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Hitzewelle und Arbeit
Ökonom Hickel: "Wir müssen das Arbeitsrecht neu denken"

Der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel fordert angesichts der anhaltenden Hitze, das Arbeitsrecht zu reformieren. Es müsse über ein Recht auf Hitzefrei nachgedacht werden, sagte er im Dlf. Auch über Modelle wie Siesta in der Mittagszeit und Sommerausfallgeld müsse nachgedacht werden.

Rudolf Hickel im Gespräch mit Dirk Müller | 26.07.2019
Der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel spricht auf dem SPD-Landesparteitag 2011 in Bremen
Bei dieser Hitze draußen zu arbeiten, sei "ganz klar unzumutbar", sagte der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel im Dlf (dpa / picture alliance / Ingo Wagner)
Dirk Müller: Hitzerekorde – über 40 Grad in Deutschland, absolute Trockenheit, Dürre, Flächenbrände, nicht nur in Rheinland-Pfalz. Viele Felder sind dort völlig abgebrannt. Selbst nördlich des Polarkreises, lesen wir jetzt, brennen die Wälder. Auch heute bleibt es heiß, 35 bis 40 Grad. Die Bahn hat wieder Schwierigkeiten zu verkehren. Die Weichen verbiegen sich. Alle, die draußen arbeiten müssen, stöhnen, schwitzen, haben große Schwierigkeiten, Leistung zu bringen. Viele Beschäftigte in den Büros klagen auch, viel zu heiß, keine Ventilatoren, keine Klimaanlage, zu lange Arbeitszeiten. Deutschland und das Wetter – und Demonstrationen.
Die Gluthitze in Deutschland, wie steht es mit dem Arbeitsschutz im Sommer, also was tun gegen die Hitze, wenn wir arbeiten müssen – unser Thema mit dem Bremer Wirtschaftswissenschaftler Professor Rudolf Hickel. Guten Tag!
Rudolf Hickel: Guten Tag, Herr Müller!
Müller: Brauchen wir ein Recht auf Hitzefrei?
Hickel: Ja, wir brauchen dringend vor allem eine Reform des Arbeitsgesetzes, des Arbeitsgesetzes der Arbeitsstättenverordnung und vor allem der Arbeitsstättenregel. Warum? Wir spüren jetzt, dass diese Klimakatastrophe, die sich in der Wetterlage, in der heißen Wetterlage zum Ausdruck bringt, von der wir wissen, dass sie länger andauert, das ist nicht mal so ein konjunkturelles Phänomen, das dann wieder verschwindet, sondern wir müssen uns drauf einstellen. Wir sehen, wenn wir das jetzt konfrontieren mit dem Arbeitsrecht und mit den Bedingungen, die für die Beschäftigten, vor allem die 2,4 Millionen, die unmittelbar im Freien arbeiten, wenn man sich das anschaut, dann ist das Arbeitsrecht völlig veraltet. Gewisser Weise zwingt die Klimakatastrophe, ein völlig neuer Zungenschlag, zu einer neuen vernünftigen Regulierung der Arbeit in dem Bereich.
Müller: Also die Situation jetzt, die sich ja gesetzlich, wie Sie gerade gesagt haben, ja noch nicht verändert hat in den vergangenen Jahren, ist für viele Arbeitnehmer aus Ihrer Sicht ganz klar unzumutbar?
Hickel: Nein, das ist ganz klar unzumutbar, das würde ich jetzt auch nicht mal dem Gesetzgeber zum Vorwurf machen, sondern wir müssen uns auf die neuen Herausforderungen einstellen. Wir haben bisher immer bei der Klimakatastrophe geschaut, wie wir die Natur, wie wir das Klima, wie wird das belastet, und jetzt schauen wir mal, welche Folgen das eigentlich für die Beschäftigten hat. Wenn wir von der von mir zitierten Arbeitsstättenverordnung reden, da gibt es erst mal grundsätzlich keinen Anspruch, keinen Rechtsanspruch auf Hitzefrei, und dann ist da ein kompliziertes Reglement, dass ab 26 Grad der Unternehmer etwas unternehmen muss, ab 30 Grad wird es verpflichtend, und bei 35 Grad können bestimmte Räume nicht mehr benutzt werden, aber dafür muss der Beschäftigte im Betrieb bleiben. Deshalb sind die zwei Forderungen, die jetzt auch schon angesprochen worden sind, völlig richtig. Wir brauchen erstens – kommt ursprünglich von der IG Metall – die Idee des Sommerausfallgeldes, das heißt also, wenn Menschen, wenn Beschäftigte auf der Baustelle um elf Uhr gehen müssen, weil es zu heiß wird, dass sie dann für die Restzeiten Ausfall bekommen. Das ist im Grunde genommen die spiegelbildliche Regelung für das Wintergeld.
Müller: Also zum Schlechtwettergeld.
