Republik und die Machtergreifung der Nationalsozialisten, den SS-Staat und die Kriegsvorbereitungen. Er fasst zusammen, verdichtet und verzichtet trotzdem nicht auf neueste Ergebnisse und Kontroversen der historischen Forschung. Besonders eindrücklich ist das Kapitel über den "Massenmörder" Adolf Hitler, in dem Sandkühler die Verbrechen der Nationalsozialisten beschreibt: Euthanasie, Vernichtungskrieg, Holocaust.
    "Alles in allem kann man sagen, dass die meisten Deutschen viel über das Schicksal der Juden hätten wissen können, überwiegend aber nicht daran interessiert waren, mehr zu erfahren. Denn dies hätte zur Voraussetzung gehabt, die verbrecherische Rolle des 'Führers' und die eigene Verstrickung schonungslos zu betrachten."
    Der Mann, der für unerträgliche Menschheitsverbrechen verantwortlich ist und die Welt in einen zerstörerischen Krieg stürzte, war zugleich ein Mensch mit merkwürdigen Lebensgewohnheiten. Es wirkt wie ein schmerzhaftes Kontrastbild, wenn Sandkühler über den privaten Hitler schreibt, über den faulen Kriegsherrn, der nachts Micky-Maus-Filme anschaute, über seine Beziehungsunfähigkeit, die Liebe zu seinem Hund "Blondi" und seine Weigerung, auch nur eine einzige von Bomben zerstörte Stadt zu besuchen. Am Ende ist aus dem frenetisch bejubelten Führer ein angeschlagener "Höhlenbewohner" geworden, der seinem Leben im Bunker ein Ende setzt. Wirklich tot ist er aber nicht – im Gegenteil. Hitler sei mittlerweile zu einem Popstar geworden:
    "Der 'Führer' führt längst ein Eigenleben. Er ist aus dem geschichtlichen Zusammenhang des NS-Staates herausgetreten. Hitler ist zu einem Untoten geworden und wird, wenn nicht alles täuscht, auch in Zukunft durch die Köpfe der Nachgeborenen geistern."
    Doch wer wird das Hitler-Bild in diesen Köpfen zukünftig prägen? Sandkühler setzt sich in seinem letzten Kapitel mit dem untoten Hitler auseinander, der Quote und Auflage bringt. Geschichtsfernsehen, Kitsch-Kino und Comics: Das dürfen nicht die dominierenden Informationsquellen bleiben, wenn künftige Generationen eine ernsthafte Vorstellung von der NS-Zeit bekommen sollen. Thomas Sandkühlers Buch ist deshalb eine erstklassige Empfehlung für junge Leser, die Fragen an die deutsche Geschichte haben – so wie einst seine eigene Tochter.
    Thomas Sandkühler: "Adolf H., Lebensweg eines Diktators", Hanser Verlag, 350 Seiten, 19,90 Euro