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Hito Steyerl und Joan Jonas
Postapokalyptische Reise

Blick in die ungewisse Zukunft: Der Neue Berliner Kunstverein zeigt Videoinstallationen von Hito Steyerl. Zeitgleich läuft eine Ausstellung mit frühen Arbeiten von Joan Jonas. Die Gegenüberstellung beweist: Die 30 Jahre ältere Künstlerin nahm Steyerls Themen vorweg.

Von Carsten Probst | 23.11.2019
Die Künstlerin Hito Steyerl in Venedig (Italien) auf der Biennale 2015.
Die Künstlerin Hito Steyerl zeigt im Neuen Berliner Kunstverein unter anderem ihrem Videoarbeit "This is the Future" (picture alliance / dpa / Felix Hörhager)
Für einen Augenblick scheint die entschlafene Nachwende-Berliner Clubkultur wieder auferstanden zu sein. Hito Steyerl hat die Ausstellungshalle des Neuen Berliner Kunstvereins in eine große Black Box verwandelt. Die treibenden Technobeats begrüßen das Publikum, wenn auch nicht zu laut, und wenn sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, lodert die Wand des Vorraums als überdimensionaler Bildschirm auf, und in verflüssigten Konturen macht sich eine Protagonistin auf, einen in der Zukunft versteckten Garten zu finden.
Wie in einem dystopischen Videospiel gleitet man durch die feuchten Silhouetten Venedigs auf einen unbekannten Horizont zu, als die Leinwand plötzlich transparent wird und den Blick freigibt auf den Saal dahinter mit der 8-Kanal-Videoinstallation "Power Plants". Hier wachsen und lodern in HD-Qualität von künstlicher Intelligenz berechnete Zukunftspflanzen, denen über eingeblendete Schriftzüge allerlei politische, ökologische und medizinische Kräfte zugeschrieben werden.
Zu wenig Platz, um sich zu verlieren
Das Publikum kann über eine App zusätzliche Texte im Raum einblenden, aber anders als in den weiten Hallen auf der diesjährigen Biennale in Venedig oder der Londoner Serpentine Gallery, wo die Arbeit schon gezeigt wurde, ergibt sich hier in den engen Räumen kaum die Gelegenheit, sich in der Installation zu verlieren. Hito Steyerl geht es hier auch eher um Programmatisches. Im hinteren Bereich hat sie eine Art Mini-Parlament aufbauen lassen. Marius Babias, Programmdirektor des nbk, erklärt, wie Hito Steyerl dort mit anderen Künstlern in einem Online-Vortrag ihre Bestandsaufnahme der jüngsten Ost-West-Vergangenheit unternimmt:
Marius Babias: "... dreißig Jahre nach dem Mauerfall zu erkunden, wie es dazu kommen konnte, dass speziell in osteuropäischen Ländern durch den entfesselten Neoliberalismus Oligarchen an die Macht kamen, die sich bevorzugt mit Balenciaga kleiden, wie also die dort entwickelten Modelle in Osteuropa der Selbstbereicherung, der Machtakkumulation für eine dünne Elite, wie das zurückschlägt in den alten Westen und wir hier auf einmal Trump und andere Populisten haben – wo in den neuen Territorien im Osten das erprobt worden ist, als erfolgreiches Geschäftsmodell, sag ich mal, kommt das sozusagen durch die Hintertür zu uns zurück."
Lebensgefühl der Fridays-for-Future-Generation
Mode, Konsum und Pseudodemokratie: Das Parlament halb als Laufsteg und halb als Richtstätte des öffentlichen Willens. Mikrofonständer mit Knochen statt Mikrofonen halten dem Demos als Souverän nur noch die Knochen der Pseudopartizipation hin, ein Raunen von Entmündigung und Zukunftsangst weht durch den Saal - das Lebensgefühl der freitagsbewegten Jugendkultur.
Wie gut, dass es Joan Jonas gibt, die Grande Dame der Videoperformance, der der Neue Berliner Kunstverein zeitgleich eine kleine, aber wunderbare Retrospektive zu ihrem Frühwerk widmet.
Marius Babias: "Sie ist wiederum für Hito Steyerl eine wichtige Referenzfigur aus der analogen Zeit, als sozusagen Bild und Text in einem anderen, ausgewogenen, kritischen Verhältnis zueinander standen, wie du also mit dem Begriff das Bild vielleicht noch zähmen kannst, es kritisieren kannst..."
Joan Jonas nahm Steyerls Themen vorweg
Joan Jonas, 1936 geboren, ist genau dreißig Jahre älter als Hito Steyerl, und hat zahlreiche Themen vorweggenommen, die Steyerl nun in die Welt der virtuellen Welterfahrung übersetzt. Vor allem Jonas' im Rahmen einer Performance live produziertes Video "Brooklyn Bridge" von 1988 vereint Fotografie, Zeichnung, Musik und Videoperformance zu einem neuen, eigenen Bildmedium.
Das New Yorker Wahrzeichen, die Brooklyn Bridge, schwankt und fließt in teigigen Formen und verwandelt sich dem Fluss und den Schiffen an, während zugleich mythische Zeichnungen über den Film huschen. Jonas' Farbvideo "Double Lunar Dogs" entwirft eine postapokalyptische Reise in einem Raumschiff, dessen Besatzung die Vergangenheit längst vergessen hat und ihr Ziel in der Zukunft nicht kennt. Plötzlich wirkt an Hito Steyerls Installation nur noch die Technik neu.