Freitag, 19. April 2024

Archiv


Hochstapelei als Kulturphänomen

Con-Man oder Confidence Man, so nennen Amerikaner Leute, die das Vertrauen anderer ausnutzen, um sie zu betrügen. Vor allem auf Schriftsteller haben die Con-Men eine besondere Anziehungskraft. So werden sie zu Protagonisten ihrer Romane und Erzählungen.

Von Jürgen Kalwa | 25.06.2013
    Vor zehn Jahren starb ein Mann, der sich in der New Yorker Gesellschaft eine Weile lang als Sohn der Hollywood-Legende Sidney Poitier ausgab. Er schwatzte seinen gutgläubigen Opfern Geld ab, wurde erwischt und landete im Gefängnis und war nicht nur berüchtigt. Der Theaterschriftsteller John Guare setzte ihm in dem Stück "Six Degrees of Separation" ein Denkmal. Es wurde für den Pulitzer-Preis nominiert und später unter dem gleichen Titel verfilmt.

    Guares Gespür für die Komik des Absurden hatte etwas Unwiderstehliches und dokumentiert, dass es in solchen Geschichten nie nur um den Hochstapler geht, sondern auch um das anfällige Milieu. Ein amerikanisches Milieu, das etwas anders tickt, als das wilhelminische Deutschland, wo man mithilfe einer Hauptmanns-Uniform die Menschen für dumm verkaufen konnte. Die Amerikaner haben sogar ein Wort für einen solchen Tätertypen: Con-Man. Oder Confidence Man. Ein Mensch, der das Vertrauen anderer ausnutzt, um sie zu betrügen. Der es schafft, anderen etwas vorzutäuschen, was es gar nicht gibt. So wie jener Bernie Madoff, der wohlhabenden Anlegern enorme Renditen versprach und sie um Milliarden Dollar brachte.

    Oder wie jener Mann, der sich Clark Rockefeller nennt und sich jahrelang als Angehöriger des berühmten amerikanischen Clans ausgab. In Wirklichkeit heißt er Christian Gerhartsreiter, war einst als Austauschschüler aus dem bayrischen Siegsdorf in die USA gelangt. Er flog 2008 auf, nachdem er seine eigene Tochter entführt hatte, und war alles andere als harmlos. Ein Geschworenengericht in Los Angeles verurteilte ihn im April wegen Mordes.

    Der Schriftsteller Walter Kirn hat die besondere Anziehungskraft dieses Con-Man jahrelang erlebt. Und er hat jetzt darüber erstmals ausführlich in der Zeitschrift "New Yorker” geschrieben und das alles einem Interview für die Online-Ausgabe des Magazins erklärt. Seine Erklärung dafür, weshalb es in den USA so erfolgreiche und so viele Hochstapler gibt: Die "amerikanische Aristokratie”, wie er die oberste Schicht der Gesellschaft nennt, besteht sowieso aus nichts anderem als der Vorspiegelung falscher Tatsachen und dem Aufblasen von Biographien.

    ""The American aristocracy, the sort of WASP gentry, is itself made-up. It is an imitation of a British-style nobility. Imposterhood was the air they breathed out there.”"

    Kirn macht dafür die Sehnsucht vieler Amerikaner verantwortlich, das exklusive Lebensgefühl des adeligen Großbritanniens nachzuahmen. Die Offenheit und Durchlässigkeit der amerikanischen Gesellschaft jedoch lockt hochtalentierte Betrüger geradezu an. Was sich in der Kriminalgeschichte niederschlägt. Es gibt hierzulande mehr prominente Schwindler als anderswo. Con-Men wie Charles Ponzi, der Erfinder des Schneeball-Systems.

    Sie alle profitieren von jener Gutgläubigkeit, die in den USA als Facette des hochgelobten positiven Denkens existiert. Ebenso wie der Mythos vom schnellen Weg zum Reichtum, eine amerikanische Spezialität. In einem Land ohne Meldepflicht und ohne Personalausweise können Hochstapler leicht in neue Alias-Identitäten schlüpfen. Hauptsache, die dazu passende erfundende Vita klingt plausibel.

    Die Schriftstellerin Amity Gaige, die für ihren dritten Roman "Schroders Schweigen”, der demnächst auch auf Deutsch erscheint, den falschen Rockefeller als Inspirationsquelle nutzte, hat für ein solches Verhalten Verständnis:

    ""Die USA sind ein so großes Land. Hierher kommen Leute, um sich selbst neu zu erfinden. Das liebe ich. Ich denke, wenn ich ein Verbrechen begehen würde und alles verlieren, dann würde ich in einen Wald oder die Wüste ziehen, wo mich niemand kennt und wo ich neu anfangen kann.”"

    Ihr Rockefeller heißt Kennedy. Er kommt nicht aus Bayern, sondern aus der ehemaligen DDR. Er bringt niemanden um, ist obendrein geständig. Und so erzählt er nun, wie es zur Entführung der eigenen Tochter kam. Diesem Akt der Selbstzerstörung, in dem mehr als nur die Seifenblase seiner fiktionalen Existenz platzt.

    Da immer wieder neue Con-Men nachwachsen und mit spektakulären Schwindeleien auffallen, gibt es für Autoren und Filmemacher immer wieder neues Material. Es scheint fast so, als besäßen Schriftsteller eine besondere Sympathie für den Erfindungsreichtum und für die Fantasie dieses Verbrechertypus. Walter Kirn:

    ""Anstatt es aufzuschreiben, hat er es gelebt. Wenn er nicht diese Morde begangen hätte, wären wir vermutlich noch immer miteinander befreundet.”"