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Hochschule im Exil

Im Sommer 2004 ließ Präsident Alexander Lukaschenko die Europäische Humanistische Universität (EHU) in Weißrussland schließen. Sie war in seinen Augen "zu westlich". Im Oktober vergangenen Jahres nahm die EHU im Nachbarland Litauen ihren Lehrbetrieb auf. Sie richtet sich ausschließlich an junge Weißrussen und soll bald unter dem Namen "EHU International" registriert werden.

Von Matthias Kolb | 06.02.2006
    Sonntagvormittag in der Romeris-Universität in einem Randbezirk von Vilnius: Während die litauischen Studenten ihr Wochenende genießen, sitzen etwa 270 junge Weißrussen in Seminaren über Kunstgeschichte, Journalismus, Jura oder Kulturwissenschaft. Wegen der Raumnot wird an der Europäischen Humanistischen Universität (EHU) auch am Sonnabend und am Sonntag unterrichtet, dafür ist der Montag frei. Dann fahren viele zurück nach Weißrussland: Die Grenze ist nur 40 Kilometer entfernt, der Zug nach Minsk braucht vier Stunden. Viele der insgesamt 120 Dozenten reisen aus der Hauptstadt an, die Studenten hingegen leben im Wohnheim in Vilnius. Die 22 Jahre alte Olga beschreibt die Studienbedingungen:

    "Wegen der laufenden Registrierung der Hochschule ist alles etwas chaotisch hier. Zum Beispiel erfahren wir unseren Stundenplan immer erst zu Beginn der jeweiligen Woche. So kann man sein Leben nicht wirklich planen, und ich finde das manchmal störend und irritierend. Aber die Leute in der Uni-Verwaltung bemühen sich, uns zu helfen, zum Beispiel mit den Wohnheimplätzen und insgesamt wird es immer besser."

    Doch beschweren will sich Olga auf keinen Fall: Sie ist ebenso stolz wie ihre Kommilitonen, dass sie an der EHU Philosophie studieren kann. Dazu musste sie einen Motivations-Essay schreiben und ein Auswahlgespräch überstehen. 170 junge Weißrussen haben im Oktober ihr Bachelor-Studium begonnen, mehr als 100 belegen Master-Studiengänge. Zusätzlich sind 600 Studenten für ein Fernstudium eingeschrieben. Das Interesse sei ungebrochen groß, erklärt Rektor Anatoli Mikhailov:

    "Wir hatten mehr Applikationen, dass wir aufnehmen konnten. Wir bekommen ständig Telefonanrufe und Briefe per E-Mail, wo man gefragt wurde, wie kann man an diese Universität aufgenommen werden."

    Bisher haben die Studenten der Exil-Uni und ihre Familien keine Probleme mit den staatlichen Behörden. Dabei war die Schließung der EHU ein Politikum und der deutlichste Beweis für die Ideologisierung der Bildung in Weißrussland. Ende 2003 warf der Bildungsminister der EHU vor, zu viele ausländische Dozenten einzuladen. Es gebe doch genug gute Wissenschaftler im eigenen Land. Als sich der Philosophie-Professor Mikhailov weigerte, freiwillig als Rektor zurückzutreten, griff das Regime zu einem Trick. Die Universität hatte ihre Gebäude jahrelang von der Präsidentenadministration gemietet. Diese kündigte im August 2004 den Mietvertrag und zwei Tage später wurde der EHU die Lizenz entzogen, da sie "nicht mehr über geeignete Räume" verfüge. Doch bald wurden die Hintergründe bekannt. Rektor Mikhailov erklärt sie:

    "Zwei Monate später Präsident Lukaschenko hat selbst gesagt: Die Schließung der Universität hat nichts zu tun mit Bildungsministerium, er sagte, das ist meine eigene Entscheidung, weil diese Universität wollte eine westliche Elite ausbilden, die dann Belarus dann nach Westen bringen wird. Solche Elite brauchen wir nicht, wir sollen selbst unsere Elite ausbilden."

    Die EHU folgte der Einladung der litauischen Regierung und nahm den Lehrbetrieb in Vilnius auf. Nun soll sie möglichst schnell als litauische Universität registriert werden, um wieder Diplome ausstellen zu können. Bis 2008 rechnet Mikhailov mit 4000 Studierenden, die vor Ort und über das Internet lernen sollen. Viereinhalb Millionen Euro Budget wären dafür pro Jahr und zusätzlich müssen Stipendien für die Studierenden finanziert werden. Zwar müssen sie anders als in Weißrussland keine Studiengebühren zahlen, doch im EU-Land Litauen sind die Lebenshaltungskosten deutlich höher. Neben einigen amerikanischen Stiftungen stellen die EU-Kommission und der Nordische Ministerrat der skandinavischen Länder Geld zur Verfügung. Auch Staaten wie Finnland, Schweden, Luxemburg oder die Niederlande haben Hilfe angekündigt. Deutschland hat bisher 50.000 Euro für die Ausstattung überwiesen.

    Kritik übt Rektor Mikhailov am Deutschen Akademischen Auslandsdienst, der lange Zeit Gastdozenten an die EHU in Minsk geschickt hat. In der schwierigen Übergangszeit bleibe die dringend benötigte Hilfe jedoch aus:

    "Nachdem diese Krise mit unserer Universität in Folge von der ideologischen Politik von Regime zur Schließung führte, DAAD hat sich entschlossen, auch die Stellen, die dort von DAAD finanziert wurden, auch an die staatlichen Strukturen zu schließen. Ich denke, man hat damit gemacht, was auch das Regime wollte."

    An der EHU sollen Spezialisten ausgebildet werden, die Belarus bei der Transformation helfen können. Doch die "Hochschule im Exil" sieht sich als unabhängige akademische Einrichtung, die sich nicht aktiv in die Politik einmischt. Laut Mascha, die Politikwissenschaft studiert, sind die meisten ihrer Kommilitonen gegen das Lukaschenko-Regime, aber nur wenige engagieren sich aktiv in der Opposition. Viele wollen nach dem Studium in die Heimat zurückkehren. Auch Mascha hat klare Ziele:

    "Ich bin glücklich, dass ich eine gute, europäische Ausbildung bekomme, die es in Weißrussland nicht gibt. Dort gibt es nur sowjetische Bildung. Hier kann ich ein guter Politikspezialist werden und mit diesem Wissen nach Belarus zurückkehren und mich bemühen, dort etwas zu verändern."