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Hitzewellen im Weltall
Wie sich die Jupitermonde gegenseitig durchkneten

Auf einigen der Jupitermonde wird flüssiges Wasser vermutet. Lange glaubten Astronomen, der Riesenplanet selbst würde diese Monde mit seiner Anziehungskraft "durchkneten" und dafür sorgen, dass das Wasser unter der Oberfläche flüssig bleibt. Doch nun zeigt sich: Es ist nicht Jupiter - es sind die Monde selbst.

Von Guido Meyer | 18.12.2020
Die vier größten Jupitermonde: Io, Europa, Ganymede und Callisto, die sogenannten Gallileischen Monde
Die vier größten Jupitermonde: Io, Europa, Ganymede und Callisto (NASA / JHU-APL / Southwest Research Institute /dpa)
Alle sechs Stunden. Das Wasser kommt; das Wasser geht. Ebbe und Flut.
"Die meisten von uns sind mit steigenden und fallenden Meeresspiegeln vertraut. Die Ozeane auf der Erdoberfläche werden vom Mond angezogen. Diese ‚Wasserbeule‘ wandert um unseren Planeten herum. Sie ist dabei immer zum Mond ausgerichtet."
Antony Trinh vom Lunar and Planetary Lab der Universität von Arizona erklärt die Gezeitenreibung. Die funktioniert nicht nur mit unserem Mond und den Ozeanen auf der Erde. Auch andere Monde im Sonnensystem üben eine Anziehung auf alles in ihrer Nähe aus – zum Beispiel die Monde des Gasriesen Jupiter, ergänzt der Planetenwissenschaftler Hamish Hay vom kalifornischen Jet Propulsion Laboratory.
"Wie stark solche Gezeitenkräfte sind, hängt von der Masse des Körpers ab, der sie verursacht. Nach Jupiter selbst sind die massereichsten Körper im Jupitersystem die vier Galileischen Monde."

Ganymed ist sogar größer als Merkur

Und das sind – von innen nach außen – Io, Europa, Ganymed und Callisto. Dies sind keine kleinen Monde. Sie sind ungefähr so groß wie der Erdmond – oder größer. Ganymed ist sogar größer als der Planet Merkur. Und dennoch:
"Wir hatten nicht gedacht, dass Monde, die über 10- bis 40.000-mal weniger Masse verfügen als Jupiter, einen solchen Einfluss haben könnten. Aber gemäß unserer Studien scheint es so, als dass die Gezeitenkräfte, die die Monde Jupiters aufeinander ausüben, mögliche Ozeane unter ihrer Oberfläche flüssig halten können."
Antony Trinh und andere Geologen glauben, dass sich unter dem kilometerdicken Eispanzer dieser Monde ein noch dickerer Ozean aus flüssigem Salzwasser verbirgt. Damit der nicht auch zufriert, bedarf es einer Energiezufuhr von außen. Bislang dachten Wissenschaftler, dass die Anziehungskraft Jupiters dazu ausreichen dürfte. Aber stimmt das auch?
"Die Kräfte, die Jupiter ausübt, sind gleichmäßig. Sie verändern sich nicht. Die Monde hingegen kreisen um Jupiter. Ihre Positionen verändern sich also. Manchmal sind sie nah zusammen; zu anderen Zeiten befinden sie sich weit entfernt, auf der gegenüberliegenden Seite des Planeten. Immer dann, wenn zwei Monde sich nahekommen, erreicht die gegenseitige Anziehungskraft zwischen ihnen ein Maximum. So versetzt beispielsweise Ganymed seinem Nachbarmond Europa einen Tritt, jedes Mal wenn die beiden aneinander vorbeiziehen."

"Europa sieht dann aus wie ein Rugbyball"

Dieser "Tritt" hebt und senkt die Eiskruste, den Wasserozean darunter, den Meeresgrund und selbst die Gesteinsschicht im Innern des Mondes. Ein solch kurzzeitiges Heben und Senken setzt Wärme frei. Und diese Wärme halte den Ozean flüssig, glaubt auch Hamish Hay.
"Die Gezeitenkräfte, die von Ganymed auf Europa ausgehen, ziehen Europa regelrecht auseinander. Er sieht dann aus wie ein Rugbyball. Der Ozean und die Eisschicht darüber verformen sich ebenfalls. Und der Mond reagiert auf diese Deformation."
Indem er Hitze freisetzt, die das Wasser flüssig hält. Nur ein kurzzeitiger gravitativer Einfluss eines vorbeischwebenden Himmelskörpers soll dazu imstande sein. Trotz seiner Größe – Jupiter selbst sei nicht in der Lage, solche Hitzewellen zu erzeugen, glaubt auch Antony Trinh.
"Ozeane mit einer Tiefe von mehreren Dutzend Kilometern können nur von einer Kraft in Bewegung gesetzt werden, die schnell und nur für kurze Zeit auftritt. Jupiters immerwährende, gleichbleibende Anziehungskraft könnte nur Wassermassen in Bewegung setzen, die seichter sind, vielleicht ein paar Hundert Meter."
Ob in diesen flüssigen Wasserozeanen möglicherweise sogar Leben existiert, das sollen in wenigen Jahren amerikanische und europäische Raumsonden erkunden. Sie werden derzeit für Missionen ins Jupitersystem vorbereitet.