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Hochschul-Kooperation in München
Philosophie und Ethik für Technik-Studierende

Autonome Waffensysteme, Bio-Engineering und Künstliche Intelligenz: Bei vielen neuen Technologien geht es nicht nur um Möglichkeiten, sondern auch um Verantwortung. Studierende der TU München können deshalb in Zukunft Lehrveranstaltungen in Philosophie belegen.

Von Michael Watzke | 30.10.2019
Studenten stehen vor dem Eingang der TU München.
Im Zentrum einer TU-Studiums steht Fachwissen - aber die Absolventen sollten nicht als reine Technik-Nerds in den Beruf einsteigen (imago/Joko)
Der Sohn von Thomas Hofmann, dem neuen Präsidenten der Technischen Universität München, macht nächstes Jahr Abitur. Neulich, so Hofmann, habe der Junior dem Vater achselzuckend gestanden:
"'Mensch, eigentlich weiß ich gar nicht, was ich später machen will. Mich interessiert die Philosophie sehr. Mich interessiert aber auch das Engineering, das Ingenieurwesen.' Da habe ich zu ihm gesagt: 'Mensch, da bist Du genau richtig! Wir haben genau diese Brücke vor.' Es muss Möglichkeiten geben, dass man beides miteinander vereinbart!"
Diese Brücke von Naturwissenschaft und Technik zu Philosophie und Ethik will die TU München unter Thomas Hofmann mit einem sehr viel kleineren Partner bauen: der Münchner Hochschule für Philosophie (HFPH).
"Wir hatten bereits gute Erfahrungen in der Vergangenheit. Die Chemie zwischen den Hochschulen muss stimmen, und die stimmt zwischen uns sehr gut. So eine Öffnung hat ja auch was mit Vertrauen zu tun. Wir glauben beide an den Erfolg. Das macht man mit dem Partner, der in die gleiche Richtung denkt, die gleichen Vorstellungen hat."
Nachdenken über das Verhältnis Mensch-Maschine
In Zukunft sollen den 40.000 Studierenden der TUM einzelne Lehrveranstaltungen der HFPH offenstehen, die gerade mal 500 Studenten hat. Sogar das Philosophikum sollen die TUM-ler bei den Philosophen absolvieren können, sagt deren Präsident Johannes Wallacher. Er will den Gästen aus Garching die uralten Fragen der Philosophie im Kontext der modernen Naturwissenschaften näherbringen:
"Was ist der Mensch im Verhältnis zur Maschine? Was ist menschliches Handeln, wenn wir heute davon sprechen, dass Maschinen angeblich handeln? Wie frei ist der Mensch in diesem Kontext noch? Diese Fragen haben einen enormen Push, eine echte Renaissance. Das sind die Fragen, die die Leute mitbringen!"
Absolventen sollen keine technischen Nerds sein
Bisher sind gerade mal 13 TUM-Studierende in den entsprechenden Veranstaltungen der Hochschule für Philosophie eingeschrieben. Diese Zahl könne nur ein Anfang sein, sagt Hofmann:
"Wir wollen das zu einem signifikant wirksamen Programm machen. Weil wir eben glauben, dass die erfolgreichen Studierenden von morgen, die sich später im Beruf bewegen, keine technischen Nerds sein dürfen, sondern gesellschaftspolitisches Gespür haben. Die wollen sich mit dem Sinn des Lebens beschäftigen, mit der Existenz. Und die müssen auch ethische Fragestellungen beleuchten."
Ethik-Nachholbedarf in der deutschen Industrie
Wie nötig das ist, zeigen die vielen Skandale in der deutschen Industrie und Wirtschaft der letzten Jahre. Etwa der Diesel-Betrug deutscher Automobil-Ingenieure, den TUM-Präsident Hofmann als extrem schädlich für den Standort betrachtet:
"Da gerät am Ende - wenn das öfter vorkommt – langfristig der gute Ruf der deutschen Ingenieure unter die Räder, der über Jahrzehnte für Präzision und hohe Qualität stand. Die jungen Leute wollen das nicht. Die wollen Impact generieren, aber nicht auf Teufel komm raus."
Charakterbildung statt purer Wissensvermittlung
Das Interesse der angehenden Ingenieure und Naturwissenschaftler an philosophisch-ethischen Fragestellungen sei in den vergangenen Jahren extrem gewachsen, behauptet Hofmann. Und sein Münchner Kollege Johannes Wallacher glaubt an die Aufgeschlossenheit der Studenten:
"Die lassen sich auch mal in dem vorgefertigten Weltbild erschüttern, das sie haben. Als Philosophen durch die Technik – und umgekehrt. Das ist eine große Herausforderung an unser Bildungs-Verständnis. Da haben wir natürlich über die Jahrhunderte als jesuitische Hochschule einen besonderen Ansatz. Und vielleicht hilft das – zumindest ist uns das wichtig: akademische Bildung ist nicht nur Wissensvermittlung, sondern versucht den ganzen Menschen in seiner Charakterbildung in den Blick zu nehmen."
Positives Echo aus den Unternehmen
Ob die deutsche Industrie über diese Entwicklung glücklich ist? Sind dort nicht vielleicht eher fachlich top-ausgebildete Ingenieure gefragt, die nicht zu viel nachfragen? Nein, behauptet Hofmann. Er bekomme aus den Chefetagen großer Unternehmen positives Echo auf seine Initiative:
"…wenn auch jeder sagt: das ist nicht ganz leicht. Denn das bedeutet auch für uns als Technische Uni, dass wir jetzt z.B. im Studiengang Maschinenwesen einen signifikanten Anteil an geistes– und gesellschaftswissenschaftlichen Fragestellungen mit reinbringen, die davor nie auf dem Tablett waren."
Die entscheidende Frage wird sein: welche Vorteile haben TUM-Studierende, die Philosophie-Veranstaltungen buchen? Denn schon jetzt klagen etwa Maschinenbauer, das Studium laste sie zu mehr als 100 Prozent aus. Hier braucht es studentischen Freiraum, der sich auch in Credits auszahlt. Sonst ist die neue Philosophie-Offenheit der TU München nicht mehr als ein hübscher Anstrich.