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Hochwasserschutz in Bangladesch
Der Kampf gegen Land unter

Der Hochwasserschutz in Bangladesch ist unzureichend, sodass jährlich tausende Klimaflüchtlinge in die Slums der Großstädte weit weg vom Meer ziehen. Ein Hochwasserschutzprojekt nahe der Metropole Khulna zeigt, dass mit Betonwänden nachhaltig gegen Überflutungen vorgegangen werden kann.

Von Ulrich Leidholdt | 21.04.2016
    Arbeiter in Bangladesch bauen die vom Zyklon "Aila" betroffenen Gegend um Khulna, wieder auf. Khulna liegt 400 km südlich von Banladeschs Hauptstadt Dhaka
    Bangladesch leidet unter Überflutungen durch Hochwasser und Zyklonen (picture-alliance / dpa/epa/Abir Abdullah)
    Standortbestimmung durch Ingenieur Sayfuddin: Wir stehen am Poirob, einem der zahllosen Flüsse, die wie ein engmaschiges Netz über Bangladesch liegen, bis sie im Golf von Bengalen münden. Noch 100 Kilometer entfernt von der Küste wirken hier die Gezeiten – sechs Meter Differenz zwischen Ebbe und Flut, zweimal täglich. Bei Monsun legt der Fluss noch mal um 60 Zentimeter zu.
    Sechs bis neun Monate Regen
    Bangladesch, halb so groß wie Deutschland, aber mit doppelt so vielen Menschen: 160 Millionen. Bangladesch, der am dichtesten besiedelte Flächenstaat der Welt – und flach wie das landestypische Chapati-Brot. Der Ganges und seine Nebenflüsse bilden ein riesiges Delta mit fruchtbaren Feldern und grünen Wäldern. Das Problem: Die Menschen sind nur unzureichend vor den Wassermassen geschützt.
    "Bangladesch ist durchzogen von vielen Flüssen, abhängig von Ebbe und Flut," erklärt Elma Morsheda. "Die Regenzeit dauert sechs bis neun Monate. Das bedeutet dauernd Überschwemmungen. Außerdem liegt Bangladesch nur sehr knapp über dem Meeresspiegel. Wir brauchen geeigneten Schutz und Drainage, um der Flut Herr zu werden und sie zu kanalisieren – Regen, Meer und Flusswasser."
    Betonwände geben Schutz vor Überflutung
    Elma Morsheda projektiert den Hochwasserschutz für Bangladesch. Auch hier am Poirob in der 1,6-Millionen-Stadt Khulna. Sandra Soares da Silva unterstützt die Arbeiten von deutscher Seite. Die Expertin der KfW-Entwicklungsbank steht auf einem Damm am Poirob. Der hat sich gerade tief in sein Bett verkrochen und wälzt sich braun und träge dahin. Sandra Soares da Silva weiß um die Folgen des Klimawandels und kennt den Fluss auch ganz anders.
    "Jedes Jahr, wenn der Monsun kommt und der Fluss anschwillt ist immer ein Stück Ufer und Straße verloren gegangen. Es war eine Erdstraße, dass heißt dann war Fortkommen schwierig und das Wasser aus dem Fluss ist in den dahinter liegenden Slum gelaufen. Dann hatten die Slumbewohner das Problem, dass ihre Häuser unter Wasser standen. Jetzt hat man eine Betonwand eingezogen, dass nicht weiter wegbrechen kann. Man hat die Straße erhöht. Dadurch wird sie nicht mehr so leicht überflutet und dient als Schutz für den Slum. Auch hat man die Straße nicht asphaltiert, weil Asphalt unterspült wird. Diese Straße kann überflutet werden, und es passiert ihr nichts."
    Schutz gegen das Wasser und seine Folgen. Was hier in Khulna erreicht wurde, ist durchaus nicht Standard in Bangladesch. Elma Morsheda:
    "Ohne Hochwasserschutz werden Pflanzen von der Flut ausgewaschen, Märkte und Wohngebiete überschwemmt. Die Leute verlieren ihr Einkommen und ihre Lebensgrundlage. – Wir entwickeln nachhaltigen Hochwasserschutz, der nicht durch eine Flut oder einen Wirbelsturm gleich wieder zerstört wird."
    Flussanrainer in Bangladesch klagen über Bodenversalzung und Pflanzensterben durch eindringendes Meerwasser. Immer wieder bringen auch Wirbelstürme tausenden den Tod. Die Überlebenden treibt das aus ihren verwüsteten Wohnorten. Elma Morsheda:
    Klimaflüchtlinge ziehen in die Großstadt-Slums
    "Es stimmt – wir haben Klimaflüchtlinge. Hochwasserschutz ist ein langwieriger Prozess. Besonders in der Küstenregion fliehen viele vor dem Wasser. Sie ziehen dort weg, dann ins Zentrum des Landes und schließlich in die Slums der Großstädte. Wenn wir es schaffen, ihre Grundbedürfnisse wie Trinkwasser, Versorgung und Hygiene zu schützen, dann verringert sich die Zahl der Klimaflüchtlinge."
    Elma Morsheda weiß, dass ihr Land zwischen Himalaya und Golf von Bengalen wegen seiner flachen Geografie besonders vom Klimawandel betroffen ist. Flüsse führen mehr Wasser, Böden senken sich, der Meeresspiegel steigt. Ein Meter mehr könnte Bangladesch 20 Prozent seiner Fläche kosten. Experten erwarten dann bis zu 20 Millionen Klimaflüchtlinge in den nächsten zehn Jahren.
    Am Poirob halten Damm und Straße die Menschen von einer Flucht ab. Auf dem Markt hinter dem Deich und im benachbarten Slum ist das Leben keineswegs leicht, bietet aber wieder bescheidene Perspektiven.
    "Bevor sie die Straße und den Damm gebaut haben, haben wir hier regelmäßig im Schlamm gesessen," erzählt Gemüsehändler Abdul Manan.
    "Ständig Matsch und Nässe. Jetzt ist es trocken, wir können unsere Sachen verkaufen freut sich der über 70-Jährige. Außerdem kämen die Leute über die neue Straße schnell dahin, wo sie Arbeit finden. Die Siedlung sei jetzt sicherer, auch der Markt. Die Straße - eine wirklich große Hilfe."
    Sandra Soares da Silva: "Was hervorgehoben wird, man kann sich hier jetzt ohne Probleme bewegen. Das ist eine Hauptstraße, die zu den Märkten führt, zu einem Busterminal, zur Anlegestelle der Fähre über den Fluss. Die Slumbewohner hinter der Straße spüren, dass das Wasser nicht mehr rein fließt."
    Khulna, die Millionenstadt, ist aber noch längst nicht über den Berg. Lebender Beweis sind jährlich 15.000 Zuwanderer aus ungeschützten Regionen. Flüchtlinge, die ihr Land verlassen werden, sollte der Wettlauf gegen den Klimawandel im tief liegenden, wasserreichen Bangladesch verloren gehen.
    Noch sei es nicht so weit, sagt Wasserschutzexpertin Morsheda – noch: "Der Trend sind Klimaflüchtlinge innerhalb des Landes, nicht ins Ausland. Nach Europa sind sie noch nicht unterwegs."