Hickel: Schlechtwettergeld, ganz genau. Das Zweite ist der Vorschlag von Frau Buntenbach vom DGB, eine Siesta einzuführen. Das klingt jetzt so ein bisschen viel zu gemütlich, dafür ist die Herausforderung viel zu groß, ist aber auch richtig, da die Arbeitszeiten neu zu strukturieren, früher anzufangen, eventuell dann später auch aufzuhören. Die Idee der Grünen, wie ernst die jetzt auch gemeint ist, das muss man sich genau mal anschauen, wir müssen in diesem Regulierungsprozess der Beschäftigten zugunsten der Beschäftigten, am Ende auch zugunsten der Wirtschaft, des Funktionierens der Wirtschaft, müssen wir ein Recht auf Hitzefreiheit in irgendeiner Art anbauen. Es gibt natürlich viele Vorformen, beispielsweise, weiß ich selber aus meinem Bekanntenkreis von kleineren Unternehmen, die bringen jetzt Rollos, Jalousien an, teilen Wasser auf, machen Nachtauskühlung.
Da gibt es viele Maßnahmen unterhalb der Schwelle, sozusagen Beschäftigten die Möglichkeit zu geben, die Beschäftigung einzustellen, aber da muss man ran, und ich hoffe, dass wir unter dem Stichwort gute Arbeit eine vernünftige Regulierung finden.
Ein Bauarbeiter schaufelt Kies am 01.07.2015 in Berlin. 
Der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel hat sich im Dlf für flexiblere Arbeitszeiten während Hitzeperioden ausgesprochen (picture alliance / dpa/Florian Gaertner)
"Das sind die bitteren Kosten der Klimakatastrophe"
Müller: Ich habe noch andere Stichworte: Homeoffice, mehr Homeoffice zum Beispiel, wobei bei vielen ist es zu Hause ja genauso warm wie im Büro, oder Hitzearbeitszeitkonten, das haben Sie ja zum Teil ja auch schon angesprochen, Herr Hickel. Aber für Sie ist es in der Argumentation ja offenbar ganz klar, aufgrund der veränderten Verhältnisse muss es diese Anpassung geben. Das heißt aber de facto ja auch, in Sommermonaten, in Sommerwochen, wie lange die auch immer gehen, es wird weniger gearbeitet. Wer kann sich das leisten?
Hickel: Ja, das ist aber die schlichte Folge - das ist nicht die Folge der Beschäftigten, die im Grunde genommen Bedingungen bekommen, damit sie mit der Hitze einigermaßen klarkommen, sondern das ist der Preis, das sind die bitteren Kosten der Klimakatastrophe. Es ist mal wieder ganz traurig, wir haben ja auch … Ich gehöre zu denen, die sehr früh vor der Klimakatastrophe gewarnt haben, ich habe sehr früh immer schon gesagt, bereits in den 70er-Jahren, dass die Klimakatastrophe, wenn sie so kommt, dass sie natürlich auch die größte Bedrohung, im Grunde genommen die größte Belastung der Wirtschaft werden wird. Da sind wir mittendrin.
Müller: Also können wir uns vom Bruttoinlandsprodukt, jetzt von unseren Zahlen verabschieden in den nächsten Jahren.
Hickel: Wir müssen sagen, wir haben jetzt immer bei den Zahlen, die wir machen, wir werden künftig auch andere Prognosen machen, obwohl die einfacher werden, weil sich ja nicht mehr so … dass wir etwa wie im Jahr 2015 jetzt längere Phasen oder mehrere Phasen von Hitzewellen einplanen müssen, sondern ich gehe davon aus, dass jetzt das ganze Wirtschaftssystem – das ist ja die Idee, sonst würden wir ja auch nicht so ernsthaft über die Regulierung der Arbeitsbedingungen reden –, die gesamte Wirtschaft muss sich drauf einstellen, dass dies sich nicht verändern wird, dass wir in den nächsten Jahren – das zeigen uns auch die Klimamodelle – drauf einstellen müssen.
Es wird Wirtschaftswachstum kosten, das ist der Preis, der leider sozusagen Jahrzehnte später dafür bezahlt worden ist, dass man so getan hat, als sei die Umwelt eine Gratisproduktivkraft, die man mal so schnell mitnehmen könnte. Das ist nicht der Fall.
Müller: Wenn wir beide dieses Interview jetzt in Kalifornien zum Beispiel führen würden auf Englisch, und jeder hätte dort zugehört, dann würden die uns den Vogel zeigen und sagen, sag mal, wo ist das Problem, bei uns ist es auch heiß, und wir arbeiten auch produktiv.
Hickel: Ja, aber in Kalifornien gibt es auch ein Reglement. Die meisten, die großen, die ganz großen Spitzenkonzerne der Digitalisierung, die haben natürlich alles abgekühlte Räume, die sind davon nicht betroffen, aber der Bauarbeiter oder der Straßenarbeiter, der ist natürlich in Kalifornien in ähnlicher Weise betroffen.
Ich würde mal sagen, egal wie es da reguliert ist im Einzelnen, wir haben jetzt die eigene Aufgabe. Wir haben ja auch mit der Mitbestimmung, mit dem Verständnis von fairer Arbeit, von guter Arbeit Voraussetzungen zu sagen, wir müssen das für uns regeln. Eins ist klar, je besser wir das hinbekommen, je besser wir im Grunde genommen die Arbeitsbedingungen, schlichtweg auch dafür sorgen, dass Arbeitskräfte durch Sonnenbelastung nicht belastet werden durch Hautkrebs, je mehr uns das gelingt, umso besser sind auch die mittelfristigen Voraussetzungen für die Wirtschaft. Also es ist ein Beitrag in die Zukunft, aber unter dem bitteren Druck sozusagen der Klimakatastrophe.
"Das ist der absolute Teufelskreis"
Müller: Jetzt sagen Sie, Herr Hickel, das ist ja da kein Problem, da ist viel klimatisiert, zumindest ja die Dinge, die in Büros, in Lagerhallen, wie auch immer, stattfinden, aber das ist ja auch wieder schlecht für das Klima. Da zuckt man ja hier heutzutage in Deutschland ja schon fast zusammen, wenn man über Klimaanlagen redet. Dabei machen Klimaanlagen Arbeiten angenehmer.
Hickel: Ja, das ist natürlich klar. Das ist der absolute Teufelskreis. Wir haben ja nicht die große Lösung, es gibt nicht sozusagen die Lösung zum Zerschlagen des gordischen Knotens, aber da gibt es eine Teilantwort, die wir ja auch versucht haben in Deutschland durchzusetzen, auch durch die Protestbewegung. Wir haben einen Umstieg aus der fossilen Energie in die Windenergie, in die Solarenergie. Da sage ich klipp und klar, diese Energien, die werden jetzt auch gerade unter den neuen Herausforderungen noch mal doppelt bedeutsam, weil ich dann dafür sorgen kann, dass Arbeitsplätze auch einigermaßen klimatisiert werden, aber nicht mit Strom, der mit Kohle produziert wird.
"Wir müssen das Arbeitsrecht neu denken"
Müller: Aber das dauert ja noch ein bisschen. Das heißt also, in den nächsten zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren müssen viele noch schwitzen unnötig, weil wir konsequent sind, weil wir umweltpolitisch sensibel sind, und schließen das im Grunde dann aus.
Hickel: Wir müssen überhaupt erst mal uns politisch drauf einstellen. Wir müssen das Arbeitsrecht neu denken, die ganzen Arbeitsbedingungen völlig neu denken. Ich weiche da auch in gewisser Weise von einer Position der Grünen etwas ab, zu sagen, das soll man einzeln lösen. Wir wissen einfach klar, das Recht auf Arbeit, das Recht auf gesunde Arbeit, das Recht auf Schutz vor belasteter Arbeit ist am Ende ein Recht, das muss gesetzlich durchgesetzt werden verbindlich für die Unternehmen. Ich sage es jetzt noch mal, ohne es jetzt länger hier ausführen zu können: Diese Politik ist am Ende auch eine Stärkung des Standorts, weil wenn wir so weitermachen.
Wir haben beispielsweise 2017 allein 40.500 Fälle von klimabedingten Krankheitsfällen bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Das wird auch noch deutlich zunehmen. Dann sind das alles Maßnahmen im Grunde genommen, wenn Sie so wollen, ganz schlicht traditionell formuliert, die Arbeitskräfte so zu halten und zu motivieren, dass sie unter den neuen Bedingungen, dass die Wirtschaft weiterläuft und nicht zusammenbricht.
Hickel: Wir müssen das Problem der Arbeitszeitflexibilisierung angheen
Müller: Herr Hickel, jetzt haben wir noch eine halbe Minute, ich will das trotzdem noch fragen. Sie gelten ja als arbeitnehmerfreundlich, das haben wir auch alle gehört, da hat jetzt keiner ehr Zweifel dran. Arbeitszeitkonten, das war noch ein Stichpunkt. Also könnten wir uns darauf einigen, sechs Stunden im Sommer, zehn Stunden im Winter?
Hickel: Das könnte sein. Das würde ich nicht generell sagen, aber von Branche zu Branche, wir müssen da relativ genau hinschauen auf die Branchen. Wo das machbar ist, ist es in der Tat möglich. Eine Arbeitszeitflexibilisierung gibt es ja schon mit dem Vorschlag des DGB zu sagen, etwas früher anfangen zu arbeiten, die Mittagspause zu verlängern. Also wir werden auch mit Instrumenten – das ist ganz wichtig, da haben wir ja auch viel Erfahrung, in Deutschland gute Erfahrungen – der Arbeitszeitflexibilisierung an das Problem rangehen müssen, in der Tat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.